sten Verehrung seiner Nachkommen werth, und auch seinen wohlerworbnen Künstlerruhm wird Nie- mand wagen ihm schmälern zu wollen. Dennoch fühlt Jeder, der seine Gemälde und die seiner großen Vorfahren kennt, daß es wahrhaft schmerzlich seyn müßte, sie neben denen van Eycks, Hemlings, oder auch seines Zeitgenossen Schoreels aufgestellt zu erblicken, und zwar um so schmerzlicher, da Nie- mand sein großes Talent neben dem ernsten, zum Theil auch gelungnen Bestreben verkennen kann, gleich jenen an Natur und Wahrheit fest zu halten. Aber ihm fehlte, bei auffallendem Mangel an Kennt- niß der Perspektive, jene hohe poetische Begeisterung, jenes innere Vermögen, ein Werk, ehe es nur noch im Kontur auf der Tafel steht, im Geiste als vollen- det zu überschauen. Und durch dieses allein nur kann ein vollkommnes lebendiges Ganze hervor- gebracht werden, das uns mit täuschender Wahr- heit in die Mitte der Handlung versetzt, welche wir dargestellt sehen. Alle Gestalten Lukas Kranachs stehen im hellsten Licht, die wenigen Schatten, die er als unvermeidlich anbringen mußte, sind oft un-
ſten Verehrung ſeiner Nachkommen werth, und auch ſeinen wohlerworbnen Künſtlerruhm wird Nie- mand wagen ihm ſchmälern zu wollen. Dennoch fühlt Jeder, der ſeine Gemälde und die ſeiner großen Vorfahren kennt, daß es wahrhaft ſchmerzlich ſeyn müßte, ſie neben denen van Eycks, Hemlings, oder auch ſeines Zeitgenoſſen Schoreels aufgeſtellt zu erblicken, und zwar um ſo ſchmerzlicher, da Nie- mand ſein großes Talent neben dem ernſten, zum Theil auch gelungnen Beſtreben verkennen kann, gleich jenen an Natur und Wahrheit feſt zu halten. Aber ihm fehlte, bei auffallendem Mangel an Kennt- niß der Perſpektive, jene hohe poetiſche Begeiſterung, jenes innere Vermögen, ein Werk, ehe es nur noch im Kontur auf der Tafel ſteht, im Geiſte als vollen- det zu überſchauen. Und durch dieſes allein nur kann ein vollkommnes lebendiges Ganze hervor- gebracht werden, das uns mit täuſchender Wahr- heit in die Mitte der Handlung verſetzt, welche wir dargeſtellt ſehen. Alle Geſtalten Lukas Kranachs ſtehen im hellſten Licht, die wenigen Schatten, die er als unvermeidlich anbringen mußte, ſind oft un-
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ſten Verehrung ſeiner Nachkommen werth, und
auch ſeinen wohlerworbnen Künſtlerruhm wird Nie-
mand wagen ihm ſchmälern zu wollen. Dennoch
fühlt Jeder, der ſeine Gemälde und die ſeiner großen
Vorfahren kennt, daß es wahrhaft ſchmerzlich ſeyn
müßte, ſie neben denen van Eycks, Hemlings, oder
auch ſeines Zeitgenoſſen Schoreels aufgeſtellt zu
erblicken, und zwar um ſo ſchmerzlicher, da Nie-
mand ſein großes Talent neben dem ernſten, zum
Theil auch gelungnen Beſtreben verkennen kann,
gleich jenen an Natur und Wahrheit feſt zu halten.
Aber ihm fehlte, bei auffallendem Mangel an Kennt-
niß der Perſpektive, jene hohe poetiſche Begeiſterung,
jenes innere Vermögen, ein Werk, ehe es nur noch
im Kontur auf der Tafel ſteht, im Geiſte als vollen-
det zu überſchauen. Und durch dieſes allein nur
kann ein vollkommnes lebendiges Ganze hervor-
gebracht werden, das uns mit täuſchender Wahr-
heit in die Mitte der Handlung verſetzt, welche
wir dargeſtellt ſehen. Alle Geſtalten Lukas Kranachs
ſtehen im hellſten Licht, die wenigen Schatten, die
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/131>, abgerufen am 16.02.2025.
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