Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 2. Jena, 1846.zu nahe treten wollte. Er hatte es am Bett des Va- Als aber sein eben noch so heiteres Auge sich -- "Sie fürchten sich vor mir, Dina?" fragte Jch vermochte ihm vor Furcht, vor innerm Be- zu nahe treten wollte. Er hatte es am Bett des Va- Als aber ſein eben noch ſo heiteres Auge ſich — „Sie fürchten ſich vor mir, Dina?“ fragte Jch vermochte ihm vor Furcht, vor innerm Be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0116" n="110"/> zu nahe treten wollte. Er hatte es am Bett des Va-<lb/> ters nicht gewagt, mich wie ſonſt zu behandeln, d. h.<lb/> mir Schmeicheleien zu ſagen, weil der Kranke bereits<lb/> lichte Augenblicke hatte und er als Arzt die Gefahr<lb/> am beſten kannte, der er ſich dadurch ausſetzen würde.<lb/> Er blieb aber in der geöffneten Thür ſtehen und be-<lb/> deutete mir durch einen Wink, daß ich zu ihm kom-<lb/> men ſollte. Mein Herz flog ihm entgegen, mein<lb/> Wille war ihm unterthan, allein trotz dem hatte ich<lb/> doch noch ſo viele Kraft und Selbſtbeherrſchung, ſo<lb/> viele Einſicht von meiner Lage dieſem Manne gegen-<lb/> über, daß ich ihm nicht gehorchte, ſondern neben dem<lb/> Bette des Kranken ſtehen blieb.</p><lb/> <p>Als aber ſein eben noch ſo heiteres Auge ſich<lb/> verfinſterte; als ſeine eben noch lächelnden Mienen ei-<lb/> nen traurigen Ausdruck annahmen; als er beide Hände,<lb/> wie flehend, kreuzweis auf ſeine Bruſt legte, da wi-<lb/> derſtand ich nicht länger, ſondern eilte zu ihm, wie<lb/> von einer unwiderſtehlichen Macht zu ihm hingezogen,<lb/> und folgte ihm in die Tiefe des Zimmers.</p><lb/> <p>— „Sie fürchten ſich vor mir, Dina?“ fragte<lb/> er mit einem Tone und einem Ausdruck der Stimme,<lb/> der vor allen Menſchen nur ihm allein zu Gebot<lb/> ſtand.</p><lb/> <p>Jch vermochte ihm vor Furcht, vor innerm Be-<lb/> ben, nicht zu beantworten. Er betrachtete mich mehre<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [110/0116]
zu nahe treten wollte. Er hatte es am Bett des Va-
ters nicht gewagt, mich wie ſonſt zu behandeln, d. h.
mir Schmeicheleien zu ſagen, weil der Kranke bereits
lichte Augenblicke hatte und er als Arzt die Gefahr
am beſten kannte, der er ſich dadurch ausſetzen würde.
Er blieb aber in der geöffneten Thür ſtehen und be-
deutete mir durch einen Wink, daß ich zu ihm kom-
men ſollte. Mein Herz flog ihm entgegen, mein
Wille war ihm unterthan, allein trotz dem hatte ich
doch noch ſo viele Kraft und Selbſtbeherrſchung, ſo
viele Einſicht von meiner Lage dieſem Manne gegen-
über, daß ich ihm nicht gehorchte, ſondern neben dem
Bette des Kranken ſtehen blieb.
Als aber ſein eben noch ſo heiteres Auge ſich
verfinſterte; als ſeine eben noch lächelnden Mienen ei-
nen traurigen Ausdruck annahmen; als er beide Hände,
wie flehend, kreuzweis auf ſeine Bruſt legte, da wi-
derſtand ich nicht länger, ſondern eilte zu ihm, wie
von einer unwiderſtehlichen Macht zu ihm hingezogen,
und folgte ihm in die Tiefe des Zimmers.
— „Sie fürchten ſich vor mir, Dina?“ fragte
er mit einem Tone und einem Ausdruck der Stimme,
der vor allen Menſchen nur ihm allein zu Gebot
ſtand.
Jch vermochte ihm vor Furcht, vor innerm Be-
ben, nicht zu beantworten. Er betrachtete mich mehre
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