sei; sie hatte noch nie einen Sterbenden, vielleicht nicht einmal einen Todten, gesehen; doch des Gehor- sams gegen den Vater gewohnt, erhob sie sich; er nahm sie in seine Arme und trug sie mehr hinaus, als sie ging.
Arnold hatte während dieser ganzen erschüttern- den Scene kein Wort gesprochen. Er stand am Fuße des Betts und hatte fest, fast unablässig, den Blick auf das Antlitz des Sterbenden gerichtet, in dem er jetzt bekannte Züge wahrnahm, die er zuvor nicht darin entdeckt hatte; doch wußte er nicht, wohin er sie bringen sollte.
Der Wundarzt, welcher, wie bereits angedeutet, in dem Verstorbenen einen Freund verloren hatte, hielt lange noch den Puls desselben zwischen den Fin- gern, dann legte er leise die Hand auf die Decke zurück und trat an das Fenster, um mit trüben Blicken hinaus zu schauen.
Arnold mochte ihn in seinen Gedanken und Be- trachtungen nicht stören, deshalb entfernte er sich mit leisen Tritten aus dem Gemache und begab sich in das gemeinschaftliche Wohnzimmer, wo er Flora allein und in Thränen antraf. Jhr Vater hatte sie verlas- sen, um Hülfe für seine Wunde zu suchen, die, ob- schon der Schuß nur den Arm gestreift hatte, sehr zu schmerzen begann.
ſei; ſie hatte noch nie einen Sterbenden, vielleicht nicht einmal einen Todten, geſehen; doch des Gehor- ſams gegen den Vater gewohnt, erhob ſie ſich; er nahm ſie in ſeine Arme und trug ſie mehr hinaus, als ſie ging.
Arnold hatte während dieſer ganzen erſchüttern- den Scene kein Wort geſprochen. Er ſtand am Fuße des Betts und hatte feſt, faſt unabläſſig, den Blick auf das Antlitz des Sterbenden gerichtet, in dem er jetzt bekannte Züge wahrnahm, die er zuvor nicht darin entdeckt hatte; doch wußte er nicht, wohin er ſie bringen ſollte.
Der Wundarzt, welcher, wie bereits angedeutet, in dem Verſtorbenen einen Freund verloren hatte, hielt lange noch den Puls deſſelben zwiſchen den Fin- gern, dann legte er leiſe die Hand auf die Decke zurück und trat an das Fenſter, um mit trüben Blicken hinaus zu ſchauen.
Arnold mochte ihn in ſeinen Gedanken und Be- trachtungen nicht ſtören, deshalb entfernte er ſich mit leiſen Tritten aus dem Gemache und begab ſich in das gemeinſchaftliche Wohnzimmer, wo er Flora allein und in Thränen antraf. Jhr Vater hatte ſie verlaſ- ſen, um Hülfe für ſeine Wunde zu ſuchen, die, ob- ſchon der Schuß nur den Arm geſtreift hatte, ſehr zu ſchmerzen begann.
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ſei; ſie hatte noch nie einen Sterbenden, vielleicht
nicht einmal einen Todten, geſehen; doch des Gehor-
ſams gegen den Vater gewohnt, erhob ſie ſich; er
nahm ſie in ſeine Arme und trug ſie mehr hinaus,
als ſie ging.
Arnold hatte während dieſer ganzen erſchüttern-
den Scene kein Wort geſprochen. Er ſtand am Fuße
des Betts und hatte feſt, faſt unabläſſig, den Blick
auf das Antlitz des Sterbenden gerichtet, in dem er
jetzt bekannte Züge wahrnahm, die er zuvor nicht
darin entdeckt hatte; doch wußte er nicht, wohin er
ſie bringen ſollte.
Der Wundarzt, welcher, wie bereits angedeutet,
in dem Verſtorbenen einen Freund verloren hatte,
hielt lange noch den Puls deſſelben zwiſchen den Fin-
gern, dann legte er leiſe die Hand auf die Decke
zurück und trat an das Fenſter, um mit trüben
Blicken hinaus zu ſchauen.
Arnold mochte ihn in ſeinen Gedanken und Be-
trachtungen nicht ſtören, deshalb entfernte er ſich mit
leiſen Tritten aus dem Gemache und begab ſich in
das gemeinſchaftliche Wohnzimmer, wo er Flora allein
und in Thränen antraf. Jhr Vater hatte ſie verlaſ-
ſen, um Hülfe für ſeine Wunde zu ſuchen, die, ob-
ſchon der Schuß nur den Arm geſtreift hatte, ſehr
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/58>, abgerufen am 16.02.2025.
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