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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846.

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Mannes, der sich zum Nebenbuhler des Geliebten auf-
werfen, das Bild desselben aus ihrem Herzen ver-
drängen wollte, gänzlich vergessen zu haben und nur
noch ihrem Schmerze, nur noch dem Andenken des
geliebten Mannes zu leben.

-- "Und er ist todt? wirklich todt?" fragte
sie dann mit tonloser Stimme. "O, meine Ah-
nung!"

-- "Er fiel bei der Vertheidigung Vandalias,"
antwortete ihr der Prophet, "und man fand dieses
Taschenbuch bei ihm. Da man wußte, daß ich mich
für diesen jungen Mann lebhaft interessirte, brachte
man es mir, auch überzeugte ich mich durch den Au-
genschein, daß er unter den zur Bestattung aufge-
nommenen Leichen sei."

Joe sprach diese Lüge -- denn das Taschenbuch
war bei der Gefangennahme Arnolds durch Hieram
und dessen Genossen erst in ihre, dann in seine Hände
gekommen, -- mit dem vollsten Tone der Wahrheit
aus, so daß Flora an ihrem Unglück nicht länger
zweifeln konnte; auch kannte ihr reines Herz weder
an sich selbst, noch an Andern die Lüge und den
Trug.

-- "Zürnen Sie mir nicht," nahm der Prophet
nach einer Pause mit dem weichsten, einschmeichelnd-
sten Tone wieder das Wort, "daß ich es seyn mußte,

III. 10

Mannes, der ſich zum Nebenbuhler des Geliebten auf-
werfen, das Bild deſſelben aus ihrem Herzen ver-
drängen wollte, gänzlich vergeſſen zu haben und nur
noch ihrem Schmerze, nur noch dem Andenken des
geliebten Mannes zu leben.

— „Und er iſt todt? wirklich todt?“ fragte
ſie dann mit tonloſer Stimme. „O, meine Ah-
nung!“

— „Er fiel bei der Vertheidigung Vandalias,“
antwortete ihr der Prophet, „und man fand dieſes
Taſchenbuch bei ihm. Da man wußte, daß ich mich
für dieſen jungen Mann lebhaft intereſſirte, brachte
man es mir, auch überzeugte ich mich durch den Au-
genſchein, daß er unter den zur Beſtattung aufge-
nommenen Leichen ſei.“

Joe ſprach dieſe Lüge — denn das Taſchenbuch
war bei der Gefangennahme Arnolds durch Hieram
und deſſen Genoſſen erſt in ihre, dann in ſeine Hände
gekommen, — mit dem vollſten Tone der Wahrheit
aus, ſo daß Flora an ihrem Unglück nicht länger
zweifeln konnte; auch kannte ihr reines Herz weder
an ſich ſelbſt, noch an Andern die Lüge und den
Trug.

— „Zürnen Sie mir nicht,“ nahm der Prophet
nach einer Pauſe mit dem weichſten, einſchmeichelnd-
ſten Tone wieder das Wort, „daß ich es ſeyn mußte,

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[145/0151] Mannes, der ſich zum Nebenbuhler des Geliebten auf- werfen, das Bild deſſelben aus ihrem Herzen ver- drängen wollte, gänzlich vergeſſen zu haben und nur noch ihrem Schmerze, nur noch dem Andenken des geliebten Mannes zu leben. — „Und er iſt todt? wirklich todt?“ fragte ſie dann mit tonloſer Stimme. „O, meine Ah- nung!“ — „Er fiel bei der Vertheidigung Vandalias,“ antwortete ihr der Prophet, „und man fand dieſes Taſchenbuch bei ihm. Da man wußte, daß ich mich für dieſen jungen Mann lebhaft intereſſirte, brachte man es mir, auch überzeugte ich mich durch den Au- genſchein, daß er unter den zur Beſtattung aufge- nommenen Leichen ſei.“ Joe ſprach dieſe Lüge — denn das Taſchenbuch war bei der Gefangennahme Arnolds durch Hieram und deſſen Genoſſen erſt in ihre, dann in ſeine Hände gekommen, — mit dem vollſten Tone der Wahrheit aus, ſo daß Flora an ihrem Unglück nicht länger zweifeln konnte; auch kannte ihr reines Herz weder an ſich ſelbſt, noch an Andern die Lüge und den Trug. — „Zürnen Sie mir nicht,“ nahm der Prophet nach einer Pauſe mit dem weichſten, einſchmeichelnd- ſten Tone wieder das Wort, „daß ich es ſeyn mußte, III. 10

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 3. Jena, 1846, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet03_1846/151>, abgerufen am 29.11.2024.