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Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822.

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Schule tragen dieselben Züge, ja selbst das dunkle
furchtbare Haupt auf dem Schweißtuch jener heili-
gen Veronika, welche Goethe uns als den höchsten
Gipfel byzantinischer Kunst im ersten Heft seines
Werks über Kunst und Alterthum so anschaulich dar-
stellt. Jch habe diese beiden Gemälde mit einander
lange und aufmerksam verglichen, und es läßt sich
nicht wegleugnen, jenes medusenartige braune
Haupt, in aller seiner wundersamen Verzogenheit,
zeigt dennoch die höchste Ähnlichkeit mit dieser
schönen Gestalt in der höchsten Blüthe jugendlicher
Kraft.

Die Traditionen von der eigentlichen Gestalt
des Heilands sind vielfältig und auf mannichfache
Weise bis auf unsre Tage gekommen. Die merk-
würdigsten derselben hat Johann Reiske, Rector
zu Wolfenbüttel, im Jahr 16[8]5 gesammelt, und
ihnen unter dem Titel de ima inibus Jesu Christi
ein gelehrtes und gründliches Werk gewidmet.
Einige dieser Beschreibungen scheinen mit so ächt
physiognomischem Sinn und mit so individuellen
Zügen aufgefaßt, sie stammen aus so grauer, den


Schule tragen dieſelben Züge, ja ſelbſt das dunkle
furchtbare Haupt auf dem Schweißtuch jener heili-
gen Veronika, welche Goethe uns als den höchſten
Gipfel byzantiniſcher Kunſt im erſten Heft ſeines
Werks über Kunſt und Alterthum ſo anſchaulich dar-
ſtellt. Jch habe dieſe beiden Gemälde mit einander
lange und aufmerkſam verglichen, und es läßt ſich
nicht wegleugnen, jenes meduſenartige braune
Haupt, in aller ſeiner wunderſamen Verzogenheit,
zeigt dennoch die höchſte Ähnlichkeit mit dieſer
ſchönen Geſtalt in der höchſten Blüthe jugendlicher
Kraft.

Die Traditionen von der eigentlichen Geſtalt
des Heilands ſind vielfältig und auf mannichfache
Weiſe bis auf unſre Tage gekommen. Die merk-
würdigſten derſelben hat Johann Reiske, Rector
zu Wolfenbüttel, im Jahr 16[8]5 geſammelt, und
ihnen unter dem Titel de ima inibus Jesu Christi
ein gelehrtes und gründliches Werk gewidmet.
Einige dieſer Beſchreibungen ſcheinen mit ſo ächt
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[189/0201] Schule tragen dieſelben Züge, ja ſelbſt das dunkle furchtbare Haupt auf dem Schweißtuch jener heili- gen Veronika, welche Goethe uns als den höchſten Gipfel byzantiniſcher Kunſt im erſten Heft ſeines Werks über Kunſt und Alterthum ſo anſchaulich dar- ſtellt. Jch habe dieſe beiden Gemälde mit einander lange und aufmerkſam verglichen, und es läßt ſich nicht wegleugnen, jenes meduſenartige braune Haupt, in aller ſeiner wunderſamen Verzogenheit, zeigt dennoch die höchſte Ähnlichkeit mit dieſer ſchönen Geſtalt in der höchſten Blüthe jugendlicher Kraft. Die Traditionen von der eigentlichen Geſtalt des Heilands ſind vielfältig und auf mannichfache Weiſe bis auf unſre Tage gekommen. Die merk- würdigſten derſelben hat Johann Reiske, Rector zu Wolfenbüttel, im Jahr 1685 geſammelt, und ihnen unter dem Titel de ima inibus Jesu Christi ein gelehrtes und gründliches Werk gewidmet. Einige dieſer Beſchreibungen ſcheinen mit ſo ächt phyſiognomiſchem Sinn und mit ſo individuellen Zügen aufgefaßt, ſie ſtammen aus ſo grauer, den

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Zitationshilfe: Schopenhauer, Johanna: Johann van Eyck und seine Nachfolger. Bd. 1. Frankfurt (Main), 1822, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schopenhauer_eyck01_1822/201>, abgerufen am 27.11.2024.