Schnitzler, Arthur: Traumnovelle. Berlin, 1926."Vielleicht doch." "Es war so wirr - und ich bin müde. Und du mußt doch auch müde sein?" "Nicht im geringsten, Albertine, ich werde kaum mehr schlafen. Du weißt ja, wenn ich so spät nach Hause komme -- das Vernünftigste wäre eigentlich, ich setzte mich sofort an den Schreibtisch - gerade in solchen Morgenstunden --" Er unterbrach sich. "Aber willst du mir nicht doch lieber deinen Traum erzählen?" Er lächelte etwas gezwungen. Sie antwortete: "Du solltest dich doch noch ein wenig hinlegen." Er zögerte eine Weile, dann tat er nach ihrem Wunsch und streckte sich an ihrer Seite aus. Doch er hütete sich, sie zu berühren. Ein Schwert zwischen uns, dachte er in der Erinnerung an eine halb scherzhafte Bemerkung gleicher Art, die einmal bei ähnlicher Gelegenheit von seiner Seite gefallen war. Sie schwiegen beide, lagen mit offenen Augen, fühlten gegenseitig ihre Nähe, ihre Ferne. Nach einer Weile stützte er den Kopf auf seinen Arm, betrachtete sie lange, als vermöchte er mehr zu sehen als nur die Umrisse ihres Antlitzes. "Deinen Traum!" sagte er plötzlich noch einmal, und es war, als hätte sie diese Aufforderung nur erwartet. Sie streckte ihm eine Hand entgegen; er nahm „Vielleicht doch.“ „Es war so wirr – und ich bin müde. Und du mußt doch auch müde sein?“ „Nicht im geringsten, Albertine, ich werde kaum mehr schlafen. Du weißt ja, wenn ich so spät nach Hause komme –– das Vernünftigste wäre eigentlich, ich setzte mich sofort an den Schreibtisch – gerade in solchen Morgenstunden ––“ Er unterbrach sich. „Aber willst du mir nicht doch lieber deinen Traum erzählen?“ Er lächelte etwas gezwungen. Sie antwortete: „Du solltest dich doch noch ein wenig hinlegen.“ Er zögerte eine Weile, dann tat er nach ihrem Wunsch und streckte sich an ihrer Seite aus. Doch er hütete sich, sie zu berühren. Ein Schwert zwischen uns, dachte er in der Erinnerung an eine halb scherzhafte Bemerkung gleicher Art, die einmal bei ähnlicher Gelegenheit von seiner Seite gefallen war. Sie schwiegen beide, lagen mit offenen Augen, fühlten gegenseitig ihre Nähe, ihre Ferne. Nach einer Weile stützte er den Kopf auf seinen Arm, betrachtete sie lange, als vermöchte er mehr zu sehen als nur die Umrisse ihres Antlitzes. „Deinen Traum!“ sagte er plötzlich noch einmal, und es war, als hätte sie diese Aufforderung nur erwartet. Sie streckte ihm eine Hand entgegen; er nahm <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0084" n="82"/> „Vielleicht doch.“</p> <p>„Es war so wirr – und ich bin müde. Und du mußt doch auch müde sein?“</p> <p>„Nicht im geringsten, Albertine, ich werde kaum mehr schlafen. Du weißt ja, wenn ich so spät nach Hause komme –– das Vernünftigste wäre eigentlich, ich setzte mich sofort an den Schreibtisch – gerade in solchen Morgenstunden ––“ Er unterbrach sich. „Aber willst du mir nicht doch lieber deinen Traum erzählen?“ Er lächelte etwas gezwungen.</p> <p>Sie antwortete: „Du solltest dich doch noch ein wenig hinlegen.“</p> <p>Er zögerte eine Weile, dann tat er nach ihrem Wunsch und streckte sich an ihrer Seite aus. Doch er hütete sich, sie zu berühren. Ein Schwert zwischen uns, dachte er in der Erinnerung an eine halb scherzhafte Bemerkung gleicher Art, die einmal bei ähnlicher Gelegenheit von seiner Seite gefallen war. Sie schwiegen beide, lagen mit offenen Augen, fühlten gegenseitig ihre Nähe, ihre Ferne. Nach einer Weile stützte er den Kopf auf seinen Arm, betrachtete sie lange, als vermöchte er mehr zu sehen als nur die Umrisse ihres Antlitzes.</p> <p>„Deinen Traum!“ sagte er plötzlich noch einmal, und es war, als hätte sie diese Aufforderung nur erwartet. Sie streckte ihm eine Hand entgegen; er nahm </p> </div> </body> </text> </TEI> [82/0084]
„Vielleicht doch.“
„Es war so wirr – und ich bin müde. Und du mußt doch auch müde sein?“
„Nicht im geringsten, Albertine, ich werde kaum mehr schlafen. Du weißt ja, wenn ich so spät nach Hause komme –– das Vernünftigste wäre eigentlich, ich setzte mich sofort an den Schreibtisch – gerade in solchen Morgenstunden ––“ Er unterbrach sich. „Aber willst du mir nicht doch lieber deinen Traum erzählen?“ Er lächelte etwas gezwungen.
Sie antwortete: „Du solltest dich doch noch ein wenig hinlegen.“
Er zögerte eine Weile, dann tat er nach ihrem Wunsch und streckte sich an ihrer Seite aus. Doch er hütete sich, sie zu berühren. Ein Schwert zwischen uns, dachte er in der Erinnerung an eine halb scherzhafte Bemerkung gleicher Art, die einmal bei ähnlicher Gelegenheit von seiner Seite gefallen war. Sie schwiegen beide, lagen mit offenen Augen, fühlten gegenseitig ihre Nähe, ihre Ferne. Nach einer Weile stützte er den Kopf auf seinen Arm, betrachtete sie lange, als vermöchte er mehr zu sehen als nur die Umrisse ihres Antlitzes.
„Deinen Traum!“ sagte er plötzlich noch einmal, und es war, als hätte sie diese Aufforderung nur erwartet. Sie streckte ihm eine Hand entgegen; er nahm
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