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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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gen an, daß ich niemahls von einem Mann erkannt
und also noch eine reine und keusche Jungfrau bin,
jedoch das grausame Verfahren meiner Inquisi-
teurs
und die grosse Furcht vor der Tortur, haben
mich gezwungen solche Sachen zu bekennen, von de-
nen mir niemals etwas in die Gedancken kommen
ist, und noch biß diese Stunde bin ich entschlossen,
lieber mit freudigen Hertzen in den Tod zu gehen,
als die Tortur auszustehen. Der fromme Mann
sahe mir starr in die Augen, als ob er aus selbigen die
Bekräfftigung meiner Reden vernehmen wolte,
und schärffte mir das Gewissen in allen Stücken
ungemein, nachdem ich aber bey der ihm gethanen
Aussage verharrete, und meinen gantzen Lebens-
Lauff erzehlet hatte, sprach er: meine Tochter, eure
Rechts-Händel müssen, ob GOTT will, in kurtzen
auf andern Fuß kommen, ich spreche euch zwar kei-
nes weges vor Recht, daß ihr, aus Furcht vor der
Tortur, euch zu einer Kinder-und Selbst-Mörderin
machet, allein es sind noch anderer eurer Einfalt un-
bewuste Mittel vorhanden eure Schuld oder Un-
schuld ans Licht zu bringen. Hierauf setzte er noch
einige tröstliche Ermahnungen hinzu, und nahm
mit dem Versprechen Abschied, mich längstens in
zweyen Tagen wiederum zu besuchen.

Allein gleich solgenden Tages erfuhr ich ohnver-
hofft, daß mich GOTT durch zweyerley Hülffs-
Mittel, mit ehesten aus meinem Elende heraus reis-
sen würde, denn vors erste war meine Unschuld
schon ziemlich ans Tages-Licht gekommen, da die al-
te Dienst-Magd meiner Pflege-Mutter, aus eige-
nem Gewissens-Triebe, der Obrigkeit angezeiget

hatte
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gen an, daß ich niemahls von einem Mann erkannt
und alſo noch eine reine und keuſche Jungfrau bin,
jedoch das grauſame Verfahren meiner Inquiſi-
teurs
und die groſſe Furcht vor der Tortur, haben
mich gezwungen ſolche Sachen zu bekennen, von de-
nen mir niemals etwas in die Gedancken kommen
iſt, und noch biß dieſe Stunde bin ich entſchloſſen,
lieber mit freudigen Hertzen in den Tod zu gehen,
als die Tortur auszuſtehen. Der fromme Mann
ſahe mir ſtarr in die Augen, als ob er aus ſelbigen die
Bekraͤfftigung meiner Reden vernehmen wolte,
und ſchaͤrffte mir das Gewiſſen in allen Stuͤcken
ungemein, nachdem ich aber bey der ihm gethanen
Auſſage verharrete, und meinen gantzen Lebens-
Lauff erzehlet hatte, ſprach er: meine Tochter, eure
Rechts-Haͤndel muͤſſen, ob GOTT will, in kurtzen
auf andern Fuß kommen, ich ſpreche euch zwar kei-
nes weges vor Recht, daß ihr, aus Furcht vor der
Tortur, euch zu einer Kinder-und Selbſt-Moͤrderin
machet, allein es ſind noch anderer eurer Einfalt un-
bewuſte Mittel vorhanden eure Schuld oder Un-
ſchuld ans Licht zu bringen. Hierauf ſetzte er noch
einige troͤſtliche Ermahnungen hinzu, und nahm
mit dem Verſprechen Abſchied, mich laͤngſtens in
zweyen Tagen wiederum zu beſuchen.

Allein gleich ſolgenden Tages erfuhr ich ohnver-
hofft, daß mich GOTT durch zweyerley Huͤlffs-
Mittel, mit eheſten aus meinem Elende heraus reiſ-
ſen wuͤrde, denn vors erſte war meine Unſchuld
ſchon ziemlich ans Tages-Licht gekommen, da die al-
te Dienſt-Magd meiner Pflege-Mutter, aus eige-
nem Gewiſſens-Triebe, der Obrigkeit angezeiget

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[407/0421] gen an, daß ich niemahls von einem Mann erkannt und alſo noch eine reine und keuſche Jungfrau bin, jedoch das grauſame Verfahren meiner Inquiſi- teurs und die groſſe Furcht vor der Tortur, haben mich gezwungen ſolche Sachen zu bekennen, von de- nen mir niemals etwas in die Gedancken kommen iſt, und noch biß dieſe Stunde bin ich entſchloſſen, lieber mit freudigen Hertzen in den Tod zu gehen, als die Tortur auszuſtehen. Der fromme Mann ſahe mir ſtarr in die Augen, als ob er aus ſelbigen die Bekraͤfftigung meiner Reden vernehmen wolte, und ſchaͤrffte mir das Gewiſſen in allen Stuͤcken ungemein, nachdem ich aber bey der ihm gethanen Auſſage verharrete, und meinen gantzen Lebens- Lauff erzehlet hatte, ſprach er: meine Tochter, eure Rechts-Haͤndel muͤſſen, ob GOTT will, in kurtzen auf andern Fuß kommen, ich ſpreche euch zwar kei- nes weges vor Recht, daß ihr, aus Furcht vor der Tortur, euch zu einer Kinder-und Selbſt-Moͤrderin machet, allein es ſind noch anderer eurer Einfalt un- bewuſte Mittel vorhanden eure Schuld oder Un- ſchuld ans Licht zu bringen. Hierauf ſetzte er noch einige troͤſtliche Ermahnungen hinzu, und nahm mit dem Verſprechen Abſchied, mich laͤngſtens in zweyen Tagen wiederum zu beſuchen. Allein gleich ſolgenden Tages erfuhr ich ohnver- hofft, daß mich GOTT durch zweyerley Huͤlffs- Mittel, mit eheſten aus meinem Elende heraus reiſ- ſen wuͤrde, denn vors erſte war meine Unſchuld ſchon ziemlich ans Tages-Licht gekommen, da die al- te Dienſt-Magd meiner Pflege-Mutter, aus eige- nem Gewiſſens-Triebe, der Obrigkeit angezeiget hatte C c 4

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 407. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/421>, abgerufen am 28.11.2024.