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Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858.

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2.--7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IN SEINEN SPIELEN.
die sehr gebräuchlich aber nur unter der Bedingung einer ge-
nauen Ueberwachung zu billigen ist, da sie ohne diese, anderer
Gefahren nicht zu gedenken, dem kindlichen Gemüthe leicht
verderblich wird: Das Spielen mit lebenden Thieren.
Man wählt dazu besonders gern Hunde, Katzen, Kaninchen,
Vögel und Insecten. Gemüthsverderbniss ist stets damit ver-
bunden, sobald das sich selbst überlassene Kind, welches das
Thier nur als einen Spielgegenstand betrachtet, allerhand
Quälereien an demselben verschuldet. Anstatt das Gefühl der
Unverletzlichkeit und Heiligkeit für Alles, was Leben hat, zu
wecken und zu beleben, pflanzt man dadurch Rohheit, kalte
Grausamkeit, ja noch mehr: Gefallen an der Grausamkeit in
das noch für alle Eindrücke empfängliche kindliche Gemüth.
Die Folgewirkungen, wenn auch durch das spätere Leben etwas
abgeschliffen und verdeckt, verlöschen doch nie in der Tiefe
des Gemüthes und sind von wahrhaft ernster Bedeutung. Sein
in Bezug auf die Thiere eingesogenes Gefühl überträgt das Kind,
insoweit es kann, auch auf den Menschen. Ein solches Ge-
müth kann nie von voller Reinheit und Wärme des Gefühles
durchdrungen werden. Kann man sich also Dessen nicht ver-
sichern, dass die Kinder nur in harmloser, freundlicher
Weise mit den Thieren umgehen, so halte man sie ja fern da-
von. Selbst nicht einmal der allgemein übliche Gebrauch,
eingesperrte Vögel als Gegenstand der Liebhaberei für Kin-
der zu machen, ist ganz zu billigen. Schon ein Kind von nur
wenigen Jahren fühlt es bald an dem ganzen Benehmen des
sehnsüchtig aus seinem Käfig herausstrebenden Vogels, dass
demselben die Hauptbedingung seines Lebensglückes, die Frei-
heit, fehlt, und dass er eigentlich mehr Gegenstand des Mit-
leides, als Gegenstand der Freude sein sollte. Das Kind ge-
wöhnt sich allerdings daran und behält schliesslich das Ge-
fühl der Freude allein zurück. Mag dies der Fall sein oder
mag das Kind das mitleidige Gefühl gar nicht empfunden
haben -- gleichviel, in beiden Fällen ist stets eine gewisse
Abstumpfung des kindlichen Zartgefühles damit verbunden.
Aber die Unüberlegtheit geht darin noch viel weiter. Ich
habe z. B. selbst gesehen, dass noch dazu hochgebildete

2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IN SEINEN SPIELEN.
die sehr gebräuchlich aber nur unter der Bedingung einer ge-
nauen Ueberwachung zu billigen ist, da sie ohne diese, anderer
Gefahren nicht zu gedenken, dem kindlichen Gemüthe leicht
verderblich wird: Das Spielen mit lebenden Thieren.
Man wählt dazu besonders gern Hunde, Katzen, Kaninchen,
Vögel und Insecten. Gemüthsverderbniss ist stets damit ver-
bunden, sobald das sich selbst überlassene Kind, welches das
Thier nur als einen Spielgegenstand betrachtet, allerhand
Quälereien an demselben verschuldet. Anstatt das Gefühl der
Unverletzlichkeit und Heiligkeit für Alles, was Leben hat, zu
wecken und zu beleben, pflanzt man dadurch Rohheit, kalte
Grausamkeit, ja noch mehr: Gefallen an der Grausamkeit in
das noch für alle Eindrücke empfängliche kindliche Gemüth.
Die Folgewirkungen, wenn auch durch das spätere Leben etwas
abgeschliffen und verdeckt, verlöschen doch nie in der Tiefe
des Gemüthes und sind von wahrhaft ernster Bedeutung. Sein
in Bezug auf die Thiere eingesogenes Gefühl überträgt das Kind,
insoweit es kann, auch auf den Menschen. Ein solches Ge-
müth kann nie von voller Reinheit und Wärme des Gefühles
durchdrungen werden. Kann man sich also Dessen nicht ver-
sichern, dass die Kinder nur in harmloser, freundlicher
Weise mit den Thieren umgehen, so halte man sie ja fern da-
von. Selbst nicht einmal der allgemein übliche Gebrauch,
eingesperrte Vögel als Gegenstand der Liebhaberei für Kin-
der zu machen, ist ganz zu billigen. Schon ein Kind von nur
wenigen Jahren fühlt es bald an dem ganzen Benehmen des
sehnsüchtig aus seinem Käfig herausstrebenden Vogels, dass
demselben die Hauptbedingung seines Lebensglückes, die Frei-
heit, fehlt, und dass er eigentlich mehr Gegenstand des Mit-
leides, als Gegenstand der Freude sein sollte. Das Kind ge-
wöhnt sich allerdings daran und behält schliesslich das Ge-
fühl der Freude allein zurück. Mag dies der Fall sein oder
mag das Kind das mitleidige Gefühl gar nicht empfunden
haben — gleichviel, in beiden Fällen ist stets eine gewisse
Abstumpfung des kindlichen Zartgefühles damit verbunden.
Aber die Unüberlegtheit geht darin noch viel weiter. Ich
habe z. B. selbst gesehen, dass noch dazu hochgebildete

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[116/0120] 2.—7. JAHR. GEISTIGE SEITE. DAS KIND IN SEINEN SPIELEN. die sehr gebräuchlich aber nur unter der Bedingung einer ge- nauen Ueberwachung zu billigen ist, da sie ohne diese, anderer Gefahren nicht zu gedenken, dem kindlichen Gemüthe leicht verderblich wird: Das Spielen mit lebenden Thieren. Man wählt dazu besonders gern Hunde, Katzen, Kaninchen, Vögel und Insecten. Gemüthsverderbniss ist stets damit ver- bunden, sobald das sich selbst überlassene Kind, welches das Thier nur als einen Spielgegenstand betrachtet, allerhand Quälereien an demselben verschuldet. Anstatt das Gefühl der Unverletzlichkeit und Heiligkeit für Alles, was Leben hat, zu wecken und zu beleben, pflanzt man dadurch Rohheit, kalte Grausamkeit, ja noch mehr: Gefallen an der Grausamkeit in das noch für alle Eindrücke empfängliche kindliche Gemüth. Die Folgewirkungen, wenn auch durch das spätere Leben etwas abgeschliffen und verdeckt, verlöschen doch nie in der Tiefe des Gemüthes und sind von wahrhaft ernster Bedeutung. Sein in Bezug auf die Thiere eingesogenes Gefühl überträgt das Kind, insoweit es kann, auch auf den Menschen. Ein solches Ge- müth kann nie von voller Reinheit und Wärme des Gefühles durchdrungen werden. Kann man sich also Dessen nicht ver- sichern, dass die Kinder nur in harmloser, freundlicher Weise mit den Thieren umgehen, so halte man sie ja fern da- von. Selbst nicht einmal der allgemein übliche Gebrauch, eingesperrte Vögel als Gegenstand der Liebhaberei für Kin- der zu machen, ist ganz zu billigen. Schon ein Kind von nur wenigen Jahren fühlt es bald an dem ganzen Benehmen des sehnsüchtig aus seinem Käfig herausstrebenden Vogels, dass demselben die Hauptbedingung seines Lebensglückes, die Frei- heit, fehlt, und dass er eigentlich mehr Gegenstand des Mit- leides, als Gegenstand der Freude sein sollte. Das Kind ge- wöhnt sich allerdings daran und behält schliesslich das Ge- fühl der Freude allein zurück. Mag dies der Fall sein oder mag das Kind das mitleidige Gefühl gar nicht empfunden haben — gleichviel, in beiden Fällen ist stets eine gewisse Abstumpfung des kindlichen Zartgefühles damit verbunden. Aber die Unüberlegtheit geht darin noch viel weiter. Ich habe z. B. selbst gesehen, dass noch dazu hochgebildete

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Zitationshilfe: Schreber, Daniel Gottlob Moritz: Kallipädie oder Erziehung zur Schönheit. Leipzig, 1858, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schreber_kallipaedie_1858/120>, abgerufen am 24.11.2024.