wird, die entgegengesetzte Seite des Körpers aber sich in einem daneben gemalten Spiegel dergestalt zeigt, daß man den Rücken eben so sieht wie die Brust. Auf demselben Bilde ist eine Lampe in dem Badezimmer, als ob sie brenne; ein altes Weib welches zu schwitzen scheint; ein Hündchen das vom Wasser leckt; weiterhin sind Pferde, Menschen, sehr [kl]ein, Berge, Wälder, Dörfer, Schlösser, so künstlich ausgeführt, daß man meint, es sey jedes von dem andern funfzigtausend Schritte entfernt. Aber nichts in diesem Werk ist bewundernswürdiger als ein Spiegel, auf derselben Tafel gemalt, worin du Alles, was dort abgebildet ist, wie in einem wahren Spiegel siehst."
Jeder, der nur eines der uns erhaltnen Ge- mälde Johann van Eycks sah, wird dieser Be- schreibung der für die Welt verlornen Glauben bei- messen. Und auf welcher Höhe, in welcher Macht und Größe muß dann der gewaltige Geist eines Mannes vor uns stehen, der während eines einzigen beschränkten Menschenlebens diese lebende, ge- staltenreiche Welt hervorzurufen vermochte!
wird, die entgegengeſetzte Seite des Körpers aber ſich in einem daneben gemalten Spiegel dergeſtalt zeigt, daß man den Rücken eben ſo ſieht wie die Bruſt. Auf demſelben Bilde iſt eine Lampe in dem Badezimmer, als ob ſie brenne; ein altes Weib welches zu ſchwitzen ſcheint; ein Hündchen das vom Waſſer leckt; weiterhin ſind Pferde, Menſchen, ſehr [kl]ein, Berge, Wälder, Dörfer, Schlöſſer, ſo künſtlich ausgeführt, daß man meint, es ſey jedes von dem andern funfzigtauſend Schritte entfernt. Aber nichts in dieſem Werk iſt bewundernswürdiger als ein Spiegel, auf derſelben Tafel gemalt, worin du Alles, was dort abgebildet iſt, wie in einem wahren Spiegel ſiehſt.“
Jeder, der nur eines der uns erhaltnen Ge- mälde Johann van Eycks ſah, wird dieſer Be- ſchreibung der für die Welt verlornen Glauben bei- meſſen. Und auf welcher Höhe, in welcher Macht und Größe muß dann der gewaltige Geiſt eines Mannes vor uns ſtehen, der während eines einzigen beſchränkten Menſchenlebens dieſe lebende, ge- ſtaltenreiche Welt hervorzurufen vermochte!
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[74/0086]
wird, die entgegengeſetzte Seite des Körpers aber
ſich in einem daneben gemalten Spiegel dergeſtalt
zeigt, daß man den Rücken eben ſo ſieht wie die
Bruſt. Auf demſelben Bilde iſt eine Lampe in dem
Badezimmer, als ob ſie brenne; ein altes Weib
welches zu ſchwitzen ſcheint; ein Hündchen das vom
Waſſer leckt; weiterhin ſind Pferde, Menſchen, ſehr
klein, Berge, Wälder, Dörfer, Schlöſſer, ſo
künſtlich ausgeführt, daß man meint, es ſey jedes
von dem andern funfzigtauſend Schritte entfernt.
Aber nichts in dieſem Werk iſt bewundernswürdiger
als ein Spiegel, auf derſelben Tafel gemalt,
worin du Alles, was dort abgebildet iſt, wie in
einem wahren Spiegel ſiehſt.“
Jeder, der nur eines der uns erhaltnen Ge-
mälde Johann van Eycks ſah, wird dieſer Be-
ſchreibung der für die Welt verlornen Glauben bei-
meſſen. Und auf welcher Höhe, in welcher Macht
und Größe muß dann der gewaltige Geiſt eines
Mannes vor uns ſtehen, der während eines einzigen
beſchränkten Menſchenlebens dieſe lebende, ge-
ſtaltenreiche Welt hervorzurufen vermochte!
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/86>, abgerufen am 24.11.2024.
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