Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite


kehrten. Sechs der früher verborgnen Tafeln
wurden seitdem von der Geistlichkeit der Kirche St.
Bavon verkauft; sie befinden sich jetzt als Privat-
eigenthum eines Kunstfreundes in Berlin, das
höchste Kleinod einer in ihrer Art einzigen unschäz-
baren Sammlung. Das Schiksal der übrigen ist
mir unbekannt.

Auf einem der obern Seitengemälde hatte
Johann van Eyck mit unnachahmlicher Kunst Adam
dargestellt, wie dieser, kämpfend mit innerem
Grauen und Alles hingebender Liebe zu seiner jungen
Gattin, die Unheil bringende Frucht betrachtet,
welche sie ihm beut. Aus Achtung für die Meinung
des heiligen Augustinus und einiger andern Kirchen-
väter hatte der Künstler statt des Apfels eine
frische Feige als Veranlassung des Sündenfalles
unsrer ersten Eltern dargestellt. Diese Vorstellung
bezog sich auf den Namen der Kapelle in welcher
der Altar stand, denn diese wurde Adam und Eva
geheißen.

Von dem, was dieses wundervolle Kunstwerk
gewesen seyn muß, als noch alle zwölf Tafeln in


kehrten. Sechs der früher verborgnen Tafeln
wurden ſeitdem von der Geiſtlichkeit der Kirche St.
Bavon verkauft; ſie befinden ſich jetzt als Privat-
eigenthum eines Kunſtfreundes in Berlin, das
höchſte Kleinod einer in ihrer Art einzigen unſchäz-
baren Sammlung. Das Schikſal der übrigen iſt
mir unbekannt.

Auf einem der obern Seitengemälde hatte
Johann van Eyck mit unnachahmlicher Kunſt Adam
dargeſtellt, wie dieſer, kämpfend mit innerem
Grauen und Alles hingebender Liebe zu ſeiner jungen
Gattin, die Unheil bringende Frucht betrachtet,
welche ſie ihm beut. Aus Achtung für die Meinung
des heiligen Auguſtinus und einiger andern Kirchen-
väter hatte der Künſtler ſtatt des Apfels eine
friſche Feige als Veranlaſſung des Sündenfalles
unſrer erſten Eltern dargeſtellt. Dieſe Vorſtellung
bezog ſich auf den Namen der Kapelle in welcher
der Altar ſtand, denn dieſe wurde Adam und Eva
geheißen.

Von dem, was dieſes wundervolle Kunſtwerk
geweſen ſeyn muß, als noch alle zwölf Tafeln in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="55"/><lb/>
kehrten. Sechs der früher verborgnen Tafeln<lb/>
wurden &#x017F;eitdem von der Gei&#x017F;tlichkeit der Kirche St.<lb/>
Bavon verkauft; &#x017F;ie befinden &#x017F;ich jetzt als Privat-<lb/>
eigenthum eines Kun&#x017F;tfreundes in Berlin, das<lb/>
höch&#x017F;te Kleinod einer in ihrer Art einzigen un&#x017F;chäz-<lb/>
baren Sammlung. Das Schik&#x017F;al der übrigen i&#x017F;t<lb/>
mir unbekannt.</p><lb/>
        <p>Auf einem der obern Seitengemälde hatte<lb/>
Johann van Eyck mit unnachahmlicher Kun&#x017F;t Adam<lb/>
darge&#x017F;tellt, wie die&#x017F;er, kämpfend mit innerem<lb/>
Grauen und Alles hingebender Liebe zu &#x017F;einer jungen<lb/>
Gattin, die Unheil bringende Frucht betrachtet,<lb/>
welche &#x017F;ie ihm beut. Aus Achtung für die Meinung<lb/>
des heiligen Augu&#x017F;tinus und einiger andern Kirchen-<lb/>
väter hatte der Kün&#x017F;tler &#x017F;tatt des Apfels eine<lb/>
fri&#x017F;che Feige als Veranla&#x017F;&#x017F;ung des Sündenfalles<lb/>
un&#x017F;rer er&#x017F;ten Eltern darge&#x017F;tellt. Die&#x017F;e Vor&#x017F;tellung<lb/>
bezog &#x017F;ich auf den Namen der Kapelle in welcher<lb/>
der Altar &#x017F;tand, denn die&#x017F;e wurde Adam und Eva<lb/>
geheißen.</p><lb/>
        <p>Von dem, was die&#x017F;es wundervolle Kun&#x017F;twerk<lb/>
gewe&#x017F;en &#x017F;eyn muß, als noch alle zwölf Tafeln in<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0067] kehrten. Sechs der früher verborgnen Tafeln wurden ſeitdem von der Geiſtlichkeit der Kirche St. Bavon verkauft; ſie befinden ſich jetzt als Privat- eigenthum eines Kunſtfreundes in Berlin, das höchſte Kleinod einer in ihrer Art einzigen unſchäz- baren Sammlung. Das Schikſal der übrigen iſt mir unbekannt. Auf einem der obern Seitengemälde hatte Johann van Eyck mit unnachahmlicher Kunſt Adam dargeſtellt, wie dieſer, kämpfend mit innerem Grauen und Alles hingebender Liebe zu ſeiner jungen Gattin, die Unheil bringende Frucht betrachtet, welche ſie ihm beut. Aus Achtung für die Meinung des heiligen Auguſtinus und einiger andern Kirchen- väter hatte der Künſtler ſtatt des Apfels eine friſche Feige als Veranlaſſung des Sündenfalles unſrer erſten Eltern dargeſtellt. Dieſe Vorſtellung bezog ſich auf den Namen der Kapelle in welcher der Altar ſtand, denn dieſe wurde Adam und Eva geheißen. Von dem, was dieſes wundervolle Kunſtwerk geweſen ſeyn muß, als noch alle zwölf Tafeln in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/67
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/67>, abgerufen am 24.11.2024.