Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite

doch gewiß nicht durchaus erfreulich. Die Ent-
fernung allein, in welcher er von politischen und
Hofhändeln sich hielt, konnte Leben und Freiheit
unter dem Scepter dieses furchtbaren Despoten
ihm fristen, dem er freilich Alles verdankte, von
dem aber die Gräuel, die dieser täglich unter
seinen Augen verübte, ihn dennoch gewaltsam zu-
rückschrecken mußten. Er sah ein ganzes Land
unter den Bedrückungen des grausamsten engher-
zigsten und blutdürstigsten Wollüstlings erliegen.
Tausend blutige Verbrechen seines Beschützers gingen
an ihm vorüber. Er sah seinen edlen Freund,
Thomas Morus, den Gründer seines ganzen
Glücks, zum Blutgerüste schleppen, sah Anna Bo-
leyns schönes Haupt, dessen edle Züge er kurz
zuvor mit Aufwand aller seiner Kunst in der vollen
Glorie einer Königin der Nachwelt überliefert
hatte, unter dem Beile des Henkers fallen. Auch
Katharina Howard ging vor seinen Augen den
nämlichen Weg, vom Throne zum Schaffot; jeder
Tag brachte neues Entsetzen, neue Schlachtopfer,
neue Thränen, bis der königliche Mißethäter unter

doch gewiß nicht durchaus erfreulich. Die Ent-
fernung allein, in welcher er von politiſchen und
Hofhändeln ſich hielt, konnte Leben und Freiheit
unter dem Scepter dieſes furchtbaren Despoten
ihm friſten, dem er freilich Alles verdankte, von
dem aber die Gräuel, die dieſer täglich unter
ſeinen Augen verübte, ihn dennoch gewaltſam zu-
rückſchrecken mußten. Er ſah ein ganzes Land
unter den Bedrückungen des grauſamſten engher-
zigſten und blutdürſtigſten Wollüſtlings erliegen.
Tauſend blutige Verbrechen ſeines Beſchützers gingen
an ihm vorüber. Er ſah ſeinen edlen Freund,
Thomas Morus, den Gründer ſeines ganzen
Glücks, zum Blutgerüſte ſchleppen, ſah Anna Bo-
leyns ſchönes Haupt, deſſen edle Züge er kurz
zuvor mit Aufwand aller ſeiner Kunſt in der vollen
Glorie einer Königin der Nachwelt überliefert
hatte, unter dem Beile des Henkers fallen. Auch
Katharina Howard ging vor ſeinen Augen den
nämlichen Weg, vom Throne zum Schaffot; jeder
Tag brachte neues Entſetzen, neue Schlachtopfer,
neue Thränen, bis der königliche Mißethäter unter

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0114" n="104"/>
doch gewiß nicht durchaus erfreulich. Die Ent-<lb/>
fernung allein, in welcher er von politi&#x017F;chen und<lb/>
Hofhändeln &#x017F;ich hielt, konnte Leben und Freiheit<lb/>
unter dem Scepter die&#x017F;es furchtbaren Despoten<lb/>
ihm fri&#x017F;ten, dem er freilich Alles verdankte, von<lb/>
dem aber die Gräuel, die die&#x017F;er täglich unter<lb/>
&#x017F;einen Augen verübte, ihn dennoch gewalt&#x017F;am zu-<lb/>
rück&#x017F;chrecken mußten. Er &#x017F;ah ein ganzes Land<lb/>
unter den Bedrückungen des grau&#x017F;am&#x017F;ten engher-<lb/>
zig&#x017F;ten und blutdür&#x017F;tig&#x017F;ten Wollü&#x017F;tlings erliegen.<lb/>
Tau&#x017F;end blutige Verbrechen &#x017F;eines Be&#x017F;chützers gingen<lb/>
an ihm vorüber. Er &#x017F;ah &#x017F;einen edlen Freund,<lb/>
Thomas Morus, den Gründer &#x017F;eines ganzen<lb/>
Glücks, zum Blutgerü&#x017F;te &#x017F;chleppen, &#x017F;ah Anna Bo-<lb/>
leyns &#x017F;chönes Haupt, de&#x017F;&#x017F;en edle Züge er kurz<lb/>
zuvor mit Aufwand aller &#x017F;einer Kun&#x017F;t in der vollen<lb/>
Glorie einer Königin der Nachwelt überliefert<lb/>
hatte, unter dem Beile des Henkers fallen. Auch<lb/>
Katharina Howard ging vor &#x017F;einen Augen den<lb/>
nämlichen Weg, vom Throne zum Schaffot; jeder<lb/>
Tag brachte neues Ent&#x017F;etzen, neue Schlachtopfer,<lb/>
neue Thränen, bis der königliche Mißethäter unter<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0114] doch gewiß nicht durchaus erfreulich. Die Ent- fernung allein, in welcher er von politiſchen und Hofhändeln ſich hielt, konnte Leben und Freiheit unter dem Scepter dieſes furchtbaren Despoten ihm friſten, dem er freilich Alles verdankte, von dem aber die Gräuel, die dieſer täglich unter ſeinen Augen verübte, ihn dennoch gewaltſam zu- rückſchrecken mußten. Er ſah ein ganzes Land unter den Bedrückungen des grauſamſten engher- zigſten und blutdürſtigſten Wollüſtlings erliegen. Tauſend blutige Verbrechen ſeines Beſchützers gingen an ihm vorüber. Er ſah ſeinen edlen Freund, Thomas Morus, den Gründer ſeines ganzen Glücks, zum Blutgerüſte ſchleppen, ſah Anna Bo- leyns ſchönes Haupt, deſſen edle Züge er kurz zuvor mit Aufwand aller ſeiner Kunſt in der vollen Glorie einer Königin der Nachwelt überliefert hatte, unter dem Beile des Henkers fallen. Auch Katharina Howard ging vor ſeinen Augen den nämlichen Weg, vom Throne zum Schaffot; jeder Tag brachte neues Entſetzen, neue Schlachtopfer, neue Thränen, bis der königliche Mißethäter unter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/114
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 2. Frankfurt (Main), 1822, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck02_1822/114>, abgerufen am 23.11.2024.