Eyck in seinem bescheidnen Geburtsort die Jahre der Kindheit und die der ersten Jugend. Es mag wohl ein schönes genußreiches Leben gewesen seyn, welches diese Geschwister bei der damaligen einfachen Sitte des Mittelstandes, in gemeinschaftlicher Arbeit und gemeinschaftlichem Gelingen mit einander führten, bis endlich der die Schwingen immer weiter entfal- tende Genius des jüngern Bruders eines größeren Raums bedurfte.
Brügge, diese große, jezt so tief gesunkne und verödete Stadt, war damals durch ihren weit ausgebreiteten Handel glänzend und reich, voll Wohlleben und Pracht wie keine andere in den damals so blühenden, glücklichen Niederlanden. Wo jezt in der Todtenstille der weiten, mit Gras bewachsnen Straßen der wankende Schritt eines einsamen Bettlers lange noch nachhallt, wogte im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert das regste Treiben der in Pracht und Üppigkeit lebenden Reichen und Großen, neben dem unaufhörlichen Wirken fleißiger, aber nicht mühseliger, Arbeit der minder Begüterten. Mit ihren Reichthümern
Eyck in ſeinem beſcheidnen Geburtsort die Jahre der Kindheit und die der erſten Jugend. Es mag wohl ein ſchönes genußreiches Leben geweſen ſeyn, welches dieſe Geſchwiſter bei der damaligen einfachen Sitte des Mittelſtandes, in gemeinſchaftlicher Arbeit und gemeinſchaftlichem Gelingen mit einander führten, bis endlich der die Schwingen immer weiter entfal- tende Genius des jüngern Bruders eines größeren Raums bedurfte.
Brügge, dieſe große, jezt ſo tief geſunkne und verödete Stadt, war damals durch ihren weit ausgebreiteten Handel glänzend und reich, voll Wohlleben und Pracht wie keine andere in den damals ſo blühenden, glücklichen Niederlanden. Wo jezt in der Todtenſtille der weiten, mit Gras bewachſnen Straßen der wankende Schritt eines einſamen Bettlers lange noch nachhallt, wogte im vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert das regſte Treiben der in Pracht und Üppigkeit lebenden Reichen und Großen, neben dem unaufhörlichen Wirken fleißiger, aber nicht mühſeliger, Arbeit der minder Begüterten. Mit ihren Reichthümern
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Eyck in ſeinem beſcheidnen Geburtsort die Jahre
der Kindheit und die der erſten Jugend. Es mag
wohl ein ſchönes genußreiches Leben geweſen ſeyn,
welches dieſe Geſchwiſter bei der damaligen einfachen
Sitte des Mittelſtandes, in gemeinſchaftlicher Arbeit
und gemeinſchaftlichem Gelingen mit einander führten,
bis endlich der die Schwingen immer weiter entfal-
tende Genius des jüngern Bruders eines größeren
Raums bedurfte.
Brügge, dieſe große, jezt ſo tief geſunkne
und verödete Stadt, war damals durch ihren weit
ausgebreiteten Handel glänzend und reich, voll
Wohlleben und Pracht wie keine andere in den
damals ſo blühenden, glücklichen Niederlanden.
Wo jezt in der Todtenſtille der weiten, mit Gras
bewachſnen Straßen der wankende Schritt eines
einſamen Bettlers lange noch nachhallt, wogte im
vierzehnten und funfzehnten Jahrhundert das regſte
Treiben der in Pracht und Üppigkeit lebenden
Reichen und Großen, neben dem unaufhörlichen
Wirken fleißiger, aber nicht mühſeliger, Arbeit der
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/34>, abgerufen am 21.11.2024.
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