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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.

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reichten nicht aus, die hohen, ihr auf jeden Tritt
den Weg versperrenden Kräuter und Gräser zu durch-
schreiten, und schon nach einer halbstündigen Wan-
derung blieb ihr nichts weiter übrig, als sich auf den
Boden niederzuwerfen und den, nach ihrer Meinung
unvermeidlichen, Tod zu erwarten.

Welcher Zorn gegen den Propheten, auf dessen
Befehl -- sie zweifelte nicht länger daran -- ihr
treuloser Führer sie dem Tode überliefert hatte, welche
Angst, welche Verzweiflung erfüllten wechselsweise ihr
Herz; welche Flüche stießen ihre vom Durste vertrock-
neten Lippen gegen Beide aus! Sie durchschaute das
von Joe Smith mit ihr getriebene Spiel zwar nicht,
denn dazu war sie zu unerfahren und zu beschränkt,
allein so viel sagte sie sich, daß sie in eine Falle von
ihm gelockt und dem Verderben geweiht sei.

Mit jeder Stunde, ja mit jeder Minute nahm
ihre Angst zu; denn die Sonne, die bisher ihr ein-
ziger Trost gewesen war, neigte sich bereits zum Un-
tergange und so durfte sie jeden Augenblick erwarten,
die Beute der Raubthiere zu werden, gegen die sie
nicht den geringsten Schutz hatte.

Die Nacht brach endlich wirklich an; die Sterne
funkelten hell, in dem ungetrübtesten Glanze, am
Himmel; ein sanfter Nachtwind hatte sich erhoben
und kosete mit den Gräsern der Prairie; ein starker

reichten nicht aus, die hohen, ihr auf jeden Tritt
den Weg verſperrenden Kräuter und Gräſer zu durch-
ſchreiten, und ſchon nach einer halbſtündigen Wan-
derung blieb ihr nichts weiter übrig, als ſich auf den
Boden niederzuwerfen und den, nach ihrer Meinung
unvermeidlichen, Tod zu erwarten.

Welcher Zorn gegen den Propheten, auf deſſen
Befehl — ſie zweifelte nicht länger daran — ihr
treuloſer Führer ſie dem Tode überliefert hatte, welche
Angſt, welche Verzweiflung erfüllten wechſelsweiſe ihr
Herz; welche Flüche ſtießen ihre vom Durſte vertrock-
neten Lippen gegen Beide aus! Sie durchſchaute das
von Joe Smith mit ihr getriebene Spiel zwar nicht,
denn dazu war ſie zu unerfahren und zu beſchränkt,
allein ſo viel ſagte ſie ſich, daß ſie in eine Falle von
ihm gelockt und dem Verderben geweiht ſei.

Mit jeder Stunde, ja mit jeder Minute nahm
ihre Angſt zu; denn die Sonne, die bisher ihr ein-
ziger Troſt geweſen war, neigte ſich bereits zum Un-
tergange und ſo durfte ſie jeden Augenblick erwarten,
die Beute der Raubthiere zu werden, gegen die ſie
nicht den geringſten Schutz hatte.

Die Nacht brach endlich wirklich an; die Sterne
funkelten hell, in dem ungetrübteſten Glanze, am
Himmel; ein ſanfter Nachtwind hatte ſich erhoben
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[191/0197] reichten nicht aus, die hohen, ihr auf jeden Tritt den Weg verſperrenden Kräuter und Gräſer zu durch- ſchreiten, und ſchon nach einer halbſtündigen Wan- derung blieb ihr nichts weiter übrig, als ſich auf den Boden niederzuwerfen und den, nach ihrer Meinung unvermeidlichen, Tod zu erwarten. Welcher Zorn gegen den Propheten, auf deſſen Befehl — ſie zweifelte nicht länger daran — ihr treuloſer Führer ſie dem Tode überliefert hatte, welche Angſt, welche Verzweiflung erfüllten wechſelsweiſe ihr Herz; welche Flüche ſtießen ihre vom Durſte vertrock- neten Lippen gegen Beide aus! Sie durchſchaute das von Joe Smith mit ihr getriebene Spiel zwar nicht, denn dazu war ſie zu unerfahren und zu beſchränkt, allein ſo viel ſagte ſie ſich, daß ſie in eine Falle von ihm gelockt und dem Verderben geweiht ſei. Mit jeder Stunde, ja mit jeder Minute nahm ihre Angſt zu; denn die Sonne, die bisher ihr ein- ziger Troſt geweſen war, neigte ſich bereits zum Un- tergange und ſo durfte ſie jeden Augenblick erwarten, die Beute der Raubthiere zu werden, gegen die ſie nicht den geringſten Schutz hatte. Die Nacht brach endlich wirklich an; die Sterne funkelten hell, in dem ungetrübteſten Glanze, am Himmel; ein ſanfter Nachtwind hatte ſich erhoben und koſete mit den Gräſern der Prairie; ein ſtarker

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Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/197>, abgerufen am 24.11.2024.