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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739.

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wolte sie mich alle Tage schlagen, und mir nicht
halb satt zu essen geben. Jch hatte in Wahrzeit
viel Liebe vor meine Sties-Mutter, weil sie mich
ebenfalls unter meinen Geschwistern am liebsten zu
haben schien, derowegen gelobte ich ein ewiges
Stillschweigen an, und ging mit ihr herunter in die
Stube, in welche Helnam kurtz hernach auch ein-
getreten kam, zu dem meine Mutter sagte: Sehet,
was ihr mit euren Tändel-Possen angerichtet habt,
der arme Junge hat gemeinet, ihr wollet mich im
Ernste ermorden, ist derowegen vor Schrecken fast
halb todt, und ich habe ihm doch unter den andern
allen am liebsten. Derowegen gab mir Helnam
meine gantze Hand voll Geld, welches ich der Stief-
Mutter aufzuheben darreichte, und auf beyderseiti-
ges noch mehreres Zureden desto stärcker angelobte,
keinem Menschen etwas von dieser Mord-Geschich-
te zu sagen. Helnam trunck ein Maas Wein auf
das Schrecken, die Stief-Mutter machte mir eine
Wein-Kalte-Schaale mit Zucker, befahl mir,
selbige auszuessen, in der Stube zu bleiben, und sie zu
ruffen, wenn jemand käme; ging hierauf mit Hel-
nam
hinaus, kam erstlich nach einer halben Stun-
de wieder zurücke, sagte, daß Helnam nach Hause
gegangen, und befahl mir, gegen den Vater nur
gar nichts zu gedencken, daß er da gewesen wäre,
denn die kleinen Schwestern hätten ihn nicht gese-
hen, weil sie in den Wald gegangen wären, und
Holtz-Bündel holeten. Jch hielt in der That rei-
nen| Mund, merckte zwar nachhero gar öffters,
daß Helnam in Abwesenheit meines Vaters mit
der Stief-Mutter in dem obern Stockwercke ei-

ne

wolte ſie mich alle Tage ſchlagen, und mir nicht
halb ſatt zu eſſen geben. Jch hatte in Wahrzeit
viel Liebe vor meine Stieſ-Mutter, weil ſie mich
ebenfalls unter meinen Geſchwiſtern am liebſten zu
haben ſchien, derowegen gelobte ich ein ewiges
Stillſchweigen an, und ging mit ihr herunter in die
Stube, in welche Helnam kurtz hernach auch ein-
getreten kam, zu dem meine Mutter ſagte: Sehet,
was ihr mit euren Taͤndel-Poſſen angerichtet habt,
der arme Junge hat gemeinet, ihr wollet mich im
Ernſte ermorden, iſt derowegen vor Schrecken faſt
halb todt, und ich habe ihm doch unter den andern
allen am liebſten. Derowegen gab mir Helnam
meine gantze Hand voll Geld, welches ich der Stief-
Mutter aufzuheben darreichte, und auf beyderſeiti-
ges noch mehreres Zureden deſto ſtaͤrcker angelobte,
keinem Menſchen etwas von dieſer Mord-Geſchich-
te zu ſagen. Helnam trunck ein Maas Wein auf
das Schrecken, die Stief-Mutter machte mir eine
Wein-Kalte-Schaale mit Zucker, befahl mir,
ſelbige auszueſſen, in der Stube zu bleiben, und ſie zu
ruffen, wenn jemand kaͤme; ging hierauf mit Hel-
nam
hinaus, kam erſtlich nach einer halben Stun-
de wieder zuruͤcke, ſagte, daß Helnam nach Hauſe
gegangen, und befahl mir, gegen den Vater nur
gar nichts zu gedencken, daß er da geweſen waͤre,
denn die kleinen Schweſtern haͤtten ihn nicht geſe-
hen, weil ſie in den Wald gegangen waͤren, und
Holtz-Buͤndel holeten. Jch hielt in der That rei-
nen| Mund, merckte zwar nachhero gar oͤffters,
daß Helnam in Abweſenheit meines Vaters mit
der Stief-Mutter in dem obern Stockwercke ei-

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[366/0374] wolte ſie mich alle Tage ſchlagen, und mir nicht halb ſatt zu eſſen geben. Jch hatte in Wahrzeit viel Liebe vor meine Stieſ-Mutter, weil ſie mich ebenfalls unter meinen Geſchwiſtern am liebſten zu haben ſchien, derowegen gelobte ich ein ewiges Stillſchweigen an, und ging mit ihr herunter in die Stube, in welche Helnam kurtz hernach auch ein- getreten kam, zu dem meine Mutter ſagte: Sehet, was ihr mit euren Taͤndel-Poſſen angerichtet habt, der arme Junge hat gemeinet, ihr wollet mich im Ernſte ermorden, iſt derowegen vor Schrecken faſt halb todt, und ich habe ihm doch unter den andern allen am liebſten. Derowegen gab mir Helnam meine gantze Hand voll Geld, welches ich der Stief- Mutter aufzuheben darreichte, und auf beyderſeiti- ges noch mehreres Zureden deſto ſtaͤrcker angelobte, keinem Menſchen etwas von dieſer Mord-Geſchich- te zu ſagen. Helnam trunck ein Maas Wein auf das Schrecken, die Stief-Mutter machte mir eine Wein-Kalte-Schaale mit Zucker, befahl mir, ſelbige auszueſſen, in der Stube zu bleiben, und ſie zu ruffen, wenn jemand kaͤme; ging hierauf mit Hel- nam hinaus, kam erſtlich nach einer halben Stun- de wieder zuruͤcke, ſagte, daß Helnam nach Hauſe gegangen, und befahl mir, gegen den Vater nur gar nichts zu gedencken, daß er da geweſen waͤre, denn die kleinen Schweſtern haͤtten ihn nicht geſe- hen, weil ſie in den Wald gegangen waͤren, und Holtz-Buͤndel holeten. Jch hielt in der That rei- nen| Mund, merckte zwar nachhero gar oͤffters, daß Helnam in Abweſenheit meines Vaters mit der Stief-Mutter in dem obern Stockwercke ei- ne

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/374>, abgerufen am 25.11.2024.