Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739.

Bild:
<< vorherige Seite

nichts mehr bekümmern, sondern meine Auflösung
in stiller Ruhe abwarteu.

Hierauf segnete der liebe Alt-Vater einem jegli-
chen Stamm und alle Anwesenden mit Hertz-bre-
chenden Worten, weßwegen fast jedermann weinete,
da er aber ins Bette gebracht zu werden begehrete,
nahmen alle, biß etliche wenige, ihren Abtrit.

Folgende zwey Tage kamen aus allen Pflantz-
Städten Alt und Jung herbey gezogen, und nah-
men, ein Geschlecht nach dem andern, mit thränen-
den Augen und Küssung seiner Hände beweglichen
Abschied von dem Alt-Vater, er aber ertheilete ih-
nen den Segen mit frölichen Geberden.

Sonntags Vormittags hielt Hr. Mag. Schmel-
tzer den GOttes-Dienst in seinem Zimmer, zu Ende
desselben beichtete der Alt-Vater, und empfing
das Heil. Abendmahl sehr andächtig, wolte aber
nachhero nicht das geringste von Speise und Tranck
zu sich nehmen, sondern er ließ sich den gantzen Tag
über Wechsels-weise geistliche Lieder und Sterbe-
Gebeter vorsingen und lesen. Nach verrichteten
GOttes-Dienst unten in der Kirche, verfammle-
ten sich die Herrn Geistlichen und Alt- Väter zu
ihm, allein, er ließ sich nicht in seiner Andacht stöh-
ren, sondern verharrete stets im Beten und Singen.

Eben diesen Sonntag, den 8. Octobr. 1730.
Abends gegen Untergang der Sonnen, sing der
Sturm an, sich zu legen, welches der Alt-Vater
sogleich vermerckte, und mit annoch ziemlich star-
cker Stimme sprach: Meine Seele wird noch
vor Mitternacht bey GOtt seyn, inzwischen
haltet an im Gebet.
Die Herren Geistlichen

bete-
[Q 4]

nichts mehr bekuͤmmern, ſondern meine Aufloͤſung
in ſtiller Ruhe abwarteu.

Hierauf ſegnete der liebe Alt-Vater einem jegli-
chen Stamm und alle Anweſenden mit Hertz-bre-
chenden Worten, weßwegen faſt jedermann weinete,
da er aber ins Bette gebracht zu werden begehrete,
nahmen alle, biß etliche wenige, ihren Abtrit.

Folgende zwey Tage kamen aus allen Pflantz-
Staͤdten Alt und Jung herbey gezogen, und nah-
men, ein Geſchlecht nach dem andern, mit thraͤnen-
den Augen und Kuͤſſung ſeiner Haͤnde beweglichen
Abſchied von dem Alt-Vater, er aber ertheilete ih-
nen den Segen mit froͤlichen Geberden.

Sonntags Vormittags hielt Hr. Mag. Schmel-
tzer den GOttes-Dienſt in ſeinem Zimmer, zu Ende
deſſelben beichtete der Alt-Vater, und empfing
das Heil. Abendmahl ſehr andaͤchtig, wolte aber
nachhero nicht das geringſte von Speiſe und Tranck
zu ſich nehmen, ſondern er ließ ſich den gantzen Tag
uͤber Wechſels-weiſe geiſtliche Lieder und Sterbe-
Gebeter vorſingen und leſen. Nach verrichteten
GOttes-Dienſt unten in der Kirche, verfammle-
ten ſich die Herrn Geiſtlichen und Alt- Vaͤter zu
ihm, allein, er ließ ſich nicht in ſeiner Andacht ſtoͤh-
ren, ſondern verharrete ſtets im Beten und Singen.

Eben dieſen Sonntag, den 8. Octobr. 1730.
Abends gegen Untergang der Sonnen, ſing der
Sturm an, ſich zu legen, welches der Alt-Vater
ſogleich vermerckte, und mit annoch ziemlich ſtar-
cker Stimme ſprach: Meine Seele wird noch
vor Mitternacht bey GOtt ſeyn, inzwiſchen
haltet an im Gebet.
Die Herren Geiſtlichen

bete-
[Q 4]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0255" n="247"/>
nichts mehr beku&#x0364;mmern, &#x017F;ondern meine Auflo&#x0364;&#x017F;ung<lb/>
in &#x017F;tiller Ruhe abwarteu.</p><lb/>
          <p>Hierauf &#x017F;egnete der liebe Alt-Vater einem jegli-<lb/>
chen Stamm und alle Anwe&#x017F;enden mit Hertz-bre-<lb/>
chenden Worten, weßwegen fa&#x017F;t jedermann weinete,<lb/>
da er aber ins Bette gebracht zu werden begehrete,<lb/>
nahmen alle, biß etliche wenige, ihren Abtrit.</p><lb/>
          <p>Folgende zwey Tage kamen aus allen Pflantz-<lb/>
Sta&#x0364;dten Alt und Jung herbey gezogen, und nah-<lb/>
men, ein Ge&#x017F;chlecht nach dem andern, mit thra&#x0364;nen-<lb/>
den Augen und Ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;ung &#x017F;einer Ha&#x0364;nde beweglichen<lb/>
Ab&#x017F;chied von dem Alt-Vater, er aber ertheilete ih-<lb/>
nen den Segen mit fro&#x0364;lichen Geberden.</p><lb/>
          <p>Sonntags Vormittags hielt Hr. <hi rendition="#aq">Mag.</hi> Schmel-<lb/>
tzer den GOttes-Dien&#x017F;t in &#x017F;einem Zimmer, zu Ende<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben beichtete der Alt-Vater, und empfing<lb/>
das Heil. Abendmahl &#x017F;ehr anda&#x0364;chtig, wolte aber<lb/>
nachhero nicht das gering&#x017F;te von Spei&#x017F;e und Tranck<lb/>
zu &#x017F;ich nehmen, &#x017F;ondern er ließ &#x017F;ich den gantzen Tag<lb/>
u&#x0364;ber Wech&#x017F;els-wei&#x017F;e gei&#x017F;tliche Lieder und Sterbe-<lb/>
Gebeter vor&#x017F;ingen und le&#x017F;en. Nach verrichteten<lb/>
GOttes-Dien&#x017F;t unten in der Kirche, verfammle-<lb/>
ten &#x017F;ich die Herrn Gei&#x017F;tlichen und Alt- Va&#x0364;ter zu<lb/>
ihm, allein, er ließ &#x017F;ich nicht in &#x017F;einer Andacht &#x017F;to&#x0364;h-<lb/>
ren, &#x017F;ondern verharrete &#x017F;tets im Beten und Singen.</p><lb/>
          <p>Eben die&#x017F;en Sonntag, den 8. <hi rendition="#aq">Octobr.</hi> 1730.<lb/>
Abends gegen Untergang der Sonnen, &#x017F;ing der<lb/>
Sturm an, &#x017F;ich zu legen, welches der Alt-Vater<lb/>
&#x017F;ogleich vermerckte, und mit annoch ziemlich &#x017F;tar-<lb/>
cker Stimme &#x017F;prach: <hi rendition="#fr">Meine Seele wird noch<lb/>
vor Mitternacht bey GOtt &#x017F;eyn, inzwi&#x017F;chen<lb/>
haltet an im Gebet.</hi> Die Herren Gei&#x017F;tlichen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">[Q 4]</fw><fw place="bottom" type="catch">bete-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[247/0255] nichts mehr bekuͤmmern, ſondern meine Aufloͤſung in ſtiller Ruhe abwarteu. Hierauf ſegnete der liebe Alt-Vater einem jegli- chen Stamm und alle Anweſenden mit Hertz-bre- chenden Worten, weßwegen faſt jedermann weinete, da er aber ins Bette gebracht zu werden begehrete, nahmen alle, biß etliche wenige, ihren Abtrit. Folgende zwey Tage kamen aus allen Pflantz- Staͤdten Alt und Jung herbey gezogen, und nah- men, ein Geſchlecht nach dem andern, mit thraͤnen- den Augen und Kuͤſſung ſeiner Haͤnde beweglichen Abſchied von dem Alt-Vater, er aber ertheilete ih- nen den Segen mit froͤlichen Geberden. Sonntags Vormittags hielt Hr. Mag. Schmel- tzer den GOttes-Dienſt in ſeinem Zimmer, zu Ende deſſelben beichtete der Alt-Vater, und empfing das Heil. Abendmahl ſehr andaͤchtig, wolte aber nachhero nicht das geringſte von Speiſe und Tranck zu ſich nehmen, ſondern er ließ ſich den gantzen Tag uͤber Wechſels-weiſe geiſtliche Lieder und Sterbe- Gebeter vorſingen und leſen. Nach verrichteten GOttes-Dienſt unten in der Kirche, verfammle- ten ſich die Herrn Geiſtlichen und Alt- Vaͤter zu ihm, allein, er ließ ſich nicht in ſeiner Andacht ſtoͤh- ren, ſondern verharrete ſtets im Beten und Singen. Eben dieſen Sonntag, den 8. Octobr. 1730. Abends gegen Untergang der Sonnen, ſing der Sturm an, ſich zu legen, welches der Alt-Vater ſogleich vermerckte, und mit annoch ziemlich ſtar- cker Stimme ſprach: Meine Seele wird noch vor Mitternacht bey GOtt ſeyn, inzwiſchen haltet an im Gebet. Die Herren Geiſtlichen bete- [Q 4]

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/255
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/255>, abgerufen am 24.11.2024.