Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

der Burg hervor, ein Hirte der dicht neben ihnen
auf grünem Hügel seine Schaafe hütet, achtet ihrer
nicht, und auch sie ziehen an ihm vorüber, dem
Orte zu, wo schon der blutige Mord der Unschuld
begann. Verzweiflende Mütter wollen dort ihre
Kinder vertheidigen, andere suchen sich mit ihren
Säuglingen durch schleunige Flucht zu retten. Eine
von ihnen entflieht mit dem Kinde durch die Hinter-
thüre des Hauses, während die Krieger schon die
vordere Thüre desselben erstürmen, eine andere
ringt verzweiflend die Hände über die kleine Leiche
welche vor ihr im Grase liegt. Jnzwischen geht das
Treiben der Menschen in der Umgegend dieses un-
glücklichen Ortes seinen gewohnten Gang; eben wie
in der Wirklichkeit, wo auch oft neben dem höchsten
Schmerz der tiefste Friede wohnt. Die Leute
erndten, säen, tragen Korn zur Mühle, fleißige
Bienen schwärmen, einige Krieger die von dem
blutigen Tagewerk zurückkommen, beschenken einen
Armen dem sie begegnen, ein anderer Krieger steht
neben einem Bürger, und guckt mit ihm recht für
die Langeweile in einen Brunnen hinein. Alles

der Burg hervor, ein Hirte der dicht neben ihnen
auf grünem Hügel ſeine Schaafe hütet, achtet ihrer
nicht, und auch ſie ziehen an ihm vorüber, dem
Orte zu, wo ſchon der blutige Mord der Unſchuld
begann. Verzweiflende Mütter wollen dort ihre
Kinder vertheidigen, andere ſuchen ſich mit ihren
Säuglingen durch ſchleunige Flucht zu retten. Eine
von ihnen entflieht mit dem Kinde durch die Hinter-
thüre des Hauſes, während die Krieger ſchon die
vordere Thüre deſſelben erſtürmen, eine andere
ringt verzweiflend die Hände über die kleine Leiche
welche vor ihr im Graſe liegt. Jnzwiſchen geht das
Treiben der Menſchen in der Umgegend dieſes un-
glücklichen Ortes ſeinen gewohnten Gang; eben wie
in der Wirklichkeit, wo auch oft neben dem höchſten
Schmerz der tiefſte Friede wohnt. Die Leute
erndten, ſäen, tragen Korn zur Mühle, fleißige
Bienen ſchwärmen, einige Krieger die von dem
blutigen Tagewerk zurückkommen, beſchenken einen
Armen dem ſie begegnen, ein anderer Krieger ſteht
neben einem Bürger, und guckt mit ihm recht für
die Langeweile in einen Brunnen hinein. Alles

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0092" n="82"/>
der Burg hervor, ein Hirte der dicht neben ihnen<lb/>
auf grünem Hügel &#x017F;eine Schaafe hütet, achtet ihrer<lb/>
nicht, und auch &#x017F;ie ziehen an ihm vorüber, dem<lb/>
Orte zu, wo &#x017F;chon der blutige Mord der Un&#x017F;chuld<lb/>
begann. Verzweiflende Mütter wollen dort ihre<lb/>
Kinder vertheidigen, andere &#x017F;uchen &#x017F;ich mit ihren<lb/>
Säuglingen durch &#x017F;chleunige Flucht zu retten. Eine<lb/>
von ihnen entflieht mit dem Kinde durch die Hinter-<lb/>
thüre des Hau&#x017F;es, während die Krieger &#x017F;chon die<lb/>
vordere Thüre de&#x017F;&#x017F;elben er&#x017F;türmen, eine andere<lb/>
ringt verzweiflend die Hände über die kleine Leiche<lb/>
welche vor ihr im Gra&#x017F;e liegt. Jnzwi&#x017F;chen geht das<lb/>
Treiben der Men&#x017F;chen in der Umgegend die&#x017F;es un-<lb/>
glücklichen Ortes &#x017F;einen gewohnten Gang; eben wie<lb/>
in der Wirklichkeit, wo auch oft neben dem höch&#x017F;ten<lb/>
Schmerz der tief&#x017F;te Friede wohnt. Die Leute<lb/>
erndten, &#x017F;äen, tragen Korn zur Mühle, fleißige<lb/>
Bienen &#x017F;chwärmen, einige Krieger die von dem<lb/>
blutigen Tagewerk zurückkommen, be&#x017F;chenken einen<lb/>
Armen dem &#x017F;ie begegnen, ein anderer Krieger &#x017F;teht<lb/>
neben einem Bürger, und guckt mit ihm recht für<lb/>
die Langeweile in einen Brunnen hinein. Alles<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[82/0092] der Burg hervor, ein Hirte der dicht neben ihnen auf grünem Hügel ſeine Schaafe hütet, achtet ihrer nicht, und auch ſie ziehen an ihm vorüber, dem Orte zu, wo ſchon der blutige Mord der Unſchuld begann. Verzweiflende Mütter wollen dort ihre Kinder vertheidigen, andere ſuchen ſich mit ihren Säuglingen durch ſchleunige Flucht zu retten. Eine von ihnen entflieht mit dem Kinde durch die Hinter- thüre des Hauſes, während die Krieger ſchon die vordere Thüre deſſelben erſtürmen, eine andere ringt verzweiflend die Hände über die kleine Leiche welche vor ihr im Graſe liegt. Jnzwiſchen geht das Treiben der Menſchen in der Umgegend dieſes un- glücklichen Ortes ſeinen gewohnten Gang; eben wie in der Wirklichkeit, wo auch oft neben dem höchſten Schmerz der tiefſte Friede wohnt. Die Leute erndten, ſäen, tragen Korn zur Mühle, fleißige Bienen ſchwärmen, einige Krieger die von dem blutigen Tagewerk zurückkommen, beſchenken einen Armen dem ſie begegnen, ein anderer Krieger ſteht neben einem Bürger, und guckt mit ihm recht für die Langeweile in einen Brunnen hinein. Alles

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/92
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/92>, abgerufen am 25.11.2024.