Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

offenbaren. Er schien mir diesen Tag etwas auf-
geräumter und freundlicher als wohl sonsten ge-
wöhnlich, nachdem ich ihm also meinen Gruß abge-
stattet, und die Wäsche eingehändiget hatte, sprach
er: Es ist keine gute Anzeigung vor mich, artige Vir-
gilia,
da ihr das erste mal auf meiner Stube mit ei-
nem Körbgen erscheinet, gewiß dieses solte mich fast
abschrecken, euch einen Vortrag meiner aufrichti-
gen und ehrlichen Liebe zu thun. Jch schlug auf
diese Reden meine Augen zur Erden nieder, aus wel-
chen alsofort die hellen Thränen fielen, und gab mit
gebrochenen ängstlichen Worten so viel darauf.
Ach mein Herr! nehmet euch nicht vor, mit einer
unglückseeligen Person zu schertzen, erbarmet euch
vielmehr einer armen von aller Welt verlassenen
Waise, die nach ihren ziemlichen Erbtheil nicht
einmal fragen darff, über dieses vor ihr eigen Geld
als die geringste Magd dienen, und wie von Ju-
gend auf, so noch biß diesen Tag, die erbärmlichsten
Schläge von eurer Mutter und Schwestern erdul-
den muß. Wie? Was höre ich? gab er mir zur
Antwort, ich vermeine euer Geld sey in Banco ge-
than, und die Meinigen berechnen euch die Zinsen
davon? Ach mein Herr! versetzte ich, nichts weni-
ger als dieses, eue[r] Vater hat das Capital nebst
Zinsen, und allen meinen andern Sachen an sich ge-
nommen, wo es aber hin gekommen ist, dar-
nach habe ich biß auf diese Stunde noch nicht
fragen dürffen, wenn ich nicht die erbärmlichsten
Martern erdulden wollen. Das sey dem Himmel
geklagt! schrye hierauf Ambrosius van Keelen,
denn also war sein Nahme, schlug anbey die Hände

über

offenbaren. Er ſchien mir dieſen Tag etwas auf-
geraͤumter und freundlicher als wohl ſonſten ge-
woͤhnlich, nachdem ich ihm alſo meinen Gruß abge-
ſtattet, und die Waͤſche eingehaͤndiget hatte, ſprach
er: Es iſt keine gute Anzeigung vor mich, artige Vir-
gilia,
da ihr das erſte mal auf meiner Stube mit ei-
nem Koͤrbgen erſcheinet, gewiß dieſes ſolte mich faſt
abſchrecken, euch einen Vortrag meiner aufrichti-
gen und ehrlichen Liebe zu thun. Jch ſchlug auf
dieſe Reden meine Augen zur Erden nieder, aus wel-
chen alſofort die hellen Thraͤnen fielen, und gab mit
gebrochenen aͤngſtlichen Worten ſo viel darauf.
Ach mein Herr! nehmet euch nicht vor, mit einer
ungluͤckſeeligen Perſon zu ſchertzen, erbarmet euch
vielmehr einer armen von aller Welt verlaſſenen
Waiſe, die nach ihren ziemlichen Erbtheil nicht
einmal fragen darff, uͤber dieſes vor ihr eigen Geld
als die geringſte Magd dienen, und wie von Ju-
gend auf, ſo noch biß dieſen Tag, die erbaͤrmlichſten
Schlaͤge von eurer Mutter und Schweſtern erdul-
den muß. Wie? Was hoͤre ich? gab er mir zur
Antwort, ich vermeine euer Geld ſey in Banco ge-
than, und die Meinigen berechnen euch die Zinſen
davon? Ach mein Herr! verſetzte ich, nichts weni-
ger als dieſes, eue[r] Vater hat das Capital nebſt
Zinſen, und allen meinen andern Sachen an ſich ge-
nommen, wo es aber hin gekommen iſt, dar-
nach habe ich biß auf dieſe Stunde noch nicht
fragen duͤrffen, wenn ich nicht die erbaͤrmlichſten
Martern erdulden wollen. Das ſey dem Himmel
geklagt! ſchrye hierauf Ambroſius van Keelen,
denn alſo war ſein Nahme, ſchlug anbey die Haͤnde

uͤber
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0410" n="396"/>
offenbaren. Er &#x017F;chien mir die&#x017F;en Tag etwas auf-<lb/>
gera&#x0364;umter und freundlicher als wohl &#x017F;on&#x017F;ten ge-<lb/>
wo&#x0364;hnlich, nachdem ich ihm al&#x017F;o meinen Gruß abge-<lb/>
&#x017F;tattet, und die Wa&#x0364;&#x017F;che eingeha&#x0364;ndiget hatte, &#x017F;prach<lb/>
er: Es i&#x017F;t keine gute Anzeigung vor mich, artige <hi rendition="#aq">Vir-<lb/>
gilia,</hi> da ihr das er&#x017F;te mal auf meiner Stube mit ei-<lb/>
nem Ko&#x0364;rbgen er&#x017F;cheinet, gewiß die&#x017F;es &#x017F;olte mich fa&#x017F;t<lb/>
ab&#x017F;chrecken, euch einen Vortrag meiner aufrichti-<lb/>
gen und ehrlichen Liebe zu thun. Jch &#x017F;chlug auf<lb/>
die&#x017F;e Reden meine Augen zur Erden nieder, aus wel-<lb/>
chen al&#x017F;ofort die hellen Thra&#x0364;nen fielen, und gab mit<lb/>
gebrochenen a&#x0364;ng&#x017F;tlichen Worten &#x017F;o viel darauf.<lb/>
Ach mein Herr! nehmet euch nicht vor, mit einer<lb/>
unglu&#x0364;ck&#x017F;eeligen Per&#x017F;on zu &#x017F;chertzen, erbarmet euch<lb/>
vielmehr einer armen von aller Welt verla&#x017F;&#x017F;enen<lb/>
Wai&#x017F;e, die nach ihren ziemlichen Erbtheil nicht<lb/>
einmal fragen darff, u&#x0364;ber die&#x017F;es vor ihr eigen Geld<lb/>
als die gering&#x017F;te Magd dienen, und wie von Ju-<lb/>
gend auf, &#x017F;o noch biß die&#x017F;en Tag, die erba&#x0364;rmlich&#x017F;ten<lb/>
Schla&#x0364;ge von eurer Mutter und Schwe&#x017F;tern erdul-<lb/>
den muß. Wie? Was ho&#x0364;re ich? gab er mir zur<lb/>
Antwort, ich vermeine euer Geld &#x017F;ey in <hi rendition="#aq">Banco</hi> ge-<lb/>
than, und die Meinigen berechnen euch die Zin&#x017F;en<lb/>
davon? Ach mein Herr! ver&#x017F;etzte ich, nichts weni-<lb/>
ger als die&#x017F;es, eue<supplied>r</supplied> Vater hat das <hi rendition="#aq">Capital</hi> neb&#x017F;t<lb/>
Zin&#x017F;en, und allen meinen andern Sachen an &#x017F;ich ge-<lb/>
nommen, wo es aber hin gekommen i&#x017F;t, dar-<lb/>
nach habe ich biß auf die&#x017F;e Stunde noch nicht<lb/>
fragen du&#x0364;rffen, wenn ich nicht die erba&#x0364;rmlich&#x017F;ten<lb/>
Martern erdulden wollen. Das &#x017F;ey dem Himmel<lb/>
geklagt! &#x017F;chrye hierauf <hi rendition="#aq">Ambro&#x017F;ius van Keelen,</hi><lb/>
denn al&#x017F;o war &#x017F;ein Nahme, &#x017F;chlug anbey die Ha&#x0364;nde<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">u&#x0364;ber</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[396/0410] offenbaren. Er ſchien mir dieſen Tag etwas auf- geraͤumter und freundlicher als wohl ſonſten ge- woͤhnlich, nachdem ich ihm alſo meinen Gruß abge- ſtattet, und die Waͤſche eingehaͤndiget hatte, ſprach er: Es iſt keine gute Anzeigung vor mich, artige Vir- gilia, da ihr das erſte mal auf meiner Stube mit ei- nem Koͤrbgen erſcheinet, gewiß dieſes ſolte mich faſt abſchrecken, euch einen Vortrag meiner aufrichti- gen und ehrlichen Liebe zu thun. Jch ſchlug auf dieſe Reden meine Augen zur Erden nieder, aus wel- chen alſofort die hellen Thraͤnen fielen, und gab mit gebrochenen aͤngſtlichen Worten ſo viel darauf. Ach mein Herr! nehmet euch nicht vor, mit einer ungluͤckſeeligen Perſon zu ſchertzen, erbarmet euch vielmehr einer armen von aller Welt verlaſſenen Waiſe, die nach ihren ziemlichen Erbtheil nicht einmal fragen darff, uͤber dieſes vor ihr eigen Geld als die geringſte Magd dienen, und wie von Ju- gend auf, ſo noch biß dieſen Tag, die erbaͤrmlichſten Schlaͤge von eurer Mutter und Schweſtern erdul- den muß. Wie? Was hoͤre ich? gab er mir zur Antwort, ich vermeine euer Geld ſey in Banco ge- than, und die Meinigen berechnen euch die Zinſen davon? Ach mein Herr! verſetzte ich, nichts weni- ger als dieſes, euer Vater hat das Capital nebſt Zinſen, und allen meinen andern Sachen an ſich ge- nommen, wo es aber hin gekommen iſt, dar- nach habe ich biß auf dieſe Stunde noch nicht fragen duͤrffen, wenn ich nicht die erbaͤrmlichſten Martern erdulden wollen. Das ſey dem Himmel geklagt! ſchrye hierauf Ambroſius van Keelen, denn alſo war ſein Nahme, ſchlug anbey die Haͤnde uͤber

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/410
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 396. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/410>, abgerufen am 28.11.2024.