Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

denn die Furcht, zu spät an dem bestimmten Platze
mit dem Schlachtopfer anzulangen -- und dies würde
ein unauslöschlicher Schimpf für den ganzen Stamm
gewesen seyn -- weckte ihn bald wieder auf. Nur
Arnold und die unglückliche Mutter waren gänzlich
wach geblieben. Letztere saß in einem Winkel des
Wigwams auf der Erde und hatte beide Arme, in
deren Händen ihr thränenschweres Haupt ruhte, auf
die Kniee gestützt; so saß sie unbeweglich und weinte
still vor sich hin; denn laut zu weinen oder wohl
gar zu schluchzen, würde sie nicht gewagt haben, weil
ihr das sicher Scheltworte vom Gatten und Vorwürfe
vom Sohne zugezogen hätte.

Nachdem Waupee kaum drei Stunden geruht,
erhob er sich vom Boden und trat vor die Thür der
Hütte hinaus, um zu sehen, wie weit es bereits an
der Zeit sei, und da der Untergang des Mondes und
der Stand der Gestirne ihn darüber belehrte, daß der
Anbruch des neuen Tages nicht mehr fern sei, weckte
er erst mit lauter Stimme die Schläfer im Wigwam
und ließ dann die Töne eines großen, mächtig schal-
lenden Horns, das Aehnlichkeit mit unserm Kuhhorn
hatte, ertönen, um auch die Schläfer in den andern
Hütten zu erwecken.

Es dauerte nur wenige Minuten, so füllte sich
der Platz vor Waupees Wigwam mit Männern, Grei-

denn die Furcht, zu ſpät an dem beſtimmten Platze
mit dem Schlachtopfer anzulangen — und dies würde
ein unauslöſchlicher Schimpf für den ganzen Stamm
geweſen ſeyn — weckte ihn bald wieder auf. Nur
Arnold und die unglückliche Mutter waren gänzlich
wach geblieben. Letztere ſaß in einem Winkel des
Wigwams auf der Erde und hatte beide Arme, in
deren Händen ihr thränenſchweres Haupt ruhte, auf
die Kniee geſtützt; ſo ſaß ſie unbeweglich und weinte
ſtill vor ſich hin; denn laut zu weinen oder wohl
gar zu ſchluchzen, würde ſie nicht gewagt haben, weil
ihr das ſicher Scheltworte vom Gatten und Vorwürfe
vom Sohne zugezogen hätte.

Nachdem Waupee kaum drei Stunden geruht,
erhob er ſich vom Boden und trat vor die Thür der
Hütte hinaus, um zu ſehen, wie weit es bereits an
der Zeit ſei, und da der Untergang des Mondes und
der Stand der Geſtirne ihn darüber belehrte, daß der
Anbruch des neuen Tages nicht mehr fern ſei, weckte
er erſt mit lauter Stimme die Schläfer im Wigwam
und ließ dann die Töne eines großen, mächtig ſchal-
lenden Horns, das Aehnlichkeit mit unſerm Kuhhorn
hatte, ertönen, um auch die Schläfer in den andern
Hütten zu erwecken.

Es dauerte nur wenige Minuten, ſo füllte ſich
der Platz vor Waupees Wigwam mit Männern, Grei-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0036" n="28"/>
denn die Furcht, zu &#x017F;pät an dem be&#x017F;timmten Platze<lb/>
mit dem Schlachtopfer anzulangen &#x2014; und dies würde<lb/>
ein unauslö&#x017F;chlicher Schimpf für den ganzen Stamm<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;eyn &#x2014; weckte ihn bald wieder auf. Nur<lb/>
Arnold und die unglückliche Mutter waren gänzlich<lb/>
wach geblieben. Letztere &#x017F;aß in einem Winkel des<lb/>
Wigwams auf der Erde und hatte beide Arme, in<lb/>
deren Händen ihr thränen&#x017F;chweres Haupt ruhte, auf<lb/>
die Kniee ge&#x017F;tützt; &#x017F;o &#x017F;&#x017F;ie unbeweglich und weinte<lb/>
&#x017F;till vor &#x017F;ich hin; denn laut zu weinen oder wohl<lb/>
gar zu &#x017F;chluchzen, würde &#x017F;ie nicht gewagt haben, weil<lb/>
ihr das &#x017F;icher Scheltworte vom Gatten und Vorwürfe<lb/>
vom Sohne zugezogen hätte.</p><lb/>
        <p>Nachdem Waupee kaum drei Stunden geruht,<lb/>
erhob er &#x017F;ich vom Boden und trat vor die Thür der<lb/>
Hütte hinaus, um zu &#x017F;ehen, wie weit es bereits an<lb/>
der Zeit &#x017F;ei, und da der Untergang des Mondes und<lb/>
der Stand der Ge&#x017F;tirne ihn darüber belehrte, daß der<lb/>
Anbruch des neuen Tages nicht mehr fern &#x017F;ei, weckte<lb/>
er er&#x017F;t mit lauter Stimme die Schläfer im Wigwam<lb/>
und ließ dann die Töne eines großen, mächtig &#x017F;chal-<lb/>
lenden Horns, das Aehnlichkeit mit un&#x017F;erm Kuhhorn<lb/>
hatte, ertönen, um auch die Schläfer in den andern<lb/>
Hütten zu erwecken.</p><lb/>
        <p>Es dauerte nur wenige Minuten, &#x017F;o füllte &#x017F;ich<lb/>
der Platz vor Waupees Wigwam mit Männern, Grei-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0036] denn die Furcht, zu ſpät an dem beſtimmten Platze mit dem Schlachtopfer anzulangen — und dies würde ein unauslöſchlicher Schimpf für den ganzen Stamm geweſen ſeyn — weckte ihn bald wieder auf. Nur Arnold und die unglückliche Mutter waren gänzlich wach geblieben. Letztere ſaß in einem Winkel des Wigwams auf der Erde und hatte beide Arme, in deren Händen ihr thränenſchweres Haupt ruhte, auf die Kniee geſtützt; ſo ſaß ſie unbeweglich und weinte ſtill vor ſich hin; denn laut zu weinen oder wohl gar zu ſchluchzen, würde ſie nicht gewagt haben, weil ihr das ſicher Scheltworte vom Gatten und Vorwürfe vom Sohne zugezogen hätte. Nachdem Waupee kaum drei Stunden geruht, erhob er ſich vom Boden und trat vor die Thür der Hütte hinaus, um zu ſehen, wie weit es bereits an der Zeit ſei, und da der Untergang des Mondes und der Stand der Geſtirne ihn darüber belehrte, daß der Anbruch des neuen Tages nicht mehr fern ſei, weckte er erſt mit lauter Stimme die Schläfer im Wigwam und ließ dann die Töne eines großen, mächtig ſchal- lenden Horns, das Aehnlichkeit mit unſerm Kuhhorn hatte, ertönen, um auch die Schläfer in den andern Hütten zu erwecken. Es dauerte nur wenige Minuten, ſo füllte ſich der Platz vor Waupees Wigwam mit Männern, Grei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/36
Zitationshilfe: Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/36>, abgerufen am 24.11.2024.