sie den Eintritt Arnolds vermuthet, davor, als hätte sie eben daran gearbeitet. Wenn er aber so unglück- lich wäre, in die ihm gelegte Schlinge zu gehen -- was Gott verhüthen wolle! -- wenn er diese Buh- lerin wirklich zu seiner Gattin machte, wie sollte es dann später werden, wenn er, was nicht ausbleiben könnte, den ihm gespielten Betrug entdeckte? Sollte Marie in dem Grade leichtsinnig seyn, daß sie nicht ein einziges Mal daran dächte, nicht vor dem Gedan- ken an die Verachtung, die sie dann treffen würde, erzitterte? Giebt es denn, wie es Menschen ohne Ge- wissen giebt, auch welche ohne Scham?
Mit jedem Tage werde ich mehr in meiner guten Meinung von diesem jungen Manne bestärkt: er scheint durchaus edel, gefühlvoll und gebildet zu seyn, auch über seine Jahre hinaus klug. Jrre ich mich nicht, so durchschaut er das Spiel der Beiden, denn obgleich ich nicht länger daran zweifeln kann, daß Marie ihn auf ihre Art liebt, und obgleich sie ihm auf alle Weise entgegenkömmt, so gewinnt sie doch kein Ter- rain in seiner Reigung und er steht ihr noch eben so gegenüber, wie zu Anfang ihrer Bekanntschaft. Sollte er bereits gewarnt seyn? aber durch wen? denn wer kennt außer mir diese Menschen und diese Verhält-
ſie den Eintritt Arnolds vermuthet, davor, als hätte ſie eben daran gearbeitet. Wenn er aber ſo unglück- lich wäre, in die ihm gelegte Schlinge zu gehen — was Gott verhüthen wolle! — wenn er dieſe Buh- lerin wirklich zu ſeiner Gattin machte, wie ſollte es dann ſpäter werden, wenn er, was nicht ausbleiben könnte, den ihm geſpielten Betrug entdeckte? Sollte Marie in dem Grade leichtſinnig ſeyn, daß ſie nicht ein einziges Mal daran dächte, nicht vor dem Gedan- ken an die Verachtung, die ſie dann treffen würde, erzitterte? Giebt es denn, wie es Menſchen ohne Ge- wiſſen giebt, auch welche ohne Scham?
Mit jedem Tage werde ich mehr in meiner guten Meinung von dieſem jungen Manne beſtärkt: er ſcheint durchaus edel, gefühlvoll und gebildet zu ſeyn, auch über ſeine Jahre hinaus klug. Jrre ich mich nicht, ſo durchſchaut er das Spiel der Beiden, denn obgleich ich nicht länger daran zweifeln kann, daß Marie ihn auf ihre Art liebt, und obgleich ſie ihm auf alle Weiſe entgegenkömmt, ſo gewinnt ſie doch kein Ter- rain in ſeiner Reigung und er ſteht ihr noch eben ſo gegenüber, wie zu Anfang ihrer Bekanntſchaft. Sollte er bereits gewarnt ſeyn? aber durch wen? denn wer kennt außer mir dieſe Menſchen und dieſe Verhält-
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ſie den Eintritt Arnolds vermuthet, davor, als hätte
ſie eben daran gearbeitet. Wenn er aber ſo unglück-
lich wäre, in die ihm gelegte Schlinge zu gehen —
was Gott verhüthen wolle! — wenn er dieſe Buh-
lerin wirklich zu ſeiner Gattin machte, wie ſollte es
dann ſpäter werden, wenn er, was nicht ausbleiben
könnte, den ihm geſpielten Betrug entdeckte? Sollte
Marie in dem Grade leichtſinnig ſeyn, daß ſie nicht
ein einziges Mal daran dächte, nicht vor dem Gedan-
ken an die Verachtung, die ſie dann treffen würde,
erzitterte? Giebt es denn, wie es Menſchen ohne Ge-
wiſſen giebt, auch welche ohne Scham?
Mit jedem Tage werde ich mehr in meiner guten
Meinung von dieſem jungen Manne beſtärkt: er ſcheint
durchaus edel, gefühlvoll und gebildet zu ſeyn, auch
über ſeine Jahre hinaus klug. Jrre ich mich nicht,
ſo durchſchaut er das Spiel der Beiden, denn obgleich
ich nicht länger daran zweifeln kann, daß Marie ihn
auf ihre Art liebt, und obgleich ſie ihm auf alle
Weiſe entgegenkömmt, ſo gewinnt ſie doch kein Ter-
rain in ſeiner Reigung und er ſteht ihr noch eben ſo
gegenüber, wie zu Anfang ihrer Bekanntſchaft. Sollte
er bereits gewarnt ſeyn? aber durch wen? denn wer
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet02_1846/164>, abgerufen am 16.02.2025.
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