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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739.

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ter war, auf dem Spiel-Saale, mit allerhand
Spielen zu divertiren. Jn der Mittags-Stun-
de speiseten wir, durfften uns hernach wieder eine
Stunde Motion machen, musten so dann aber-
mahls 3. Stunden die Lectiones abwarten, hat-
ten nachhero biß zu Untergang der Sonnen wieder
Erlaubniß zu spielen, endlich aber nochmahls eine
Mahometanische Bet-Stunde halten, und alsobald
zu Bette gehen.

So war meine Lebens-Art damals beschaffen,
allein, in den erstern Wochen vergoß ich tausend
Thränen, theils über meinen Vater, von welchen
ich nicht wuste, wo er hingekommen war, theils
wegen meiner Mutter, die solchergestalt ihres Man-
nes, Sohnes und so vieler schönen Güter auf ein-
mahl beraubt war, theils über mich selbst, daß ich
in solchen Zustand gerathen, und meine Studia nicht
recht nach Europäischer Art fortsetzen, vielweniger
mich in meinem Christenthume rechtschaffen üben
konte, indem ich kein eintziges Christliches Buch
hatte, jedoch mir die vornehmsten Glaubens-Ar-
ticul, Gebete und Gesänge, die ich auswendig ge-
lernet, um selbige nicht zu vergessen, alle aufschrieb,
und selbige in Abwesenheit unsers Hofmeisters oder
sonsten an einem geheimen Ort repetirte, auch
meine Cameraden sonderlich damit er freuete, ohn-
geacht sie Römisch-Catholischer Religion waren,
und noch niemals so, wie ich schon offtermahls, das
Heil. Abendmahl empfangen hatten, welches letz-
tere bey diesen meinem Zustande immer mein bester
Trost war.

Mittlerweile bezeigte unser Hof- und Lehr-

Mei-

ter war, auf dem Spiel-Saale, mit allerhand
Spielen zu divertiren. Jn der Mittags-Stun-
de ſpeiſeten wir, durfften uns hernach wieder eine
Stunde Motion machen, muſten ſo dann aber-
mahls 3. Stunden die Lectiones abwarten, hat-
ten nachhero biß zu Untergang der Sonnen wieder
Erlaubniß zu ſpielen, endlich aber nochmahls eine
Mahometaniſche Bet-Stunde halten, und alſobald
zu Bette gehen.

So war meine Lebens-Art damals beſchaffen,
allein, in den erſtern Wochen vergoß ich tauſend
Thraͤnen, theils uͤber meinen Vater, von welchen
ich nicht wuſte, wo er hingekommen war, theils
wegen meiner Mutter, die ſolchergeſtalt ihres Man-
nes, Sohnes und ſo vieler ſchoͤnen Guͤter auf ein-
mahl beraubt war, theils uͤber mich ſelbſt, daß ich
in ſolchen Zuſtand gerathen, und meine Studia nicht
recht nach Europaͤiſcher Art fortſetzen, vielweniger
mich in meinem Chriſtenthume rechtſchaffen uͤben
konte, indem ich kein eintziges Chriſtliches Buch
hatte, jedoch mir die vornehmſten Glaubens-Ar-
ticul, Gebete und Geſaͤnge, die ich auswendig ge-
lernet, um ſelbige nicht zu vergeſſen, alle aufſchrieb,
und ſelbige in Abweſenheit unſers Hofmeiſters oder
ſonſten an einem geheimen Ort repetirte, auch
meine Cameraden ſonderlich damit er freuete, ohn-
geacht ſie Roͤmiſch-Catholiſcher Religion waren,
und noch niemals ſo, wie ich ſchon offtermahls, das
Heil. Abendmahl empfangen hatten, welches letz-
tere bey dieſen meinem Zuſtande immer mein beſter
Troſt war.

Mittlerweile bezeigte unſer Hof- und Lehr-

Mei-
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[100/0108] ter war, auf dem Spiel-Saale, mit allerhand Spielen zu divertiren. Jn der Mittags-Stun- de ſpeiſeten wir, durfften uns hernach wieder eine Stunde Motion machen, muſten ſo dann aber- mahls 3. Stunden die Lectiones abwarten, hat- ten nachhero biß zu Untergang der Sonnen wieder Erlaubniß zu ſpielen, endlich aber nochmahls eine Mahometaniſche Bet-Stunde halten, und alſobald zu Bette gehen. So war meine Lebens-Art damals beſchaffen, allein, in den erſtern Wochen vergoß ich tauſend Thraͤnen, theils uͤber meinen Vater, von welchen ich nicht wuſte, wo er hingekommen war, theils wegen meiner Mutter, die ſolchergeſtalt ihres Man- nes, Sohnes und ſo vieler ſchoͤnen Guͤter auf ein- mahl beraubt war, theils uͤber mich ſelbſt, daß ich in ſolchen Zuſtand gerathen, und meine Studia nicht recht nach Europaͤiſcher Art fortſetzen, vielweniger mich in meinem Chriſtenthume rechtſchaffen uͤben konte, indem ich kein eintziges Chriſtliches Buch hatte, jedoch mir die vornehmſten Glaubens-Ar- ticul, Gebete und Geſaͤnge, die ich auswendig ge- lernet, um ſelbige nicht zu vergeſſen, alle aufſchrieb, und ſelbige in Abweſenheit unſers Hofmeiſters oder ſonſten an einem geheimen Ort repetirte, auch meine Cameraden ſonderlich damit er freuete, ohn- geacht ſie Roͤmiſch-Catholiſcher Religion waren, und noch niemals ſo, wie ich ſchon offtermahls, das Heil. Abendmahl empfangen hatten, welches letz- tere bey dieſen meinem Zuſtande immer mein beſter Troſt war. Mittlerweile bezeigte unſer Hof- und Lehr- Mei-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 3. Nordhausen, 1739, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata03_1739/108>, abgerufen am 22.11.2024.