Lehrer seiner Jugend, den treuen Gehülfen seiner Arbeit, den Mitgenossen seines Ruhms. Er steht mit zum Gebet erhobnen Händen; leider hat das Bild mehr als die übrigen von der Gewalt der Zeit gelitten, die Züge des Gesichts sind nicht ganz deutlich erhalten, aber so wie es ist, zieht es durch Adel und Geist in Stellung und Form unwiderstehlich an. Ein rothes Gewand, bei übriger Farblosigkeit, zeichnet dieses Bild sonderbar aus.
Auf der fünften Tafel steht Johannes der Evangelist, mit seinem Attribut, dem Kelch, aus welchem eine Schlange emporsteigt; auf der sechsten endlich erblickt man eine Frau in der Fest-Tracht der damaligen Zeit. Auch sie steht in betender Stellung wie Hubert; man gibt diese, leider ebenfalls sehr verblichene Gestalt, für die Gattin eines der beiden Brüder van Eyck aus, ich aber möchte sie lieber für ihre Schwester, die zu ihrer Zeit berühmte jungfräuliche Künstlerin Margarethe halten, besonders da, so viel ich weiß, nirgend der Verheirathung Johannis oder Huberts erwähnt wird.
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Lehrer ſeiner Jugend, den treuen Gehülfen ſeiner Arbeit, den Mitgenoſſen ſeines Ruhms. Er ſteht mit zum Gebet erhobnen Händen; leider hat das Bild mehr als die übrigen von der Gewalt der Zeit gelitten, die Züge des Geſichts ſind nicht ganz deutlich erhalten, aber ſo wie es iſt, zieht es durch Adel und Geiſt in Stellung und Form unwiderſtehlich an. Ein rothes Gewand, bei übriger Farbloſigkeit, zeichnet dieſes Bild ſonderbar aus.
Auf der fünften Tafel ſteht Johannes der Evangeliſt, mit ſeinem Attribut, dem Kelch, aus welchem eine Schlange emporſteigt; auf der ſechſten endlich erblickt man eine Frau in der Feſt-Tracht der damaligen Zeit. Auch ſie ſteht in betender Stellung wie Hubert; man gibt dieſe, leider ebenfalls ſehr verblichene Geſtalt, für die Gattin eines der beiden Brüder van Eyck aus, ich aber möchte ſie lieber für ihre Schweſter, die zu ihrer Zeit berühmte jungfräuliche Künſtlerin Margarethe halten, beſonders da, ſo viel ich weiß, nirgend der Verheirathung Johannis oder Huberts erwähnt wird.
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Lehrer ſeiner Jugend, den treuen Gehülfen ſeiner
Arbeit, den Mitgenoſſen ſeines Ruhms. Er ſteht
mit zum Gebet erhobnen Händen; leider hat das
Bild mehr als die übrigen von der Gewalt der
Zeit gelitten, die Züge des Geſichts ſind nicht
ganz deutlich erhalten, aber ſo wie es iſt, zieht
es durch Adel und Geiſt in Stellung und Form
unwiderſtehlich an. Ein rothes Gewand, bei übriger
Farbloſigkeit, zeichnet dieſes Bild ſonderbar aus.
Auf der fünften Tafel ſteht Johannes der
Evangeliſt, mit ſeinem Attribut, dem Kelch, aus
welchem eine Schlange emporſteigt; auf der ſechſten
endlich erblickt man eine Frau in der Feſt-Tracht
der damaligen Zeit. Auch ſie ſteht in betender
Stellung wie Hubert; man gibt dieſe, leider
ebenfalls ſehr verblichene Geſtalt, für die Gattin
eines der beiden Brüder van Eyck aus, ich aber
möchte ſie lieber für ihre Schweſter, die zu ihrer
Zeit berühmte jungfräuliche Künſtlerin Margarethe
halten, beſonders da, ſo viel ich weiß, nirgend
der Verheirathung Johannis oder Huberts erwähnt
wird.
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/77>, abgerufen am 24.11.2024.
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