So gewiß nun dieses ist: so muß man sich wundern, daß es noch hin und her Leute giebt, die lieber eine gesunde Ver- nunft, als Verstand, haben wollen. Man muß sie beklagen, und sich nicht von ihnen verführen lassen. So muntere ich denn alle meine Bewunderer auf, keine ge- sunde Vernunft zu haben. Man folge nur beherzt den großen Männern, die ohne Vernunft zu Verstande gelanget sind. Denn nehmet ihnen die Fehler wider jene weg: was wird doch von allen unsern Dich- tern bleiben? Einer nehme die neuen Wör- ter im Meßias; der andere die verdrehten Ausdrücke; der dritte die Lügen, die er uns von Gott und Himmel vorschwatzet: Was wird doch bleiben? "Man findet alles so hübsch ausführlich bey ihm, wo- von die Bibel nichts sagt," sprach jüngst ein Freund zu mir. Ein Vernünftiger nennet das Lügen; ein Witziger, oder ei- ner, der Verstand hat, eine goldene Schaale voll Christenthränen, die er
vor
Vorrede.
So gewiß nun dieſes iſt: ſo muß man ſich wundern, daß es noch hin und her Leute giebt, die lieber eine geſunde Ver- nunft, als Verſtand, haben wollen. Man muß ſie beklagen, und ſich nicht von ihnen verfuͤhren laſſen. So muntere ich denn alle meine Bewunderer auf, keine ge- ſunde Vernunft zu haben. Man folge nur beherzt den großen Maͤnnern, die ohne Vernunft zu Verſtande gelanget ſind. Denn nehmet ihnen die Fehler wider jene weg: was wird doch von allen unſern Dich- tern bleiben? Einer nehme die neuen Woͤr- ter im Meßias; der andere die verdrehten Ausdruͤcke; der dritte die Luͤgen, die er uns von Gott und Himmel vorſchwatzet: Was wird doch bleiben? “Man findet alles ſo huͤbſch ausfuͤhrlich bey ihm, wo- von die Bibel nichts ſagt,” ſprach juͤngſt ein Freund zu mir. Ein Vernuͤnftiger nennet das Luͤgen; ein Witziger, oder ei- ner, der Verſtand hat, eine goldene Schaale voll Chriſtenthraͤnen, die er
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[0016]
Vorrede.
So gewiß nun dieſes iſt: ſo muß man
ſich wundern, daß es noch hin und her
Leute giebt, die lieber eine geſunde Ver-
nunft, als Verſtand, haben wollen.
Man muß ſie beklagen, und ſich nicht von
ihnen verfuͤhren laſſen. So muntere ich
denn alle meine Bewunderer auf, keine ge-
ſunde Vernunft zu haben. Man folge nur
beherzt den großen Maͤnnern, die ohne
Vernunft zu Verſtande gelanget ſind.
Denn nehmet ihnen die Fehler wider jene
weg: was wird doch von allen unſern Dich-
tern bleiben? Einer nehme die neuen Woͤr-
ter im Meßias; der andere die verdrehten
Ausdruͤcke; der dritte die Luͤgen, die er
uns von Gott und Himmel vorſchwatzet:
Was wird doch bleiben? “Man findet
alles ſo huͤbſch ausfuͤhrlich bey ihm, wo-
von die Bibel nichts ſagt,” ſprach juͤngſt
ein Freund zu mir. Ein Vernuͤnftiger
nennet das Luͤgen; ein Witziger, oder ei-
ner, der Verſtand hat, eine goldene
Schaale voll Chriſtenthraͤnen, die er
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Schönaich, Christoph Otto von: Die ganze Aesthetik in einer Nuß, oder Neologisches Wörterbuch. [Breslau], 1754, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schoenaich_aesthetik_1754/16>, abgerufen am 23.11.2024.
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