Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

Bild:
<< vorherige Seite


schmähte ihn selbst im Kleinen nicht. So hatte er
eine ihm eigne Art, eine weiße Wand von oben
bis unten mit allerlei artigen Verzierungen zu be-
decken, die er sehr behende mit der Kohle hin zu
zeichnen wußte, und ließ sich durch kleine ihm ange-
nehme Geschenke leicht dazu bewegen.

Den Mangel an innerer, Alles belebenden
Poesie, der aus seiner Verlegenheit bei der Kompo-
sition größerer Gemälde hervorgeht, ersetzte bei
ihm, wie bei so vielen sonst geistreichen Mannern,
ein leichtes schnelles Auffassungs-Vermögen, und
eine große Fertigkeit, zwei ganz entgegengesetzte
Gegenstände mit einander zu vergleichen. Sein
heitrer Umgang ward deshalb von Vielen gesucht,
doch auch von Vielen gefürchtet, denn er verletzte
oft die, welche ihm nahten, durch scharfe beißende
Reden und witzige Einfälle, die niemand schonten.
Dieß erfuhr unter andern ein junger Maler, der,
schwer beladen mit Zeichnungen und andern Kunst-
werken, aus Jtalien zurückkehrte, und die einhei-
mischen Kunstverwandten und Freunde einlud, sie
anzusehen. Als er nun bei Vorzeigung seiner Schätze


ſchmähte ihn ſelbſt im Kleinen nicht. So hatte er
eine ihm eigne Art, eine weiße Wand von oben
bis unten mit allerlei artigen Verzierungen zu be-
decken, die er ſehr behende mit der Kohle hin zu
zeichnen wußte, und ließ ſich durch kleine ihm ange-
nehme Geſchenke leicht dazu bewegen.

Den Mangel an innerer, Alles belebenden
Poeſie, der aus ſeiner Verlegenheit bei der Kompo-
ſition größerer Gemälde hervorgeht, erſetzte bei
ihm, wie bei ſo vielen ſonſt geiſtreichen Mannern,
ein leichtes ſchnelles Auffaſſungs-Vermögen, und
eine große Fertigkeit, zwei ganz entgegengeſetzte
Gegenſtände mit einander zu vergleichen. Sein
heitrer Umgang ward deshalb von Vielen geſucht,
doch auch von Vielen gefürchtet, denn er verletzte
oft die, welche ihm nahten, durch ſcharfe beißende
Reden und witzige Einfälle, die niemand ſchonten.
Dieß erfuhr unter andern ein junger Maler, der,
ſchwer beladen mit Zeichnungen und andern Kunſt-
werken, aus Jtalien zurückkehrte, und die einhei-
miſchen Kunſtverwandten und Freunde einlud, ſie
anzuſehen. Als er nun bei Vorzeigung ſeiner Schätze

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0231" n="219"/><lb/>
&#x017F;chmähte ihn &#x017F;elb&#x017F;t im Kleinen nicht. So hatte er<lb/>
eine ihm eigne Art, eine weiße Wand von oben<lb/>
bis unten mit allerlei artigen Verzierungen zu be-<lb/>
decken, die er &#x017F;ehr behende mit der Kohle hin zu<lb/>
zeichnen wußte, und ließ &#x017F;ich durch kleine ihm ange-<lb/>
nehme Ge&#x017F;chenke leicht dazu bewegen.</p><lb/>
        <p>Den Mangel an innerer, Alles belebenden<lb/>
Poe&#x017F;ie, der aus &#x017F;einer Verlegenheit bei der Kompo-<lb/>
&#x017F;ition größerer Gemälde hervorgeht, er&#x017F;etzte bei<lb/>
ihm, wie bei &#x017F;o vielen &#x017F;on&#x017F;t gei&#x017F;treichen Mannern,<lb/>
ein leichtes &#x017F;chnelles Auffa&#x017F;&#x017F;ungs-Vermögen, und<lb/>
eine große Fertigkeit, zwei ganz entgegenge&#x017F;etzte<lb/>
Gegen&#x017F;tände mit einander zu vergleichen. Sein<lb/>
heitrer Umgang ward deshalb von Vielen ge&#x017F;ucht,<lb/>
doch auch von Vielen gefürchtet, denn er verletzte<lb/>
oft die, welche ihm nahten, durch &#x017F;charfe beißende<lb/>
Reden und witzige Einfälle, die niemand &#x017F;chonten.<lb/>
Dieß erfuhr unter andern ein junger Maler, der,<lb/>
&#x017F;chwer beladen mit Zeichnungen und andern Kun&#x017F;t-<lb/>
werken, aus Jtalien zurückkehrte, und die einhei-<lb/>
mi&#x017F;chen Kun&#x017F;tverwandten und Freunde einlud, &#x017F;ie<lb/>
anzu&#x017F;ehen. Als er nun bei Vorzeigung &#x017F;einer Schätze<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0231] ſchmähte ihn ſelbſt im Kleinen nicht. So hatte er eine ihm eigne Art, eine weiße Wand von oben bis unten mit allerlei artigen Verzierungen zu be- decken, die er ſehr behende mit der Kohle hin zu zeichnen wußte, und ließ ſich durch kleine ihm ange- nehme Geſchenke leicht dazu bewegen. Den Mangel an innerer, Alles belebenden Poeſie, der aus ſeiner Verlegenheit bei der Kompo- ſition größerer Gemälde hervorgeht, erſetzte bei ihm, wie bei ſo vielen ſonſt geiſtreichen Mannern, ein leichtes ſchnelles Auffaſſungs-Vermögen, und eine große Fertigkeit, zwei ganz entgegengeſetzte Gegenſtände mit einander zu vergleichen. Sein heitrer Umgang ward deshalb von Vielen geſucht, doch auch von Vielen gefürchtet, denn er verletzte oft die, welche ihm nahten, durch ſcharfe beißende Reden und witzige Einfälle, die niemand ſchonten. Dieß erfuhr unter andern ein junger Maler, der, ſchwer beladen mit Zeichnungen und andern Kunſt- werken, aus Jtalien zurückkehrte, und die einhei- miſchen Kunſtverwandten und Freunde einlud, ſie anzuſehen. Als er nun bei Vorzeigung ſeiner Schätze

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/231
Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/231>, abgerufen am 24.11.2024.