auf keinem seiner Gemälde ängstlicher Fleiß oder gezwungene Mühseligkeit hervor. Sein Kolorit ist die Wahrheit selbst, besonders in den Lokaltinten des Fleisches, es ist warm und kräftig, blühend und zart, wie es jedesmal der dargestellte Gegen- stand erfordert; jedoch fallen die Schatten zuweilen ein wenig ins Graue; seine oft schneidend strengen Umrisse sind ebenfalls durchaus nicht unangenehm, weil sie auf Bedeutung abzwecken und keineswegs steif sind. Seine Gewänder, wie aller dabei an- gebrachte Schmuck von Gold und Edelsteinen, prangen in glänzenden Farben, und sind mit Treue und Sorgfalt gemalt, aber die Falten erscheinen größtentheils in sanften weichen Biegungen und Brüchen, man vermißt fast durchaus den grosartigen weiten schönen Faltenwurf, den wir bei den ersten Meistern der alten deutschen Schule so oft bewun- dern müssen. Selten strebte er, das Kostum früherer Zeit oder fremder Nationen beizubehalten, er modernisirte das Alterthum, und hielt sich fast immer an das, was gerade zu seiner Zeit und in seiner Nähe gebräuchlich war, ohne sich um andere
auf keinem ſeiner Gemälde ängſtlicher Fleiß oder gezwungene Mühſeligkeit hervor. Sein Kolorit iſt die Wahrheit ſelbſt, beſonders in den Lokaltinten des Fleiſches, es iſt warm und kräftig, blühend und zart, wie es jedesmal der dargeſtellte Gegen- ſtand erfordert; jedoch fallen die Schatten zuweilen ein wenig ins Graue; ſeine oft ſchneidend ſtrengen Umriſſe ſind ebenfalls durchaus nicht unangenehm, weil ſie auf Bedeutung abzwecken und keineswegs ſteif ſind. Seine Gewänder, wie aller dabei an- gebrachte Schmuck von Gold und Edelſteinen, prangen in glänzenden Farben, und ſind mit Treue und Sorgfalt gemalt, aber die Falten erſcheinen größtentheils in ſanften weichen Biegungen und Brüchen, man vermißt faſt durchaus den grosartigen weiten ſchönen Faltenwurf, den wir bei den erſten Meiſtern der alten deutſchen Schule ſo oft bewun- dern müſſen. Selten ſtrebte er, das Koſtum früherer Zeit oder fremder Nationen beizubehalten, er moderniſirte das Alterthum, und hielt ſich faſt immer an das, was gerade zu ſeiner Zeit und in ſeiner Nähe gebräuchlich war, ohne ſich um andere
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0133"n="123"/>
auf keinem ſeiner Gemälde ängſtlicher Fleiß oder<lb/>
gezwungene Mühſeligkeit hervor. Sein Kolorit iſt<lb/>
die Wahrheit ſelbſt, beſonders in den Lokaltinten<lb/>
des Fleiſches, es iſt warm und kräftig, blühend<lb/>
und zart, wie es jedesmal der dargeſtellte Gegen-<lb/>ſtand erfordert; jedoch fallen die Schatten zuweilen<lb/>
ein wenig ins Graue; ſeine oft ſchneidend ſtrengen<lb/>
Umriſſe ſind ebenfalls durchaus nicht unangenehm,<lb/>
weil ſie auf Bedeutung abzwecken und keineswegs<lb/>ſteif ſind. Seine Gewänder, wie aller dabei an-<lb/>
gebrachte Schmuck von Gold und Edelſteinen,<lb/>
prangen in glänzenden Farben, und ſind mit Treue<lb/>
und Sorgfalt gemalt, aber die Falten erſcheinen<lb/>
größtentheils in ſanften weichen Biegungen und<lb/>
Brüchen, man vermißt faſt durchaus den grosartigen<lb/>
weiten ſchönen Faltenwurf, den wir bei den erſten<lb/>
Meiſtern der alten deutſchen Schule ſo oft bewun-<lb/>
dern müſſen. Selten ſtrebte er, das Koſtum<lb/>
früherer Zeit oder fremder Nationen beizubehalten,<lb/>
er moderniſirte das Alterthum, und hielt ſich faſt<lb/>
immer an das, was gerade zu ſeiner Zeit und in<lb/>ſeiner Nähe gebräuchlich war, ohne ſich um andere<lb/></p></div></body></text></TEI>
[123/0133]
auf keinem ſeiner Gemälde ängſtlicher Fleiß oder
gezwungene Mühſeligkeit hervor. Sein Kolorit iſt
die Wahrheit ſelbſt, beſonders in den Lokaltinten
des Fleiſches, es iſt warm und kräftig, blühend
und zart, wie es jedesmal der dargeſtellte Gegen-
ſtand erfordert; jedoch fallen die Schatten zuweilen
ein wenig ins Graue; ſeine oft ſchneidend ſtrengen
Umriſſe ſind ebenfalls durchaus nicht unangenehm,
weil ſie auf Bedeutung abzwecken und keineswegs
ſteif ſind. Seine Gewänder, wie aller dabei an-
gebrachte Schmuck von Gold und Edelſteinen,
prangen in glänzenden Farben, und ſind mit Treue
und Sorgfalt gemalt, aber die Falten erſcheinen
größtentheils in ſanften weichen Biegungen und
Brüchen, man vermißt faſt durchaus den grosartigen
weiten ſchönen Faltenwurf, den wir bei den erſten
Meiſtern der alten deutſchen Schule ſo oft bewun-
dern müſſen. Selten ſtrebte er, das Koſtum
früherer Zeit oder fremder Nationen beizubehalten,
er moderniſirte das Alterthum, und hielt ſich faſt
immer an das, was gerade zu ſeiner Zeit und in
ſeiner Nähe gebräuchlich war, ohne ſich um andere
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/133>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.