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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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gleich einem lieben, zu ihm gehörenden Hausge-
nossen zu betrachten. Johann van Eyck fühlte die
Schwächen des Alters, er wußte seine Tage gezählt,
und hatte vielleicht lange schon nach einem würdigen
Erben des Geheimnisses sich gesehnt, das er, so
lange er lebte, zwar heilig bewahrte, von dem er
aber gewiß nicht wünschen konnte, es mit sich ins
Grab zu nehmen. Die beispiellose Treue, mit
welcher der in voller Kraft stehende jüngere Mann
der Kunst sein Leben geweiht hatte, erfüllte die
alte doch nicht erkaltete Brust des Greises mit
Liebe und Vertrauen, und Antonello sah in weit
kürzerer Zeit als er gehofft hatte den Gipfel aller
seiner Wünsche erreicht. Johann van Eyck öffnete
ihm die bisher Allen verschlossen gebliebne Werk-
statt, theilte ihm den ganzen reichen Schatz seiner
Erfahrungen mit, so viel Antonello davon zu fassen
vermochte, und ließ nicht nur unter seinen Augen
ihn malen, sondern erlaubte ihm auch Zeuge
seiner eignen wundervollen Arbeiten zu werden.
Rogier von Brügge, ebenfalls ein Schüler Johann
van Eycks, theilte dieses Glück mit Antonello,


gleich einem lieben, zu ihm gehörenden Hausge-
noſſen zu betrachten. Johann van Eyck fühlte die
Schwächen des Alters, er wußte ſeine Tage gezählt,
und hatte vielleicht lange ſchon nach einem würdigen
Erben des Geheimniſſes ſich geſehnt, das er, ſo
lange er lebte, zwar heilig bewahrte, von dem er
aber gewiß nicht wünſchen konnte, es mit ſich ins
Grab zu nehmen. Die beiſpielloſe Treue, mit
welcher der in voller Kraft ſtehende jüngere Mann
der Kunſt ſein Leben geweiht hatte, erfüllte die
alte doch nicht erkaltete Bruſt des Greiſes mit
Liebe und Vertrauen, und Antonello ſah in weit
kürzerer Zeit als er gehofft hatte den Gipfel aller
ſeiner Wünſche erreicht. Johann van Eyck öffnete
ihm die bisher Allen verſchloſſen gebliebne Werk-
ſtatt, theilte ihm den ganzen reichen Schatz ſeiner
Erfahrungen mit, ſo viel Antonello davon zu faſſen
vermochte, und ließ nicht nur unter ſeinen Augen
ihn malen, ſondern erlaubte ihm auch Zeuge
ſeiner eignen wundervollen Arbeiten zu werden.
Rogier von Brügge, ebenfalls ein Schüler Johann
van Eycks, theilte dieſes Glück mit Antonello,

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[78/0090] gleich einem lieben, zu ihm gehörenden Hausge- noſſen zu betrachten. Johann van Eyck fühlte die Schwächen des Alters, er wußte ſeine Tage gezählt, und hatte vielleicht lange ſchon nach einem würdigen Erben des Geheimniſſes ſich geſehnt, das er, ſo lange er lebte, zwar heilig bewahrte, von dem er aber gewiß nicht wünſchen konnte, es mit ſich ins Grab zu nehmen. Die beiſpielloſe Treue, mit welcher der in voller Kraft ſtehende jüngere Mann der Kunſt ſein Leben geweiht hatte, erfüllte die alte doch nicht erkaltete Bruſt des Greiſes mit Liebe und Vertrauen, und Antonello ſah in weit kürzerer Zeit als er gehofft hatte den Gipfel aller ſeiner Wünſche erreicht. Johann van Eyck öffnete ihm die bisher Allen verſchloſſen gebliebne Werk- ſtatt, theilte ihm den ganzen reichen Schatz ſeiner Erfahrungen mit, ſo viel Antonello davon zu faſſen vermochte, und ließ nicht nur unter ſeinen Augen ihn malen, ſondern erlaubte ihm auch Zeuge ſeiner eignen wundervollen Arbeiten zu werden. Rogier von Brügge, ebenfalls ein Schüler Johann van Eycks, theilte dieſes Glück mit Antonello,

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/90>, abgerufen am 24.11.2024.