edel und schön zu nennen in Form und Ausdruck. Das Studium nach einem Modell war zu seiner Zeit noch nicht Gebrauch, eben so wenig mag es damals einem Künstler eingefallen seyn für seine Kunst Anatomie zu studiren; diese Wissenschaft war ohnehin noch in der Kindheit. Johannes konnte daher nur nachbilden was er sah, was ihn umgab: schwer und dicht bekleidete Gestalten. Dennoch herrschen bei ihm Ebenmaß und Anmuth, nirgend treten in seinen Figuren Zwang, unmögliche Stel- lungen, oder unnatürliche Verrenkungen hervor; nur Hände und Füße erscheinen zuweilen etwas mager, wenn gleich nie so sehr um störend zu werden. Die Farben-Pracht seiner Gemälde läßt nicht mit Worten sich beschreiben, gegen sie erbleicht Paul Veronese und aller Glanz der venezianischen Schule, ja die Wirklichkeit selbst. Er malte mit möglichster Vermeidung aller Erdfarben, größten- theils nur mit Lack oder durchsichtigen Saftfarben, auf einem sehr feinen, wahrscheinlich abgeschliffnen, ganz weißen kreideartigen Grunde. Dieser schim- mert durch die unkörperlichen Farben durch, und
edel und ſchön zu nennen in Form und Ausdruck. Das Studium nach einem Modell war zu ſeiner Zeit noch nicht Gebrauch, eben ſo wenig mag es damals einem Künſtler eingefallen ſeyn für ſeine Kunſt Anatomie zu ſtudiren; dieſe Wiſſenſchaft war ohnehin noch in der Kindheit. Johannes konnte daher nur nachbilden was er ſah, was ihn umgab: ſchwer und dicht bekleidete Geſtalten. Dennoch herrſchen bei ihm Ebenmaß und Anmuth, nirgend treten in ſeinen Figuren Zwang, unmögliche Stel- lungen, oder unnatürliche Verrenkungen hervor; nur Hände und Füße erſcheinen zuweilen etwas mager, wenn gleich nie ſo ſehr um ſtörend zu werden. Die Farben-Pracht ſeiner Gemälde läßt nicht mit Worten ſich beſchreiben, gegen ſie erbleicht Paul Veroneſe und aller Glanz der venezianiſchen Schule, ja die Wirklichkeit ſelbſt. Er malte mit möglichſter Vermeidung aller Erdfarben, größten- theils nur mit Lack oder durchſichtigen Saftfarben, auf einem ſehr feinen, wahrſcheinlich abgeſchliffnen, ganz weißen kreideartigen Grunde. Dieſer ſchim- mert durch die unkörperlichen Farben durch, und
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edel und ſchön zu nennen in Form und Ausdruck.
Das Studium nach einem Modell war zu ſeiner
Zeit noch nicht Gebrauch, eben ſo wenig mag es
damals einem Künſtler eingefallen ſeyn für ſeine
Kunſt Anatomie zu ſtudiren; dieſe Wiſſenſchaft war
ohnehin noch in der Kindheit. Johannes konnte
daher nur nachbilden was er ſah, was ihn umgab:
ſchwer und dicht bekleidete Geſtalten. Dennoch
herrſchen bei ihm Ebenmaß und Anmuth, nirgend
treten in ſeinen Figuren Zwang, unmögliche Stel-
lungen, oder unnatürliche Verrenkungen hervor;
nur Hände und Füße erſcheinen zuweilen etwas
mager, wenn gleich nie ſo ſehr um ſtörend zu
werden. Die Farben-Pracht ſeiner Gemälde läßt
nicht mit Worten ſich beſchreiben, gegen ſie erbleicht
Paul Veroneſe und aller Glanz der venezianiſchen
Schule, ja die Wirklichkeit ſelbſt. Er malte mit
möglichſter Vermeidung aller Erdfarben, größten-
theils nur mit Lack oder durchſichtigen Saftfarben,
auf einem ſehr feinen, wahrſcheinlich abgeſchliffnen,
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/42>, abgerufen am 21.11.2024.
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