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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Mittel zu ersetzen. Unsere Cameraden selbst | haben
verrätherisch gehandelt, denn da sie von ferne Land
sehen, und selbiges mit dem übel zugerichteten Schif-
fe nicht zu erreichen getrauen, werffen sich die ge-
funden ins Boot und lassen etliche Krancke, oh-
ne alle Lebens-Mittel zurücke. Wir wünschten den
Tod, da aber selbiger, zu Endigung unserer Marter,
sich nicht bey allen auf einmal einstellen wolte, mu-
sten wir uns aus Hunger an die Cörper derjenigen
machen, welche am ersten sturben, hierüber hat
unsere Kranckheit dermassen zugenommen, daß ich
vor meine Person selbst nicht gewust habe, ob ich
noch lebte oder allbereits todt wäre.

Robert versuchte zwar noch ein und anderes von
ihm zu erforschen, da aber des elenden Spaniers
Schwachheit allzugroß war, musten wir uns mit
dem Bescheide: Er wolle Morgen, wenn er noch
lebte, ein mehreres reden, begnügen lassen. Allein
nachdem er die gantze | Nacht hindurch ziemlich ru-
hig gelegen, starb er uns mit anbrechenden Tage,
sehr sanfft unter den Händen, und wurde seiner mit
wenig Worten und Gebärden bezeigten christlichen
Andacht wegen, an die Seite unsers Gottes-Ackers
begraben. Solchergestalt war niemand näher die
auf dem Schiff befindlichen Sachen in Verwah-
rung zu nehmen, als ich und die Meinigen, und weil
wir dem Könige von Spanien auf keinerley Weise
verbunden waren, so hielt ich nicht vor klug gehan-
delt, meinen Kindern das Strand-Recht zu verweh-
ren, welche demnach in wenig Tagen das gantze
Schiff, nebst allen darauff befindlichen Sachen,
nach und nach Stückweise auf die Jnsul brachten.

Jch

Mittel zu erſetzen. Unſere Cameraden ſelbſt | haben
verraͤtheriſch gehandelt, denn da ſie von ferne Land
ſehen, und ſelbiges mit dem uͤbel zugerichteten Schif-
fe nicht zu erreichen getrauen, werffen ſich die ge-
funden ins Boot und laſſen etliche Krancke, oh-
ne alle Lebens-Mittel zuruͤcke. Wir wuͤnſchten den
Tod, da aber ſelbiger, zu Endigung unſerer Marter,
ſich nicht bey allen auf einmal einſtellen wolte, mu-
ſten wir uns aus Hunger an die Coͤrper derjenigen
machen, welche am erſten ſturben, hieruͤber hat
unſere Kranckheit dermaſſen zugenommen, daß ich
vor meine Perſon ſelbſt nicht gewuſt habe, ob ich
noch lebte oder allbereits todt waͤre.

Robert verſuchte zwar noch ein und anderes von
ihm zu erforſchen, da aber des elenden Spaniers
Schwachheit allzugroß war, muſten wir uns mit
dem Beſcheide: Er wolle Morgen, wenn er noch
lebte, ein mehreres reden, begnuͤgen laſſen. Allein
nachdem er die gantze | Nacht hindurch ziemlich ru-
hig gelegen, ſtarb er uns mit anbrechenden Tage,
ſehr ſanfft unter den Haͤnden, und wurde ſeiner mit
wenig Worten und Gebaͤrden bezeigten chriſtlichen
Andacht wegen, an die Seite unſers Gottes-Ackers
begraben. Solchergeſtalt war niemand naͤher die
auf dem Schiff befindlichen Sachen in Verwah-
rung zu nehmen, als ich und die Meinigen, und weil
wir dem Koͤnige von Spanien auf keinerley Weiſe
verbunden waren, ſo hielt ich nicht vor klug gehan-
delt, meinen Kindern das Strand-Recht zu verweh-
ren, welche demnach in wenig Tagen das gantze
Schiff, nebſt allen darauff befindlichen Sachen,
nach und nach Stuͤckweiſe auf die Jnſul brachten.

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[428/0442] Mittel zu erſetzen. Unſere Cameraden ſelbſt | haben verraͤtheriſch gehandelt, denn da ſie von ferne Land ſehen, und ſelbiges mit dem uͤbel zugerichteten Schif- fe nicht zu erreichen getrauen, werffen ſich die ge- funden ins Boot und laſſen etliche Krancke, oh- ne alle Lebens-Mittel zuruͤcke. Wir wuͤnſchten den Tod, da aber ſelbiger, zu Endigung unſerer Marter, ſich nicht bey allen auf einmal einſtellen wolte, mu- ſten wir uns aus Hunger an die Coͤrper derjenigen machen, welche am erſten ſturben, hieruͤber hat unſere Kranckheit dermaſſen zugenommen, daß ich vor meine Perſon ſelbſt nicht gewuſt habe, ob ich noch lebte oder allbereits todt waͤre. Robert verſuchte zwar noch ein und anderes von ihm zu erforſchen, da aber des elenden Spaniers Schwachheit allzugroß war, muſten wir uns mit dem Beſcheide: Er wolle Morgen, wenn er noch lebte, ein mehreres reden, begnuͤgen laſſen. Allein nachdem er die gantze | Nacht hindurch ziemlich ru- hig gelegen, ſtarb er uns mit anbrechenden Tage, ſehr ſanfft unter den Haͤnden, und wurde ſeiner mit wenig Worten und Gebaͤrden bezeigten chriſtlichen Andacht wegen, an die Seite unſers Gottes-Ackers begraben. Solchergeſtalt war niemand naͤher die auf dem Schiff befindlichen Sachen in Verwah- rung zu nehmen, als ich und die Meinigen, und weil wir dem Koͤnige von Spanien auf keinerley Weiſe verbunden waren, ſo hielt ich nicht vor klug gehan- delt, meinen Kindern das Strand-Recht zu verweh- ren, welche demnach in wenig Tagen das gantze Schiff, nebſt allen darauff befindlichen Sachen, nach und nach Stuͤckweiſe auf die Jnſul brachten. Jch

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/442>, abgerufen am 24.11.2024.