Geiste verwandt, der aus ihnen, Leben athmend, ihm entgegen trat, und Muth und Hoffnung loder- ten immer heller in ihm auf.
Es war ihm nicht möglich, die Monden seines Aufenthalts in Rom zu zählen oder abzukürzen, ob- gleich das Bild seiner fernen Geliebten ihm hier fast sichtbar vorschwebte, wo er in tausendfacher Gestalt überall sie wieder zu erkennen glaubte. Doch er fühlte, wie jeder Tag dem Ziele ihn näher führte; dieß gab ihm Kraft, die tiefe Sehnsucht zu beherrschen, die ihn oft zurück über die Alpen zog, und so weilte er noch in Rom, als im Jahr 1522 Leo des zehnten Nachfolger, Adrian der sechste, den päpstlichen Thron bestieg. Glück und Talent hatten diesem aus dem Staube des tiefsten Dunkels den Weg zum damals höchsten Gipfel irdi- scher Größe gebahnt. Er war, wie Schoreel, in Hol- land geboren, der Sohn eines armen Webers aus Utrecht; es war sogar möglich, daß er in seiner Jugend noch die Eltern Schoreels gekannt hatte, wenigstens ehrte er in diesem wahrscheinlich den Landsmann nicht weniger als den Künstler, und
Geiſte verwandt, der aus ihnen, Leben athmend, ihm entgegen trat, und Muth und Hoffnung loder- ten immer heller in ihm auf.
Es war ihm nicht möglich, die Monden ſeines Aufenthalts in Rom zu zählen oder abzukürzen, ob- gleich das Bild ſeiner fernen Geliebten ihm hier faſt ſichtbar vorſchwebte, wo er in tauſendfacher Geſtalt überall ſie wieder zu erkennen glaubte. Doch er fühlte, wie jeder Tag dem Ziele ihn näher führte; dieß gab ihm Kraft, die tiefe Sehnſucht zu beherrſchen, die ihn oft zurück über die Alpen zog, und ſo weilte er noch in Rom, als im Jahr 1522 Leo des zehnten Nachfolger, Adrian der ſechſte, den päpſtlichen Thron beſtieg. Glück und Talent hatten dieſem aus dem Staube des tiefſten Dunkels den Weg zum damals höchſten Gipfel irdi- ſcher Größe gebahnt. Er war, wie Schoreel, in Hol- land geboren, der Sohn eines armen Webers aus Utrecht; es war ſogar möglich, daß er in ſeiner Jugend noch die Eltern Schoreels gekannt hatte, wenigſtens ehrte er in dieſem wahrſcheinlich den Landsmann nicht weniger als den Künſtler, und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0074"n="64"/>
Geiſte verwandt, der aus ihnen, Leben athmend,<lb/>
ihm entgegen trat, und Muth und Hoffnung loder-<lb/>
ten immer heller in ihm auf.</p><lb/><p>Es war ihm nicht möglich, die Monden ſeines<lb/>
Aufenthalts in Rom zu zählen oder abzukürzen, ob-<lb/>
gleich das Bild ſeiner fernen Geliebten ihm hier<lb/>
faſt ſichtbar vorſchwebte, wo er in tauſendfacher<lb/>
Geſtalt überall ſie wieder zu erkennen glaubte. Doch<lb/>
er fühlte, wie jeder Tag dem Ziele ihn näher<lb/>
führte; dieß gab ihm Kraft, die tiefe Sehnſucht<lb/>
zu beherrſchen, die ihn oft zurück über die Alpen<lb/>
zog, und ſo weilte er noch in Rom, als im Jahr<lb/>
1522 Leo des zehnten Nachfolger, Adrian der<lb/>ſechſte, den päpſtlichen Thron beſtieg. Glück und<lb/>
Talent hatten dieſem aus dem Staube des tiefſten<lb/>
Dunkels den Weg zum damals höchſten Gipfel irdi-<lb/>ſcher Größe gebahnt. Er war, wie Schoreel, in Hol-<lb/>
land geboren, der Sohn eines armen Webers aus<lb/>
Utrecht; es war ſogar möglich, daß er in ſeiner<lb/>
Jugend noch die Eltern Schoreels gekannt hatte,<lb/>
wenigſtens ehrte er in dieſem wahrſcheinlich den<lb/>
Landsmann nicht weniger als den Künſtler, und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[64/0074]
Geiſte verwandt, der aus ihnen, Leben athmend,
ihm entgegen trat, und Muth und Hoffnung loder-
ten immer heller in ihm auf.
Es war ihm nicht möglich, die Monden ſeines
Aufenthalts in Rom zu zählen oder abzukürzen, ob-
gleich das Bild ſeiner fernen Geliebten ihm hier
faſt ſichtbar vorſchwebte, wo er in tauſendfacher
Geſtalt überall ſie wieder zu erkennen glaubte. Doch
er fühlte, wie jeder Tag dem Ziele ihn näher
führte; dieß gab ihm Kraft, die tiefe Sehnſucht
zu beherrſchen, die ihn oft zurück über die Alpen
zog, und ſo weilte er noch in Rom, als im Jahr
1522 Leo des zehnten Nachfolger, Adrian der
ſechſte, den päpſtlichen Thron beſtieg. Glück und
Talent hatten dieſem aus dem Staube des tiefſten
Dunkels den Weg zum damals höchſten Gipfel irdi-
ſcher Größe gebahnt. Er war, wie Schoreel, in Hol-
land geboren, der Sohn eines armen Webers aus
Utrecht; es war ſogar möglich, daß er in ſeiner
Jugend noch die Eltern Schoreels gekannt hatte,
wenigſtens ehrte er in dieſem wahrſcheinlich den
Landsmann nicht weniger als den Künſtler, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/74>, abgerufen am 29.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.