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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

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fahren, und hatten ihm weder schreiben noch lesen
lernen lassen.

Mittlerweile fügte sichs, das mein Vater, bey
einem vornehmen Manne, der ein neues Haus bau-
en ließ, ein gut Stück Arbeit bekam, woran meine
Mutter und ich mit Hand anlegen mußten, weil
nun dessen Kinder, wenn ihr Informator dieselben
in das neue Haus spatziren führete, sich öffters mit
mir ins Gespräch einliessen, so bat ich einsmahls den
jüngsten, mir ein fein groß Buch zu schencken, denn
ich hätte gute Lust das Lesen zu lernen. Der Kna-
be fragte mich, ob ich denn in die Schule ginge, und
wer mir das Lesen lernen solte? Jch aber gab zur
Antwort: Zum Schulgehen hätten wir kein Geld,
dem aber ohngeacht, wolte ich das Lesen doch wohl
lernen, wenn ich zusähe, wie es andere Leute machten.
Er fing an zu lachen, und erzehlete mein Gespräche
seinen zweyen andern Brüdern, welche mir ein schön
groß Buch zu schencken versprachen, wann ich auf
den Abend vor ihre Thür kommen, und selbiges ab-
hohlen wolte. Jch war nicht faul, sondern ging zu
bestimmter Zeit hin, empfing auch von ihnen einen
sehr grossen Folianten von zusammen gebundenen
Leichen-Predigten, und versteckte selbigen, aus
Furcht vor meinem Vater, zu Hause unter die
Treppe.

So bald mein Vater früh morgens um die gehö-
rige Zeit an die Arbeit gegangen, und mir und meiner
Mutter nachzukommen befohlen, nahm ich mein
Buch unter den Arm, ging nach der Stadt-Schule
zu und erkundigte mich, in welcher Stube der ober-
ste Schulmeister Schule hielte. Jndem mich nun

ein

fahren, und hatten ihm weder ſchreiben noch leſen
lernen laſſen.

Mittlerweile fuͤgte ſichs, das mein Vater, bey
einem vornehmen Manne, der ein neues Haus bau-
en ließ, ein gut Stuͤck Arbeit bekam, woran meine
Mutter und ich mit Hand anlegen mußten, weil
nun deſſen Kinder, wenn ihr Informator dieſelben
in das neue Haus ſpatziren fuͤhrete, ſich oͤffters mit
mir ins Geſpraͤch einlieſſen, ſo bat ich einsmahls den
juͤngſten, mir ein fein groß Buch zu ſchencken, denn
ich haͤtte gute Luſt das Leſen zu lernen. Der Kna-
be fragte mich, ob ich denn in die Schule ginge, und
wer mir das Leſen lernen ſolte? Jch aber gab zur
Antwort: Zum Schulgehen haͤtten wir kein Geld,
dem aber ohngeacht, wolte ich das Leſen doch wohl
lernen, wenn ich zuſaͤhe, wie es andere Leute machten.
Er fing an zu lachen, und erzehlete mein Geſpraͤche
ſeinen zweyen andern Bruͤdern, welche mir ein ſchoͤn
groß Buch zu ſchencken verſprachen, wann ich auf
den Abend vor ihre Thuͤr kommen, und ſelbiges ab-
hohlen wolte. Jch war nicht faul, ſondern ging zu
beſtimmter Zeit hin, empfing auch von ihnen einen
ſehr groſſen Folianten von zuſammen gebundenen
Leichen-Predigten, und verſteckte ſelbigen, aus
Furcht vor meinem Vater, zu Hauſe unter die
Treppe.

So bald mein Vater fruͤh morgens um die gehoͤ-
rige Zeit an die Arbeit gegangen, und mir und meiner
Mutter nachzukommen befohlen, nahm ich mein
Buch unter den Arm, ging nach der Stadt-Schule
zu und erkundigte mich, in welcher Stube der ober-
ſte Schulmeiſter Schule hielte. Jndem mich nun

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[402/0416] fahren, und hatten ihm weder ſchreiben noch leſen lernen laſſen. Mittlerweile fuͤgte ſichs, das mein Vater, bey einem vornehmen Manne, der ein neues Haus bau- en ließ, ein gut Stuͤck Arbeit bekam, woran meine Mutter und ich mit Hand anlegen mußten, weil nun deſſen Kinder, wenn ihr Informator dieſelben in das neue Haus ſpatziren fuͤhrete, ſich oͤffters mit mir ins Geſpraͤch einlieſſen, ſo bat ich einsmahls den juͤngſten, mir ein fein groß Buch zu ſchencken, denn ich haͤtte gute Luſt das Leſen zu lernen. Der Kna- be fragte mich, ob ich denn in die Schule ginge, und wer mir das Leſen lernen ſolte? Jch aber gab zur Antwort: Zum Schulgehen haͤtten wir kein Geld, dem aber ohngeacht, wolte ich das Leſen doch wohl lernen, wenn ich zuſaͤhe, wie es andere Leute machten. Er fing an zu lachen, und erzehlete mein Geſpraͤche ſeinen zweyen andern Bruͤdern, welche mir ein ſchoͤn groß Buch zu ſchencken verſprachen, wann ich auf den Abend vor ihre Thuͤr kommen, und ſelbiges ab- hohlen wolte. Jch war nicht faul, ſondern ging zu beſtimmter Zeit hin, empfing auch von ihnen einen ſehr groſſen Folianten von zuſammen gebundenen Leichen-Predigten, und verſteckte ſelbigen, aus Furcht vor meinem Vater, zu Hauſe unter die Treppe. So bald mein Vater fruͤh morgens um die gehoͤ- rige Zeit an die Arbeit gegangen, und mir und meiner Mutter nachzukommen befohlen, nahm ich mein Buch unter den Arm, ging nach der Stadt-Schule zu und erkundigte mich, in welcher Stube der ober- ſte Schulmeiſter Schule hielte. Jndem mich nun ein

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/416>, abgerufen am 29.11.2024.