Schnitzler, Arthur: Anatol. Berlin, 1893.
deutlich zu Bewußtsein. Während ich den warmen Hauch ihres Mundes auf meiner Hand fühlte, erlebte ich das Ganze schon in der Erinnerung. Es war eigentlich schon vorüber. Sie war wieder Eine von Denen gewesen, über die ich hin- wegmußte. Das Wort selbst fiel mir ein, das dürre Wort: Episode. Und dabei war ich selber irgend etwas Ewiges ... Ich wußte auch, daß das "arme Kind" nimmer diese Stunde aus ihrem Sinn schaffen könnte -- gerade bei Der wußt' ich's. Oft fühlt man es ja: Morgen Früh bin ich vergessen. Aber da war es etwas Anderes. Für Diese, die da zu meinen Füßen lag, bedeutete ich eine Welt; ich fühlte es, mit welch' einer heiligen, unvergänglichen Liebe sie mich in diesem Momente umgab. Das empfindet man nämlich; ich lasse es mir nicht nehmen. Gewiß konnte sie in diesem Augen- blick nicht Anderes denken, als mich -- nur mich. Sie aber war für mich jetzt schon das Gewesene, Flüchtige, die Episode. Max. Was war sie denn eigentlich? Anatol. Was sie war --? Nun, Du kanntest sie. -- Wir haben sie eines Abends in einer lustigen Gesellschaft kennen gelernt, Du kanntest sie sogar schon von früher her, wie Du mir damals sagtest. Max. Nun, wer war sie denn? Ich kenne sehr Viele von früher her. Du schilderst sie ja in Deinem Ampellicht wie eine Märchengestalt. Anatol. Ja -- im Leben war sie das nicht. Weißt Du, was sie war --? Ich zerstöre jetzt eigentlich den ganzen Nimbus. Max. Sie war also --?
deutlich zu Bewußtſein. Während ich den warmen Hauch ihres Mundes auf meiner Hand fühlte, erlebte ich das Ganze ſchon in der Erinnerung. Es war eigentlich ſchon vorüber. Sie war wieder Eine von Denen geweſen, über die ich hin- wegmußte. Das Wort ſelbſt fiel mir ein, das dürre Wort: Epiſode. Und dabei war ich ſelber irgend etwas Ewiges … Ich wußte auch, daß das „arme Kind“ nimmer dieſe Stunde aus ihrem Sinn ſchaffen könnte — gerade bei Der wußt’ ich’s. Oft fühlt man es ja: Morgen Früh bin ich vergeſſen. Aber da war es etwas Anderes. Für Dieſe, die da zu meinen Füßen lag, bedeutete ich eine Welt; ich fühlte es, mit welch’ einer heiligen, unvergänglichen Liebe ſie mich in dieſem Momente umgab. Das empfindet man nämlich; ich laſſe es mir nicht nehmen. Gewiß konnte ſie in dieſem Augen- blick nicht Anderes denken, als mich — nur mich. Sie aber war für mich jetzt ſchon das Geweſene, Flüchtige, die Epiſode. Max. Was war ſie denn eigentlich? Anatol. Was ſie war —? Nun, Du kannteſt ſie. — Wir haben ſie eines Abends in einer luſtigen Geſellſchaft kennen gelernt, Du kannteſt ſie ſogar ſchon von früher her, wie Du mir damals ſagteſt. Max. Nun, wer war ſie denn? Ich kenne ſehr Viele von früher her. Du ſchilderſt ſie ja in Deinem Ampellicht wie eine Märchengeſtalt. Anatol. Ja — im Leben war ſie das nicht. Weißt Du, was ſie war —? Ich zerſtöre jetzt eigentlich den ganzen Nimbus. Max. Sie war alſo —? <TEI> <text> <body> <div type="act" n="1"> <div type="scene" n="2"> <sp who="#ANA"> <p><pb facs="#f0064" n="54"/> deutlich zu Bewußtſein. Während ich den warmen Hauch<lb/> ihres Mundes auf meiner Hand fühlte, erlebte ich das Ganze<lb/> ſchon in der Erinnerung. Es war eigentlich ſchon vorüber.<lb/> Sie war wieder Eine von Denen geweſen, über die ich hin-<lb/> wegmußte. Das Wort ſelbſt fiel mir ein, das dürre Wort:<lb/> Epiſode. Und dabei war ich ſelber irgend etwas Ewiges …<lb/> Ich wußte auch, daß das „arme Kind“ nimmer dieſe Stunde<lb/> aus ihrem Sinn ſchaffen könnte — gerade bei Der wußt’<lb/> ich’s. Oft fühlt man es ja: Morgen Früh bin ich vergeſſen.<lb/> Aber da war es etwas Anderes. Für Dieſe, die da zu<lb/> meinen Füßen lag, bedeutete ich eine Welt; ich fühlte es,<lb/> mit welch’ einer heiligen, unvergänglichen Liebe ſie mich in<lb/> dieſem Momente umgab. Das empfindet man nämlich; ich<lb/> laſſe es mir nicht nehmen. Gewiß konnte ſie in dieſem Augen-<lb/> blick nicht Anderes denken, als mich — nur mich. Sie aber<lb/> war für mich jetzt ſchon das Geweſene, Flüchtige, die Epiſode.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAX"> <speaker> <hi rendition="#b">Max.</hi> </speaker> <p>Was war ſie denn eigentlich?</p> </sp><lb/> <sp who="#ANA"> <speaker> <hi rendition="#b">Anatol.</hi> </speaker> <p>Was ſie war —? Nun, Du kannteſt ſie. —<lb/> Wir haben ſie eines Abends in einer luſtigen Geſellſchaft<lb/> kennen gelernt, Du kannteſt ſie ſogar ſchon von früher her,<lb/> wie Du mir damals ſagteſt.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAX"> <speaker> <hi rendition="#b">Max.</hi> </speaker> <p>Nun, wer war ſie denn? Ich kenne ſehr Viele<lb/> von früher her. Du ſchilderſt ſie ja in Deinem Ampellicht wie<lb/> eine Märchengeſtalt.</p> </sp><lb/> <sp who="#ANA"> <speaker> <hi rendition="#b">Anatol.</hi> </speaker> <p>Ja — im Leben war ſie das nicht. Weißt<lb/> Du, was ſie war —? Ich zerſtöre jetzt eigentlich den ganzen<lb/> Nimbus.</p> </sp><lb/> <sp who="#MAX"> <speaker> <hi rendition="#b">Max.</hi> </speaker> <p>Sie war alſo —?</p> </sp><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [54/0064]
deutlich zu Bewußtſein. Während ich den warmen Hauch
ihres Mundes auf meiner Hand fühlte, erlebte ich das Ganze
ſchon in der Erinnerung. Es war eigentlich ſchon vorüber.
Sie war wieder Eine von Denen geweſen, über die ich hin-
wegmußte. Das Wort ſelbſt fiel mir ein, das dürre Wort:
Epiſode. Und dabei war ich ſelber irgend etwas Ewiges …
Ich wußte auch, daß das „arme Kind“ nimmer dieſe Stunde
aus ihrem Sinn ſchaffen könnte — gerade bei Der wußt’
ich’s. Oft fühlt man es ja: Morgen Früh bin ich vergeſſen.
Aber da war es etwas Anderes. Für Dieſe, die da zu
meinen Füßen lag, bedeutete ich eine Welt; ich fühlte es,
mit welch’ einer heiligen, unvergänglichen Liebe ſie mich in
dieſem Momente umgab. Das empfindet man nämlich; ich
laſſe es mir nicht nehmen. Gewiß konnte ſie in dieſem Augen-
blick nicht Anderes denken, als mich — nur mich. Sie aber
war für mich jetzt ſchon das Geweſene, Flüchtige, die Epiſode.
Max. Was war ſie denn eigentlich?
Anatol. Was ſie war —? Nun, Du kannteſt ſie. —
Wir haben ſie eines Abends in einer luſtigen Geſellſchaft
kennen gelernt, Du kannteſt ſie ſogar ſchon von früher her,
wie Du mir damals ſagteſt.
Max. Nun, wer war ſie denn? Ich kenne ſehr Viele
von früher her. Du ſchilderſt ſie ja in Deinem Ampellicht wie
eine Märchengeſtalt.
Anatol. Ja — im Leben war ſie das nicht. Weißt
Du, was ſie war —? Ich zerſtöre jetzt eigentlich den ganzen
Nimbus.
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Zitationshilfe: | Schnitzler, Arthur: Anatol. Berlin, 1893, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnitzler_anatol_1893/64>, abgerufen am 27.07.2024. |