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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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nier zu der schönen Sophie, welche im Garten unter
einem grünen schattigten Baume mit der Spindel
die zärtesten Flachs-Faden spann, weßwegen ich Ge-
legenheit ergriff, mich bey ihr nieder zu setzen, und ih-
rer zarten Arbeit zuzusehen, welche ihre geschickten
und saubern Hände gewiß recht anmuthig verrich-
teten.

Nach ein und andern schertzhafften jedoch tu-
gendhafften Gesprächen, kam ich endlich auf mein
Propos, und fragte etwas ernsthaffter: Warum
sie denn so eigensinnig im Lieben sey, und denjenigen
Jungen Gesellen, welcher sie so hefftig liebte, nicht
zum Manne haben wolle. Das artige Kind errö-
thete hierüber, wolte aber nicht ein Wort ant-
worten, welches ich vielmehr ihrer Schamhafftig-
keit, als einer Blödigkeit des Verstandes zurechnen
muste, indem ich allbereit zur Gnüge verspüret, daß
sie einen vortreflichen Geist und aufgeräumten Sinn
hatte. Derowegen setzte noch öffter an, und
brachte es endlich durch vieles bitten dahin, daß sie
mir ihr gantzes Hertz in folgenden Worten eröffne-
te: Mein Herr! sagte sie, ich zweiffele nicht im ge-
ringsten, daß ihr von den Meinigen abgeschickt seyd,
meines Hertzens Gedancken auszuforschen, doch
weil ich euch vor einen der redlichsten und tugend-
hafftesten Leute halte, so will ich mich nicht schämen
euch das zu vertrauen, was ich auch meinem Vater
und Geschwister, geschweige denn andern Befreund-
ten, zu eröffnen Scheu getragen habe. Wisset dem-
nach, daß mir unmöglich ist einen Mann zu nehmen,
der um so viele Jahre jünger ist als ich, bedencket
doch, ich habe allbereit mein 32stes Jahr zurück ge-

legt,
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nier zu der ſchoͤnen Sophie, welche im Garten unter
einem gruͤnen ſchattigten Baume mit der Spindel
die zaͤrteſten Flachs-Faden ſpann, weßwegen ich Ge-
legenheit ergriff, mich bey ihr nieder zu ſetzen, und ih-
rer zarten Arbeit zuzuſehen, welche ihre geſchickten
und ſaubern Haͤnde gewiß recht anmuthig verrich-
teten.

Nach ein und andern ſchertzhafften jedoch tu-
gendhafften Geſpraͤchen, kam ich endlich auf mein
Propos, und fragte etwas ernſthaffter: Warum
ſie denn ſo eigenſinnig im Lieben ſey, und denjenigen
Jungen Geſellen, welcher ſie ſo hefftig liebte, nicht
zum Manne haben wolle. Das artige Kind erroͤ-
thete hieruͤber, wolte aber nicht ein Wort ant-
worten, welches ich vielmehr ihrer Schamhafftig-
keit, als einer Bloͤdigkeit des Verſtandes zurechnen
muſte, indem ich allbereit zur Gnuͤge verſpuͤret, daß
ſie einen vortreflichen Geiſt und aufgeraͤumten Sinn
hatte. Derowegen ſetzte noch oͤffter an, und
brachte es endlich durch vieles bitten dahin, daß ſie
mir ihr gantzes Hertz in folgenden Worten eroͤffne-
te: Mein Herr! ſagte ſie, ich zweiffele nicht im ge-
ringſten, daß ihr von den Meinigen abgeſchickt ſeyd,
meines Hertzens Gedancken auszuforſchen, doch
weil ich euch vor einen der redlichſten und tugend-
haffteſten Leute halte, ſo will ich mich nicht ſchaͤmen
euch das zu vertrauen, was ich auch meinem Vater
und Geſchwiſter, geſchweige denn andern Befreund-
ten, zu eroͤffnen Scheu getragen habe. Wiſſet dem-
nach, daß mir unmoͤglich iſt einen Mann zu nehmen,
der um ſo viele Jahre juͤnger iſt als ich, bedencket
doch, ich habe allbereit mein 32ſtes Jahr zuruͤck ge-

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[435/0449] nier zu der ſchoͤnen Sophie, welche im Garten unter einem gruͤnen ſchattigten Baume mit der Spindel die zaͤrteſten Flachs-Faden ſpann, weßwegen ich Ge- legenheit ergriff, mich bey ihr nieder zu ſetzen, und ih- rer zarten Arbeit zuzuſehen, welche ihre geſchickten und ſaubern Haͤnde gewiß recht anmuthig verrich- teten. Nach ein und andern ſchertzhafften jedoch tu- gendhafften Geſpraͤchen, kam ich endlich auf mein Propos, und fragte etwas ernſthaffter: Warum ſie denn ſo eigenſinnig im Lieben ſey, und denjenigen Jungen Geſellen, welcher ſie ſo hefftig liebte, nicht zum Manne haben wolle. Das artige Kind erroͤ- thete hieruͤber, wolte aber nicht ein Wort ant- worten, welches ich vielmehr ihrer Schamhafftig- keit, als einer Bloͤdigkeit des Verſtandes zurechnen muſte, indem ich allbereit zur Gnuͤge verſpuͤret, daß ſie einen vortreflichen Geiſt und aufgeraͤumten Sinn hatte. Derowegen ſetzte noch oͤffter an, und brachte es endlich durch vieles bitten dahin, daß ſie mir ihr gantzes Hertz in folgenden Worten eroͤffne- te: Mein Herr! ſagte ſie, ich zweiffele nicht im ge- ringſten, daß ihr von den Meinigen abgeſchickt ſeyd, meines Hertzens Gedancken auszuforſchen, doch weil ich euch vor einen der redlichſten und tugend- haffteſten Leute halte, ſo will ich mich nicht ſchaͤmen euch das zu vertrauen, was ich auch meinem Vater und Geſchwiſter, geſchweige denn andern Befreund- ten, zu eroͤffnen Scheu getragen habe. Wiſſet dem- nach, daß mir unmoͤglich iſt einen Mann zu nehmen, der um ſo viele Jahre juͤnger iſt als ich, bedencket doch, ich habe allbereit mein 32ſtes Jahr zuruͤck ge- legt, E e 2

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/449>, abgerufen am 22.11.2024.