Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737.

Bild:
<< vorherige Seite

dermassen bedrängt, daß ich erstlich in eine grosse
Tieffsinnigkeit, und bald hernach auch in ein gefähr-
liches hitziges Fieber verfiel, und binnen 14. Tagen,
da solches am allerhefftigsten gewütet, nicht gewust
habe, wie mir zu Muthe gewesen. Jch habe mittler-
weile nicht nur phantasiret, sondern dergestalt heff-
tig geraset, daß öffters 8. biß zehen der stärcksten
Manns-Personen mich kaum bändigen und vor dem
Selbst-Morde bewahren können. Endlich sehen
sich die guten Leute gezwungen, mich mit starcken
Stricken und Seilen im Bette anzubinden, die ich
aber nicht anders als vermodert Garn zerrissen habe.
Ein gleiches ist nachhero auch unterschiedliche mahl
mit denen angelegten Ketten und Banden geschehen,
jedoch endlich hat ein Schmid die stärcksten eisernen
Bande verfertiget, auch die Mühe auf sich genom-
men, nebst seinen Gesellen bey mir zu wachen, und
meine Hände, so offt sie sich an dem Eisenwercke
vergreiffen wollen, mit Brenn-Nesseln so lange zu
peitschen, biß mir die Lust zum Zerbrechen nach und
nach verschwunden.

Hätte mich GOtt in diesem Zustande dahin ster-
ben lassen, so wäre mein Leib und Seele gantz gewiß
ewig verdammet und verlohren gewesen, allein seine
Barmhertzigkeit, die auch die allergrösten Sünder,
auf allerhand Arten zur Busse zu reitzen suchet, hat
sich auch bey mir auf eine gantz besondere Art offen-
bahret, und zwar unaussprechlich mehr, als ich der-
dienet gehabt. Da ich also einst in der Nacht, mei-
nen völligen Verstand wieder bekam, und mich der-
gestalt gefesselt und verwahret befand, anbey nicht
anders glaubete, die Gerichten hätten wegen des

mei-
b b 5

dermaſſen bedraͤngt, daß ich erſtlich in eine groſſe
Tieffſinnigkeit, und bald hernach auch in ein gefaͤhr-
liches hitziges Fieber verfiel, und binnen 14. Tagen,
da ſolches am allerhefftigſten gewuͤtet, nicht gewuſt
habe, wie mir zu Muthe geweſen. Jch habe mittler-
weile nicht nur phantaſiret, ſondern dergeſtalt heff-
tig geraſet, daß oͤffters 8. biß zehen der ſtaͤrckſten
Manns-Perſonen mich kaum baͤndigen und vor dem
Selbſt-Morde bewahren koͤnnen. Endlich ſehen
ſich die guten Leute gezwungen, mich mit ſtarcken
Stricken und Seilen im Bette anzubinden, die ich
aber nicht anders als vermodert Garn zerriſſen habe.
Ein gleiches iſt nachhero auch unterſchiedliche mahl
mit denen angelegten Ketten und Banden geſchehen,
jedoch endlich hat ein Schmid die ſtaͤrckſten eiſernen
Bande verfertiget, auch die Muͤhe auf ſich genom-
men, nebſt ſeinen Geſellen bey mir zu wachen, und
meine Haͤnde, ſo offt ſie ſich an dem Eiſenwercke
vergreiffen wollen, mit Brenn-Neſſeln ſo lange zu
peitſchen, biß mir die Luſt zum Zerbrechen nach und
nach verſchwunden.

Haͤtte mich GOtt in dieſem Zuſtande dahin ſter-
ben laſſen, ſo waͤre mein Leib und Seele gantz gewiß
ewig verdammet und verlohren geweſen, allein ſeine
Barmhertzigkeit, die auch die allergroͤſten Suͤnder,
auf allerhand Arten zur Buſſe zu reitzen ſuchet, hat
ſich auch bey mir auf eine gantz beſondere Art offen-
bahret, und zwar unausſprechlich mehr, als ich der-
dienet gehabt. Da ich alſo einſt in der Nacht, mei-
nen voͤlligen Verſtand wieder bekam, und mich der-
geſtalt gefeſſelt und verwahret befand, anbey nicht
anders glaubete, die Gerichten haͤtten wegen des

mei-
b b 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0407" n="393"/>
derma&#x017F;&#x017F;en bedra&#x0364;ngt, daß ich er&#x017F;tlich in eine gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Tieff&#x017F;innigkeit, und bald hernach auch in ein gefa&#x0364;hr-<lb/>
liches hitziges Fieber verfiel, und binnen 14. Tagen,<lb/>
da &#x017F;olches am allerhefftig&#x017F;ten gewu&#x0364;tet, nicht gewu&#x017F;t<lb/>
habe, wie mir zu Muthe gewe&#x017F;en. Jch habe mittler-<lb/>
weile nicht nur phanta&#x017F;iret, &#x017F;ondern derge&#x017F;talt heff-<lb/>
tig gera&#x017F;et, daß o&#x0364;ffters 8. biß zehen der &#x017F;ta&#x0364;rck&#x017F;ten<lb/>
Manns-Per&#x017F;onen mich kaum ba&#x0364;ndigen und vor dem<lb/>
Selb&#x017F;t-Morde bewahren ko&#x0364;nnen. Endlich &#x017F;ehen<lb/>
&#x017F;ich die guten Leute gezwungen, mich mit &#x017F;tarcken<lb/>
Stricken und Seilen im Bette anzubinden, die ich<lb/>
aber nicht anders als vermodert Garn zerri&#x017F;&#x017F;en habe.<lb/>
Ein gleiches i&#x017F;t nachhero auch unter&#x017F;chiedliche mahl<lb/>
mit denen angelegten Ketten und Banden ge&#x017F;chehen,<lb/>
jedoch endlich hat ein Schmid die &#x017F;ta&#x0364;rck&#x017F;ten ei&#x017F;ernen<lb/>
Bande verfertiget, auch die Mu&#x0364;he auf &#x017F;ich genom-<lb/>
men, neb&#x017F;t &#x017F;einen Ge&#x017F;ellen bey mir zu wachen, und<lb/>
meine Ha&#x0364;nde, &#x017F;o offt &#x017F;ie &#x017F;ich an dem Ei&#x017F;enwercke<lb/>
vergreiffen wollen, mit Brenn-Ne&#x017F;&#x017F;eln &#x017F;o lange zu<lb/>
peit&#x017F;chen, biß mir die Lu&#x017F;t zum Zerbrechen nach und<lb/>
nach ver&#x017F;chwunden.</p><lb/>
          <p>Ha&#x0364;tte mich GOtt in die&#x017F;em Zu&#x017F;tande dahin &#x017F;ter-<lb/>
ben la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;o wa&#x0364;re mein Leib und Seele gantz gewiß<lb/>
ewig verdammet und verlohren gewe&#x017F;en, allein &#x017F;eine<lb/>
Barmhertzigkeit, die auch die allergro&#x0364;&#x017F;ten Su&#x0364;nder,<lb/>
auf allerhand Arten zur Bu&#x017F;&#x017F;e zu reitzen &#x017F;uchet, hat<lb/>
&#x017F;ich auch bey mir auf eine gantz be&#x017F;ondere Art offen-<lb/>
bahret, und zwar unaus&#x017F;prechlich mehr, als ich der-<lb/>
dienet gehabt. Da ich al&#x017F;o ein&#x017F;t in der Nacht, mei-<lb/>
nen vo&#x0364;lligen Ver&#x017F;tand wieder bekam, und mich der-<lb/>
ge&#x017F;talt gefe&#x017F;&#x017F;elt und verwahret befand, anbey nicht<lb/>
anders glaubete, die Gerichten ha&#x0364;tten wegen des<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">b b 5</fw><fw place="bottom" type="catch">mei-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[393/0407] dermaſſen bedraͤngt, daß ich erſtlich in eine groſſe Tieffſinnigkeit, und bald hernach auch in ein gefaͤhr- liches hitziges Fieber verfiel, und binnen 14. Tagen, da ſolches am allerhefftigſten gewuͤtet, nicht gewuſt habe, wie mir zu Muthe geweſen. Jch habe mittler- weile nicht nur phantaſiret, ſondern dergeſtalt heff- tig geraſet, daß oͤffters 8. biß zehen der ſtaͤrckſten Manns-Perſonen mich kaum baͤndigen und vor dem Selbſt-Morde bewahren koͤnnen. Endlich ſehen ſich die guten Leute gezwungen, mich mit ſtarcken Stricken und Seilen im Bette anzubinden, die ich aber nicht anders als vermodert Garn zerriſſen habe. Ein gleiches iſt nachhero auch unterſchiedliche mahl mit denen angelegten Ketten und Banden geſchehen, jedoch endlich hat ein Schmid die ſtaͤrckſten eiſernen Bande verfertiget, auch die Muͤhe auf ſich genom- men, nebſt ſeinen Geſellen bey mir zu wachen, und meine Haͤnde, ſo offt ſie ſich an dem Eiſenwercke vergreiffen wollen, mit Brenn-Neſſeln ſo lange zu peitſchen, biß mir die Luſt zum Zerbrechen nach und nach verſchwunden. Haͤtte mich GOtt in dieſem Zuſtande dahin ſter- ben laſſen, ſo waͤre mein Leib und Seele gantz gewiß ewig verdammet und verlohren geweſen, allein ſeine Barmhertzigkeit, die auch die allergroͤſten Suͤnder, auf allerhand Arten zur Buſſe zu reitzen ſuchet, hat ſich auch bey mir auf eine gantz beſondere Art offen- bahret, und zwar unausſprechlich mehr, als ich der- dienet gehabt. Da ich alſo einſt in der Nacht, mei- nen voͤlligen Verſtand wieder bekam, und mich der- geſtalt gefeſſelt und verwahret befand, anbey nicht anders glaubete, die Gerichten haͤtten wegen des mei- b b 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/407
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Bd. 2. Nordhausen, 1737, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata02_1737/407>, abgerufen am 22.11.2024.