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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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-- "Jch wagte es, aus Liebe zu dir, mein
Bruder," war die Antwort des Sioux. "Auch war
Manitou sichtbar mit mir, denn sonst hätte ich es
nicht vollbracht."

-- "Wie aber fingst du es an?"

-- "Das wirst du gleich hören. Wie die
Schlange, wenn sie durch das Gras der Prairie
schleicht, um eine von ihr ausersehene Beute zu über-
raschen, kroch ich auf meinem Bauche in den Wig-
wam und so nahe an den Nanawa hinan, daß ich
ihm an der einen Seite eben so nahe lag, als die
Squaw an der andern. Der Mond fiel zum Glück
durch die offen gelassene Thür -- denn es war eine
sehr schwüle Nacht und man hätte es vor Hitze nicht
aushalten können, wenn man den Eingang nicht bloß
mit einem vorgehangenen Netze, zum Schutze gegen
die Schlangen und anderes kriechendes Gewürm, be-
schützt und die Thür offen gelassen hätte -- der Mond
schien, wie schon gesagt, durch die offen gelassene Thür
in den Wigwam hinein und warf seine Strahlen ge-
rade auf das Gesicht des schlafenden Nanawa, der,
von der Jagd ermüdet, tiefe und schwere Athem-
züge that."

-- "Jch lag einige Augenblicke unbeweglich;
dann löste ich mit leiser Hand den Riemen, womit
er sein Unterkleid von Dammhirschfell zugebunden

4 *

— „Jch wagte es, aus Liebe zu dir, mein
Bruder,“ war die Antwort des Sioux. „Auch war
Manitou ſichtbar mit mir, denn ſonſt hätte ich es
nicht vollbracht.“

— „Wie aber fingſt du es an?“

— „Das wirſt du gleich hören. Wie die
Schlange, wenn ſie durch das Gras der Prairie
ſchleicht, um eine von ihr auserſehene Beute zu über-
raſchen, kroch ich auf meinem Bauche in den Wig-
wam und ſo nahe an den Nanawa hinan, daß ich
ihm an der einen Seite eben ſo nahe lag, als die
Squaw an der andern. Der Mond fiel zum Glück
durch die offen gelaſſene Thür — denn es war eine
ſehr ſchwüle Nacht und man hätte es vor Hitze nicht
aushalten können, wenn man den Eingang nicht bloß
mit einem vorgehangenen Netze, zum Schutze gegen
die Schlangen und anderes kriechendes Gewürm, be-
ſchützt und die Thür offen gelaſſen hätte — der Mond
ſchien, wie ſchon geſagt, durch die offen gelaſſene Thür
in den Wigwam hinein und warf ſeine Strahlen ge-
rade auf das Geſicht des ſchlafenden Nanawa, der,
von der Jagd ermüdet, tiefe und ſchwere Athem-
züge that.“

— „Jch lag einige Augenblicke unbeweglich;
dann löſte ich mit leiſer Hand den Riemen, womit
er ſein Unterkleid von Dammhirſchfell zugebunden

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[51/0057] — „Jch wagte es, aus Liebe zu dir, mein Bruder,“ war die Antwort des Sioux. „Auch war Manitou ſichtbar mit mir, denn ſonſt hätte ich es nicht vollbracht.“ — „Wie aber fingſt du es an?“ — „Das wirſt du gleich hören. Wie die Schlange, wenn ſie durch das Gras der Prairie ſchleicht, um eine von ihr auserſehene Beute zu über- raſchen, kroch ich auf meinem Bauche in den Wig- wam und ſo nahe an den Nanawa hinan, daß ich ihm an der einen Seite eben ſo nahe lag, als die Squaw an der andern. Der Mond fiel zum Glück durch die offen gelaſſene Thür — denn es war eine ſehr ſchwüle Nacht und man hätte es vor Hitze nicht aushalten können, wenn man den Eingang nicht bloß mit einem vorgehangenen Netze, zum Schutze gegen die Schlangen und anderes kriechendes Gewürm, be- ſchützt und die Thür offen gelaſſen hätte — der Mond ſchien, wie ſchon geſagt, durch die offen gelaſſene Thür in den Wigwam hinein und warf ſeine Strahlen ge- rade auf das Geſicht des ſchlafenden Nanawa, der, von der Jagd ermüdet, tiefe und ſchwere Athem- züge that.“ — „Jch lag einige Augenblicke unbeweglich; dann löſte ich mit leiſer Hand den Riemen, womit er ſein Unterkleid von Dammhirſchfell zugebunden 4 *

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/57>, abgerufen am 26.08.2024.