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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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der Vater indessen die bestellte Schneider-oder
Leinweber-Arbeit abwarten mußte, so kam es durch
ein und andere Verdrießlichkeiten endlich dahin, daß
meinem Vater aus dem Consistorio ein Substitute
gesetzt wurde, und zwar, dem Vorgeben nach, aus
keiner andern Ursache, als, weil sich die Gemeine
anheischig gemacht, in ihre Kirche eine Orgel bauen
zu lassen, die mein Vater gar nicht, der Stubtifute
aber desto besser spielen könte.

Mein Vater wolte diesen Schimpf durchaus
nicht verdauen, so bald aber unsere Gemeine den
Anfang zum Orgel-Bau machen ließ, lieff er mit
mir, fast alle Tage, 3. Viertel Meilwegs in die
nächste Stadt, um in seinem hohen Alter, annoch
das Orgel-Spielen zu erlernen, und hiermit bey
bevorstehender Orgel-Probe seinen Substituten
über den Tölpel zu werffen, meine Gelahrthafftig-
keit, mußte von dem höchst intonirten Stadt-Orga-
nist
en, vor wöchentliches baares Geld, Käse, But-
ter, junge Hühner und andere Dinge ohngerech-
net, auch Lectiones nehmen, allein, wir hatten kaum
die Claves kennen, und den Choral: O wir ar-
men Sünder etc.
spielen lernen, als mein Vater,
der täglichen Strapazen wegen, bettlägerig wur-
de, und bald hernach verstarb. Mit ihm wurde
zugleich meine Hoffnung auf den zukünfftigen
Schul-Dienst unseres Dorffs, nebst meiner gan-
tzen Organisten-Kunst zu Grabe getragen, und so
bald meine Mutter nebst den zwey jüngsten, annoch
unverheyratheten Schwestern, das Schul-Haus
quittiren mußte, mußte auch ich mich bequemen, bey
dem Manne meiner ältesten Schwester, der ein

Schnei-

der Vater indeſſen die beſtellte Schneider-oder
Leinweber-Arbeit abwarten mußte, ſo kam es durch
ein und andere Verdrießlichkeiten endlich dahin, daß
meinem Vater aus dem Conſiſtorio ein Subſtitute
geſetzt wurde, und zwar, dem Vorgeben nach, aus
keiner andern Urſache, als, weil ſich die Gemeine
anheiſchig gemacht, in ihre Kirche eine Orgel bauen
zu laſſen, die mein Vater gar nicht, der Stubtifute
aber deſto beſſer ſpielen koͤnte.

Mein Vater wolte dieſen Schimpf durchaus
nicht verdauen, ſo bald aber unſere Gemeine den
Anfang zum Orgel-Bau machen ließ, lieff er mit
mir, faſt alle Tage, 3. Viertel Meilwegs in die
naͤchſte Stadt, um in ſeinem hohen Alter, annoch
das Orgel-Spielen zu erlernen, und hiermit bey
bevorſtehender Orgel-Probe ſeinen Subſtituten
uͤber den Toͤlpel zu werffen, meine Gelahrthafftig-
keit, mußte von dem hoͤchſt intonirten Stadt-Orga-
niſt
en, vor woͤchentliches baares Geld, Kaͤſe, But-
ter, junge Huͤhner und andere Dinge ohngerech-
net, auch Lectiones nehmen, allein, wir hatten kaum
die Claves kennen, und den Choral: O wir ar-
men Suͤnder ꝛc.
ſpielen lernen, als mein Vater,
der taͤglichen Strapazen wegen, bettlaͤgerig wur-
de, und bald hernach verſtarb. Mit ihm wurde
zugleich meine Hoffnung auf den zukuͤnfftigen
Schul-Dienſt unſeres Dorffs, nebſt meiner gan-
tzen Organiſten-Kunſt zu Grabe getragen, und ſo
bald meine Mutter nebſt den zwey juͤngſten, annoch
unverheyratheten Schweſtern, das Schul-Haus
quittiren mußte, mußte auch ich mich bequemen, bey
dem Manne meiner aͤlteſten Schweſter, der ein

Schnei-
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[427/0441] der Vater indeſſen die beſtellte Schneider-oder Leinweber-Arbeit abwarten mußte, ſo kam es durch ein und andere Verdrießlichkeiten endlich dahin, daß meinem Vater aus dem Conſiſtorio ein Subſtitute geſetzt wurde, und zwar, dem Vorgeben nach, aus keiner andern Urſache, als, weil ſich die Gemeine anheiſchig gemacht, in ihre Kirche eine Orgel bauen zu laſſen, die mein Vater gar nicht, der Stubtifute aber deſto beſſer ſpielen koͤnte. Mein Vater wolte dieſen Schimpf durchaus nicht verdauen, ſo bald aber unſere Gemeine den Anfang zum Orgel-Bau machen ließ, lieff er mit mir, faſt alle Tage, 3. Viertel Meilwegs in die naͤchſte Stadt, um in ſeinem hohen Alter, annoch das Orgel-Spielen zu erlernen, und hiermit bey bevorſtehender Orgel-Probe ſeinen Subſtituten uͤber den Toͤlpel zu werffen, meine Gelahrthafftig- keit, mußte von dem hoͤchſt intonirten Stadt-Orga- niſten, vor woͤchentliches baares Geld, Kaͤſe, But- ter, junge Huͤhner und andere Dinge ohngerech- net, auch Lectiones nehmen, allein, wir hatten kaum die Claves kennen, und den Choral: O wir ar- men Suͤnder ꝛc. ſpielen lernen, als mein Vater, der taͤglichen Strapazen wegen, bettlaͤgerig wur- de, und bald hernach verſtarb. Mit ihm wurde zugleich meine Hoffnung auf den zukuͤnfftigen Schul-Dienſt unſeres Dorffs, nebſt meiner gan- tzen Organiſten-Kunſt zu Grabe getragen, und ſo bald meine Mutter nebſt den zwey juͤngſten, annoch unverheyratheten Schweſtern, das Schul-Haus quittiren mußte, mußte auch ich mich bequemen, bey dem Manne meiner aͤlteſten Schweſter, der ein Schnei-

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/441>, abgerufen am 27.11.2024.