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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754.

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Sa
großer Dichter. Man lese ihn auf dieser Empfeh-
lung selbst, und ein jeder Leser, der NB. denken
und empfinden kann, wird ihm den Titel eines
großen Dichters
geben, der mit einer Groß-
muth auf seine Sprachschnitzer
von seiner Höhe
herab siehet.

Jch komme auf die zweyte Gattung der Zuhörer,
auf die Laien, auf die einfältigen Leute, worunter
ich auch die schaalen Köpfe rechne. Diese Leute
werden vor dem Ausdrucke, aus Sande Stricke
drehen,
so gleich staunen, und vor dem Wun-
derbaren
und Gemalten, das in dem Ausdrucke
lieget, starren; und nachdenken, ob das Ding
möglich sey. Nun nehme man den Vater der rö-
mischen Beredsamkeit zu Hülfe. Dieser große
Redner sagt in dem ersten Hauptstücke seines Bu-
ches de optimo genere oratorum:
Optimus est orator, qui dicendo animos
audientium et docet, et delectat, et per-
movet &c.

Man sey nicht verdrießlich, daß dieser Artikel so
weitschweifig ist. Jch habe mir vorgenommen,
wider die strengen Kunstrichter zu behaupten,
daß allerdings die neologischen und ästhetischen
Redner vor den Alten einen großen Vorzug haben.
Jch will mit dieser einzigen Redensart den Verfech-
tern des alten Geschmacks ein ewiges Stillschwei-
gen auflegen.

Cicero sagt: der beste Redner lehre. Dieses
thut mein Held. Er erweitert das Erkenntniß des
Zuhörers mit einer neuen Wahrheit. Diese lie-

get

Sa
großer Dichter. Man leſe ihn auf dieſer Empfeh-
lung ſelbſt, und ein jeder Leſer, der NB. denken
und empfinden kann, wird ihm den Titel eines
großen Dichters
geben, der mit einer Groß-
muth auf ſeine Sprachſchnitzer
von ſeiner Hoͤhe
herab ſiehet.

Jch komme auf die zweyte Gattung der Zuhoͤrer,
auf die Laien, auf die einfaͤltigen Leute, worunter
ich auch die ſchaalen Koͤpfe rechne. Dieſe Leute
werden vor dem Ausdrucke, aus Sande Stricke
drehen,
ſo gleich ſtaunen, und vor dem Wun-
derbaren
und Gemalten, das in dem Ausdrucke
lieget, ſtarren; und nachdenken, ob das Ding
moͤglich ſey. Nun nehme man den Vater der roͤ-
miſchen Beredſamkeit zu Huͤlfe. Dieſer große
Redner ſagt in dem erſten Hauptſtuͤcke ſeines Bu-
ches de optimo genere oratorum:
Optimus eſt orator, qui dicendo animos
audientium et docet, et delectat, et per-
movet &c.

Man ſey nicht verdrießlich, daß dieſer Artikel ſo
weitſchweifig iſt. Jch habe mir vorgenommen,
wider die ſtrengen Kunſtrichter zu behaupten,
daß allerdings die neologiſchen und aͤſthetiſchen
Redner vor den Alten einen großen Vorzug haben.
Jch will mit dieſer einzigen Redensart den Verfech-
tern des alten Geſchmacks ein ewiges Stillſchwei-
gen auflegen.

Cicero ſagt: der beſte Redner lehre. Dieſes
thut mein Held. Er erweitert das Erkenntniß des
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[363/0389] Sa großer Dichter. Man leſe ihn auf dieſer Empfeh- lung ſelbſt, und ein jeder Leſer, der NB. denken und empfinden kann, wird ihm den Titel eines großen Dichters geben, der mit einer Groß- muth auf ſeine Sprachſchnitzer von ſeiner Hoͤhe herab ſiehet. Jch komme auf die zweyte Gattung der Zuhoͤrer, auf die Laien, auf die einfaͤltigen Leute, worunter ich auch die ſchaalen Koͤpfe rechne. Dieſe Leute werden vor dem Ausdrucke, aus Sande Stricke drehen, ſo gleich ſtaunen, und vor dem Wun- derbaren und Gemalten, das in dem Ausdrucke lieget, ſtarren; und nachdenken, ob das Ding moͤglich ſey. Nun nehme man den Vater der roͤ- miſchen Beredſamkeit zu Huͤlfe. Dieſer große Redner ſagt in dem erſten Hauptſtuͤcke ſeines Bu- ches de optimo genere oratorum: Optimus eſt orator, qui dicendo animos audientium et docet, et delectat, et per- movet &c. Man ſey nicht verdrießlich, daß dieſer Artikel ſo weitſchweifig iſt. Jch habe mir vorgenommen, wider die ſtrengen Kunſtrichter zu behaupten, daß allerdings die neologiſchen und aͤſthetiſchen Redner vor den Alten einen großen Vorzug haben. Jch will mit dieſer einzigen Redensart den Verfech- tern des alten Geſchmacks ein ewiges Stillſchwei- gen auflegen. Cicero ſagt: der beſte Redner lehre. Dieſes thut mein Held. Er erweitert das Erkenntniß des Zuhoͤrers mit einer neuen Wahrheit. Dieſe lie- get

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Zitationshilfe: Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/389>, abgerufen am 22.11.2024.