sperreten ihn daher auf acht Tage in die tiefste Kammer der Höhle; doch ohne Hoffnung einer Besserung; denn die Krankheiten eines Dichters sind oft so unheilbar, als die Narrheit, wenn sie reiche Leute befällt.
Wir waren noch mit diesem Unglückseligen be- schäfftiget, als uns eine Menge Mährchenerzäh- ler, oder, wie sie sich lieber nennen, Fabeldich- ter, umgab. Da sahen wir den freundlichen Gellert; der so gern lobet, um wieder gelobet zu werden: und ein deutscherVoiture und Fontaine seyn will. Er ging hinein; kam wie- der mit einer Bleyfeder in der Hand; er strich viel tändelndes Wesen aus seinen Gedichten weg, und wollte sich mit Neukirchen vertragen; auch lieber dieses großen Mannes Fehler seinen Zeiten, und dem Schicksale eines jeden Anfanges Schuld geben, als länger auf ihn, mit seinen Briefen und Vorreden schimpfen; er erlaubte geistreich zu seyn, ohne seinen Geist zu besitzen; strich auch von vielen seiner Lustspiele den Titel hinweg, um dafür Gespräche zu setzen.
Nun kam der geile Rost, der aber nicht ein- mal vorgelassen; sondern als ein Ehrendieb an den Pranger gestellet ward. Jeder Dichter gab ihm einen Nasenstüber, wovon Rostens Nase entsetzlich aufschwoll. Er wäre auch sonst nicht vorgekommen: Die Musen nämlich leiden nichts geiles. Endlich erschienen so viele unbe- kannte Dichter und Dichterinnen, daß ich, um sie auf einmal zu bekehren, sie alle hinein trieb; und
ich
La
ſperreten ihn daher auf acht Tage in die tiefſte Kammer der Hoͤhle; doch ohne Hoffnung einer Beſſerung; denn die Krankheiten eines Dichters ſind oft ſo unheilbar, als die Narrheit, wenn ſie reiche Leute befaͤllt.
Wir waren noch mit dieſem Ungluͤckſeligen be- ſchaͤfftiget, als uns eine Menge Maͤhrchenerzaͤh- ler, oder, wie ſie ſich lieber nennen, Fabeldich- ter, umgab. Da ſahen wir den freundlichen Gellert; der ſo gern lobet, um wieder gelobet zu werden: und ein deutſcherVoiture und Fontaine ſeyn will. Er ging hinein; kam wie- der mit einer Bleyfeder in der Hand; er ſtrich viel taͤndelndes Weſen aus ſeinen Gedichten weg, und wollte ſich mit Neukirchen vertragen; auch lieber dieſes großen Mannes Fehler ſeinen Zeiten, und dem Schickſale eines jeden Anfanges Schuld geben, als laͤnger auf ihn, mit ſeinen Briefen und Vorreden ſchimpfen; er erlaubte geiſtreich zu ſeyn, ohne ſeinen Geiſt zu beſitzen; ſtrich auch von vielen ſeiner Luſtſpiele den Titel hinweg, um dafuͤr Geſpraͤche zu ſetzen.
Nun kam der geile Roſt, der aber nicht ein- mal vorgelaſſen; ſondern als ein Ehrendieb an den Pranger geſtellet ward. Jeder Dichter gab ihm einen Naſenſtuͤber, wovon Roſtens Naſe entſetzlich aufſchwoll. Er waͤre auch ſonſt nicht vorgekommen: Die Muſen naͤmlich leiden nichts geiles. Endlich erſchienen ſo viele unbe- kannte Dichter und Dichterinnen, daß ich, um ſie auf einmal zu bekehren, ſie alle hinein trieb; und
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ſperreten ihn daher auf acht Tage in die tiefſte
Kammer der Hoͤhle; doch ohne Hoffnung einer
Beſſerung; denn die Krankheiten eines Dichters
ſind oft ſo unheilbar, als die Narrheit, wenn ſie
reiche Leute befaͤllt.
Wir waren noch mit dieſem Ungluͤckſeligen be-
ſchaͤfftiget, als uns eine Menge Maͤhrchenerzaͤh-
ler, oder, wie ſie ſich lieber nennen, Fabeldich-
ter, umgab. Da ſahen wir den freundlichen
Gellert; der ſo gern lobet, um wieder gelobet
zu werden: und ein deutſcher Voiture und
Fontaine ſeyn will. Er ging hinein; kam wie-
der mit einer Bleyfeder in der Hand; er ſtrich viel
taͤndelndes Weſen aus ſeinen Gedichten weg,
und wollte ſich mit Neukirchen vertragen; auch
lieber dieſes großen Mannes Fehler ſeinen Zeiten,
und dem Schickſale eines jeden Anfanges Schuld
geben, als laͤnger auf ihn, mit ſeinen Briefen und
Vorreden ſchimpfen; er erlaubte geiſtreich zu
ſeyn, ohne ſeinen Geiſt zu beſitzen; ſtrich auch von
vielen ſeiner Luſtſpiele den Titel hinweg, um
dafuͤr Geſpraͤche zu ſetzen.
Nun kam der geile Roſt, der aber nicht ein-
mal vorgelaſſen; ſondern als ein Ehrendieb an
den Pranger geſtellet ward. Jeder Dichter gab
ihm einen Naſenſtuͤber, wovon Roſtens Naſe
entſetzlich aufſchwoll. Er waͤre auch ſonſt nicht
vorgekommen: Die Muſen naͤmlich leiden
nichts geiles. Endlich erſchienen ſo viele unbe-
kannte Dichter und Dichterinnen, daß ich, um ſie
auf einmal zu bekehren, ſie alle hinein trieb; und
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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/310>, abgerufen am 25.11.2024.
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