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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739.

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Kaum waren mir die verdrüßlichen Grillen
wegen dieser unglückseligen Liebes-Begebenheit aus
dem Kopffe gekommen, als ich mich von frischen
in eine 16. jährige schöne Jungfrau verliebte, die
zwar von vornehmen Eltern erzeugt war, jedoch
kaum 4. biß 500. Thlr. im Vermögen hatte, wie-
wohl mich dieses letztere gar nicht abschreckte, mit
derselben eine vergnügte Ehe zu führen, indem sie
sehr wohl erzogen war, und ich mich erinnerte,
daß es eben nicht rathsam sey, im Heyrathen alle-
zeit auf vieles Geld zu sehen. Allem Ansehen nach
liebte sie mich recht von Hertzen, hatte aber doch
einen Schalck im Nacken, denn, ohngeacht ihrer
Jugend, war sie schon bemühet, sich im verbo-
thenen Liebes-Spiel zu exerciren. Eines Ta-
ges, da ihre Eltern verreiset waren, kam ich Mit-
tags zu einer Stunde, da man sich meiner wohl
am allerwenigsten vermuthete, in ihr Hauß, fand
aber die Jungfer nicht zu Hause, sondern die Kö-
chin sagte, sie würde ohnfehlbar zu einer benach-
barten Jungfer Nähen gegangen seyn, weil sie die-
sen Mittag bey Tische davon geredet; ging auch
gleich fort, dieselbe zu ruffen, mitlerweile ich ein
wenig hinter in Garten spatzieren solte. Dem-
nach ward sonst niemand bey mir, als meiner Lieb-
sten jüngster Bruder, ein Knabe von etwa 6. Jah-
ren, welcher mich, weil ihn fast täglich mit Zucker-
Werck, Gelde und andern Sachen beschenckte, sehr
liebte. Dieser Knabe fing von freyen Stücken
an; "Jch weiß es wohl besser, wo meine Schwe-
"ster ist, aber ich darff es nicht sagen, gehen sie

nur

Kaum waren mir die verdruͤßlichen Grillen
wegen dieſer ungluͤckſeligen Liebes-Begebenheit aus
dem Kopffe gekommen, als ich mich von friſchen
in eine 16. jaͤhrige ſchoͤne Jungfrau verliebte, die
zwar von vornehmen Eltern erzeugt war, jedoch
kaum 4. biß 500. Thlr. im Vermoͤgen hatte, wie-
wohl mich dieſes letztere gar nicht abſchreckte, mit
derſelben eine vergnuͤgte Ehe zu fuͤhren, indem ſie
ſehr wohl erzogen war, und ich mich erinnerte,
daß es eben nicht rathſam ſey, im Heyrathen alle-
zeit auf vieles Geld zu ſehen. Allem Anſehen nach
liebte ſie mich recht von Hertzen, hatte aber doch
einen Schalck im Nacken, denn, ohngeacht ihrer
Jugend, war ſie ſchon bemuͤhet, ſich im verbo-
thenen Liebes-Spiel zu exerciren. Eines Ta-
ges, da ihre Eltern verreiſet waren, kam ich Mit-
tags zu einer Stunde, da man ſich meiner wohl
am allerwenigſten vermuthete, in ihr Hauß, fand
aber die Jungfer nicht zu Hauſe, ſondern die Koͤ-
chin ſagte, ſie wuͤrde ohnfehlbar zu einer benach-
barten Jungfer Naͤhen gegangen ſeyn, weil ſie die-
ſen Mittag bey Tiſche davon geredet; ging auch
gleich fort, dieſelbe zu ruffen, mitlerweile ich ein
wenig hinter in Garten ſpatzieren ſolte. Dem-
nach ward ſonſt niemand bey mir, als meiner Lieb-
ſten juͤngſter Bruder, ein Knabe von etwa 6. Jah-
ren, welcher mich, weil ihn faſt taͤglich mit Zucker-
Werck, Gelde und andern Sachen beſchenckte, ſehr
liebte. Dieſer Knabe fing von freyen Stuͤcken
an; „Jch weiß es wohl beſſer, wo meine Schwe-
„ſter iſt, aber ich darff es nicht ſagen, gehen ſie

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[440/0448] Kaum waren mir die verdruͤßlichen Grillen wegen dieſer ungluͤckſeligen Liebes-Begebenheit aus dem Kopffe gekommen, als ich mich von friſchen in eine 16. jaͤhrige ſchoͤne Jungfrau verliebte, die zwar von vornehmen Eltern erzeugt war, jedoch kaum 4. biß 500. Thlr. im Vermoͤgen hatte, wie- wohl mich dieſes letztere gar nicht abſchreckte, mit derſelben eine vergnuͤgte Ehe zu fuͤhren, indem ſie ſehr wohl erzogen war, und ich mich erinnerte, daß es eben nicht rathſam ſey, im Heyrathen alle- zeit auf vieles Geld zu ſehen. Allem Anſehen nach liebte ſie mich recht von Hertzen, hatte aber doch einen Schalck im Nacken, denn, ohngeacht ihrer Jugend, war ſie ſchon bemuͤhet, ſich im verbo- thenen Liebes-Spiel zu exerciren. Eines Ta- ges, da ihre Eltern verreiſet waren, kam ich Mit- tags zu einer Stunde, da man ſich meiner wohl am allerwenigſten vermuthete, in ihr Hauß, fand aber die Jungfer nicht zu Hauſe, ſondern die Koͤ- chin ſagte, ſie wuͤrde ohnfehlbar zu einer benach- barten Jungfer Naͤhen gegangen ſeyn, weil ſie die- ſen Mittag bey Tiſche davon geredet; ging auch gleich fort, dieſelbe zu ruffen, mitlerweile ich ein wenig hinter in Garten ſpatzieren ſolte. Dem- nach ward ſonſt niemand bey mir, als meiner Lieb- ſten juͤngſter Bruder, ein Knabe von etwa 6. Jah- ren, welcher mich, weil ihn faſt taͤglich mit Zucker- Werck, Gelde und andern Sachen beſchenckte, ſehr liebte. Dieſer Knabe fing von freyen Stuͤcken an; „Jch weiß es wohl beſſer, wo meine Schwe- „ſter iſt, aber ich darff es nicht ſagen, gehen ſie nur

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/448>, abgerufen am 22.11.2024.