Dies Alles entging Arnolds Blicken nicht und Joe Smith bemerkte recht gut, welches Jnteresse jener an der armen Kranken nahm. Der erstere athmete erst frei auf, als Dina, nachdem sie den Nachtisch des überaus splendiden Mahls aufgetragen, sich gänz- lich aus dem Zimmer zurückgezogen hatte.
-- "Nicht wahr," nahm jetzt der Prophet, ge- gen seinen Gast gewendet, mit mitleidigem Tone das Wort, "nicht wahr, der Zustand der Armen, die uns soeben verlassen hat, flößt auch Jhnen eine leb- hafte Theilnahme ein?"
-- "Die allerinnigste," antwortete Arnold rasch, "und ich gestehe, daß es mir fast peinlich ist, diese dem Grabe bereits Verfallene noch Dienste leisten und sich so abmühen zu sehen. Mich dünkt, sie sollte sich in ihrem Kämmerlein einschließen, zu Gott beten und sich auf den großen Schritt vorbereiten, den sie in Kurzem thun wird, aber nicht mehr thätig in das Leben eingreifen, das nichts mehr von ihr wissen will. Die Wirksamkeit der Sterbenden hat von jeher etwas Grausenhaftes für mich gehabt und dieses unheimliche Gefühl ergriff mich auch beim Anblick der regen Ge- schäftigkeit dieser Unglücklichen."
-- "Wie sehr theile ich dieses Gefühl mit Jhnen, mein junger Freund," nahm Joe Smith mit gerühr- ter Stimme das Wort, "und was würde ich nicht
Dies Alles entging Arnolds Blicken nicht und Joe Smith bemerkte recht gut, welches Jntereſſe jener an der armen Kranken nahm. Der erſtere athmete erſt frei auf, als Dina, nachdem ſie den Nachtiſch des überaus ſplendiden Mahls aufgetragen, ſich gänz- lich aus dem Zimmer zurückgezogen hatte.
— „Nicht wahr,“ nahm jetzt der Prophet, ge- gen ſeinen Gaſt gewendet, mit mitleidigem Tone das Wort, „nicht wahr, der Zuſtand der Armen, die uns ſoeben verlaſſen hat, flößt auch Jhnen eine leb- hafte Theilnahme ein?“
— „Die allerinnigſte,“ antwortete Arnold raſch, „und ich geſtehe, daß es mir faſt peinlich iſt, dieſe dem Grabe bereits Verfallene noch Dienſte leiſten und ſich ſo abmühen zu ſehen. Mich dünkt, ſie ſollte ſich in ihrem Kämmerlein einſchließen, zu Gott beten und ſich auf den großen Schritt vorbereiten, den ſie in Kurzem thun wird, aber nicht mehr thätig in das Leben eingreifen, das nichts mehr von ihr wiſſen will. Die Wirkſamkeit der Sterbenden hat von jeher etwas Grauſenhaftes für mich gehabt und dieſes unheimliche Gefühl ergriff mich auch beim Anblick der regen Ge- ſchäftigkeit dieſer Unglücklichen.“
— „Wie ſehr theile ich dieſes Gefühl mit Jhnen, mein junger Freund,“ nahm Joe Smith mit gerühr- ter Stimme das Wort, „und was würde ich nicht
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Dies Alles entging Arnolds Blicken nicht und
Joe Smith bemerkte recht gut, welches Jntereſſe jener
an der armen Kranken nahm. Der erſtere athmete
erſt frei auf, als Dina, nachdem ſie den Nachtiſch
des überaus ſplendiden Mahls aufgetragen, ſich gänz-
lich aus dem Zimmer zurückgezogen hatte.
— „Nicht wahr,“ nahm jetzt der Prophet, ge-
gen ſeinen Gaſt gewendet, mit mitleidigem Tone das
Wort, „nicht wahr, der Zuſtand der Armen, die
uns ſoeben verlaſſen hat, flößt auch Jhnen eine leb-
hafte Theilnahme ein?“
— „Die allerinnigſte,“ antwortete Arnold raſch,
„und ich geſtehe, daß es mir faſt peinlich iſt, dieſe
dem Grabe bereits Verfallene noch Dienſte leiſten und
ſich ſo abmühen zu ſehen. Mich dünkt, ſie ſollte ſich
in ihrem Kämmerlein einſchließen, zu Gott beten und
ſich auf den großen Schritt vorbereiten, den ſie in
Kurzem thun wird, aber nicht mehr thätig in das
Leben eingreifen, das nichts mehr von ihr wiſſen will.
Die Wirkſamkeit der Sterbenden hat von jeher etwas
Grauſenhaftes für mich gehabt und dieſes unheimliche
Gefühl ergriff mich auch beim Anblick der regen Ge-
ſchäftigkeit dieſer Unglücklichen.“
— „Wie ſehr theile ich dieſes Gefühl mit Jhnen,
mein junger Freund,“ nahm Joe Smith mit gerühr-
ter Stimme das Wort, „und was würde ich nicht
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Schoppe, Amalie: Der Prophet. Bd. 1. Jena, 1846, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoppe_prophet01_1846/122>, abgerufen am 28.07.2024.
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