"O, ich bin schändlich behandelt, schändlich verrathen worden!" fügte sie schluchzend hinzu.
-- "Reden wir jetzt nicht weiter darüber," sagte ihr gutmüthiger Wirth, der ihre große Aufgeregtheit wahrnahm; "Sie erzählen uns später davon, wenn es Jhnen Bedürfniß ist; jetzt aber schlagen Sie sich Alles aus dem Sinn, was Sie betrüben und beun- ruhigen könnte. Wir werden Sie hegen und pflegen, als ob Sie unsre Schwester wären, denn Gott hat Sie ja sichtbar in unsern Schutz gegeben, und wir kennen unsre Pflicht. Werden Sie nur erst gänzlich wieder gesund, dann wird sich alles Andere schon finden."
Marie wollte ihm antworten, ihm danken, viel- leicht auch erzählen, allein ihre Thränen flossen so heftig, daß sie nicht dazu im Stande war. Jhre guten Wirthsleute suchten sie auf alle Weise zu trö- sten und zu beunruhigen, und wirklich gelang ihnen dieses. Die Kranke faßte sich nach und nach und nahm die ihr von der Frau dargebotene Erquickung dankbar an.
Schon nach einigen Tagen konnte sie das Lager verlassen und nach Verlauf eines Monats war sie gänzlich wieder die Frühere, d. h. völlig gesund, kräf- tig und schön.
Wir wollen ihre Geschichte, unseren sonstigen Mit- theilungen vorgreifend, hier beendigen.
13 *
„O, ich bin ſchändlich behandelt, ſchändlich verrathen worden!“ fügte ſie ſchluchzend hinzu.
— „Reden wir jetzt nicht weiter darüber,“ ſagte ihr gutmüthiger Wirth, der ihre große Aufgeregtheit wahrnahm; „Sie erzählen uns ſpäter davon, wenn es Jhnen Bedürfniß iſt; jetzt aber ſchlagen Sie ſich Alles aus dem Sinn, was Sie betrüben und beun- ruhigen könnte. Wir werden Sie hegen und pflegen, als ob Sie unſre Schweſter wären, denn Gott hat Sie ja ſichtbar in unſern Schutz gegeben, und wir kennen unſre Pflicht. Werden Sie nur erſt gänzlich wieder geſund, dann wird ſich alles Andere ſchon finden.“
Marie wollte ihm antworten, ihm danken, viel- leicht auch erzählen, allein ihre Thränen floſſen ſo heftig, daß ſie nicht dazu im Stande war. Jhre guten Wirthsleute ſuchten ſie auf alle Weiſe zu trö- ſten und zu beunruhigen, und wirklich gelang ihnen dieſes. Die Kranke faßte ſich nach und nach und nahm die ihr von der Frau dargebotene Erquickung dankbar an.
Schon nach einigen Tagen konnte ſie das Lager verlaſſen und nach Verlauf eines Monats war ſie gänzlich wieder die Frühere, d. h. völlig geſund, kräf- tig und ſchön.
Wir wollen ihre Geſchichte, unſeren ſonſtigen Mit- theilungen vorgreifend, hier beendigen.
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„O, ich bin ſchändlich behandelt, ſchändlich verrathen
worden!“ fügte ſie ſchluchzend hinzu.
— „Reden wir jetzt nicht weiter darüber,“ ſagte
ihr gutmüthiger Wirth, der ihre große Aufgeregtheit
wahrnahm; „Sie erzählen uns ſpäter davon, wenn
es Jhnen Bedürfniß iſt; jetzt aber ſchlagen Sie ſich
Alles aus dem Sinn, was Sie betrüben und beun-
ruhigen könnte. Wir werden Sie hegen und pflegen,
als ob Sie unſre Schweſter wären, denn Gott hat
Sie ja ſichtbar in unſern Schutz gegeben, und wir
kennen unſre Pflicht. Werden Sie nur erſt gänzlich
wieder geſund, dann wird ſich alles Andere ſchon finden.“
Marie wollte ihm antworten, ihm danken, viel-
leicht auch erzählen, allein ihre Thränen floſſen ſo
heftig, daß ſie nicht dazu im Stande war. Jhre
guten Wirthsleute ſuchten ſie auf alle Weiſe zu trö-
ſten und zu beunruhigen, und wirklich gelang ihnen
dieſes. Die Kranke faßte ſich nach und nach und
nahm die ihr von der Frau dargebotene Erquickung
dankbar an.
Schon nach einigen Tagen konnte ſie das Lager
verlaſſen und nach Verlauf eines Monats war ſie
gänzlich wieder die Frühere, d. h. völlig geſund, kräf-
tig und ſchön.
Wir wollen ihre Geſchichte, unſeren ſonſtigen Mit-
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/201>, abgerufen am 16.02.2025.
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