schmähte ihn selbst im Kleinen nicht. So hatte er eine ihm eigne Art, eine weiße Wand von oben bis unten mit allerlei artigen Verzierungen zu be- decken, die er sehr behende mit der Kohle hin zu zeichnen wußte, und ließ sich durch kleine ihm ange- nehme Geschenke leicht dazu bewegen.
Den Mangel an innerer, Alles belebenden Poesie, der aus seiner Verlegenheit bei der Kompo- sition größerer Gemälde hervorgeht, ersetzte bei ihm, wie bei so vielen sonst geistreichen Mannern, ein leichtes schnelles Auffassungs-Vermögen, und eine große Fertigkeit, zwei ganz entgegengesetzte Gegenstände mit einander zu vergleichen. Sein heitrer Umgang ward deshalb von Vielen gesucht, doch auch von Vielen gefürchtet, denn er verletzte oft die, welche ihm nahten, durch scharfe beißende Reden und witzige Einfälle, die niemand schonten. Dieß erfuhr unter andern ein junger Maler, der, schwer beladen mit Zeichnungen und andern Kunst- werken, aus Jtalien zurückkehrte, und die einhei- mischen Kunstverwandten und Freunde einlud, sie anzusehen. Als er nun bei Vorzeigung seiner Schätze
ſchmähte ihn ſelbſt im Kleinen nicht. So hatte er eine ihm eigne Art, eine weiße Wand von oben bis unten mit allerlei artigen Verzierungen zu be- decken, die er ſehr behende mit der Kohle hin zu zeichnen wußte, und ließ ſich durch kleine ihm ange- nehme Geſchenke leicht dazu bewegen.
Den Mangel an innerer, Alles belebenden Poeſie, der aus ſeiner Verlegenheit bei der Kompo- ſition größerer Gemälde hervorgeht, erſetzte bei ihm, wie bei ſo vielen ſonſt geiſtreichen Mannern, ein leichtes ſchnelles Auffaſſungs-Vermögen, und eine große Fertigkeit, zwei ganz entgegengeſetzte Gegenſtände mit einander zu vergleichen. Sein heitrer Umgang ward deshalb von Vielen geſucht, doch auch von Vielen gefürchtet, denn er verletzte oft die, welche ihm nahten, durch ſcharfe beißende Reden und witzige Einfälle, die niemand ſchonten. Dieß erfuhr unter andern ein junger Maler, der, ſchwer beladen mit Zeichnungen und andern Kunſt- werken, aus Jtalien zurückkehrte, und die einhei- miſchen Kunſtverwandten und Freunde einlud, ſie anzuſehen. Als er nun bei Vorzeigung ſeiner Schätze
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ſchmähte ihn ſelbſt im Kleinen nicht. So hatte er
eine ihm eigne Art, eine weiße Wand von oben
bis unten mit allerlei artigen Verzierungen zu be-
decken, die er ſehr behende mit der Kohle hin zu
zeichnen wußte, und ließ ſich durch kleine ihm ange-
nehme Geſchenke leicht dazu bewegen.
Den Mangel an innerer, Alles belebenden
Poeſie, der aus ſeiner Verlegenheit bei der Kompo-
ſition größerer Gemälde hervorgeht, erſetzte bei
ihm, wie bei ſo vielen ſonſt geiſtreichen Mannern,
ein leichtes ſchnelles Auffaſſungs-Vermögen, und
eine große Fertigkeit, zwei ganz entgegengeſetzte
Gegenſtände mit einander zu vergleichen. Sein
heitrer Umgang ward deshalb von Vielen geſucht,
doch auch von Vielen gefürchtet, denn er verletzte
oft die, welche ihm nahten, durch ſcharfe beißende
Reden und witzige Einfälle, die niemand ſchonten.
Dieß erfuhr unter andern ein junger Maler, der,
ſchwer beladen mit Zeichnungen und andern Kunſt-
werken, aus Jtalien zurückkehrte, und die einhei-
miſchen Kunſtverwandten und Freunde einlud, ſie
anzuſehen. Als er nun bei Vorzeigung ſeiner Schätze
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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/231>, abgerufen am 24.11.2024.
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