ben, indem meine Schwester Philippine vor eine der schönsten Jungfrauen in Middelburg gehalten wur- de, von meiner Gesichts-Bildung aber gieng die Re- de, als ob ich, ohne Ruhm zu melden, nicht allein mei- ne Schwester, sondern auch alles andere Frauen- zimmer im Lande an Schönheit übertreffen solte. Doch schrieb man mir als einen besonders grossen Fehler zu, daß ich eines allzu stillen, eigensinnigen, melancholischen, dahero verdrießlichen Tempera- ments wäre, dahingegen meine Schwester eine auf- geräumte und muntere Lebens-Art blicken liesse.
Wiewohl ich mich nun um dergleichen Vor- würffe wenig bekümmerte, so war dennoch gesinnet, dergleichen Aufführung bey ein oder anderer Gele- genheit möglichstens zu verbergen, zumahl wenn mein ältester Bruder William dann und wann frembde Cavaliers in unser Hauß brachte. Sol- ches war wenige mahl geschehen, als ich schon an ei- nem, Jan van Landre genannt, einen eiffrigen Liebhaber wahrnahm, dessen gantz besonderer Her- tzens-Freund, Joseph van Zutphen, meine Schwe- ster Philippinam ebenfalls aufs äuserste zu bedienen suchte. Eines Abends, da wir solcher gestalt in zu- läßigen Vergnügen beysammen sassen, und aus einem Glücks-Topffe, den Joseph van Zutphen mitgebracht hatte, allerhand lächerliche Loose zohen, bekam ich unter andern eines, worauf geschrieben stund: Jch müste mich von demjenigen, der mich am meisten liebte, 10. mahl küssen lassen. Hierü- ber entstund unter 6. anwesenden Manns-Perso- nen ein Streit, welcher mir zu entscheiden, anheim
gestel-
ben, indem meine Schweſter Philippine vor eine der ſchoͤnſten Jungfrauen in Middelburg gehalten wur- de, von meiner Geſichts-Bildung aber gieng die Re- de, als ob ich, ohne Ruhm zu melden, nicht allein mei- ne Schweſter, ſondern auch alles andere Frauen- zimmer im Lande an Schoͤnheit uͤbertreffen ſolte. Doch ſchrieb man mir als einen beſonders groſſen Fehler zu, daß ich eines allzu ſtillen, eigenſinnigen, melancholiſchen, dahero verdrießlichen Tempera- ments waͤre, dahingegen meine Schweſter eine auf- geraͤumte und muntere Lebens-Art blicken lieſſe.
Wiewohl ich mich nun um dergleichen Vor- wuͤrffe wenig bekuͤmmerte, ſo war dennoch geſinnet, dergleichen Auffuͤhrung bey ein oder anderer Gele- genheit moͤglichſtens zu verbergen, zumahl wenn mein aͤlteſter Bruder William dann und wann frembde Cavaliers in unſer Hauß brachte. Sol- ches war wenige mahl geſchehen, als ich ſchon an ei- nem, Jan van Landre genannt, einen eiffrigen Liebhaber wahrnahm, deſſen gantz beſonderer Her- tzens-Freund, Joſeph van Zutphen, meine Schwe- ſter Philippinam ebenfalls aufs aͤuſerſte zu bedienen ſuchte. Eines Abends, da wir ſolcher geſtalt in zu- laͤßigen Vergnuͤgen beyſammen ſaſſen, und aus einem Gluͤcks-Topffe, den Joſeph van Zutphen mitgebracht hatte, allerhand laͤcherliche Looſe zohen, bekam ich unter andern eines, worauf geſchrieben ſtund: Jch muͤſte mich von demjenigen, der mich am meiſten liebte, 10. mahl kuͤſſen laſſen. Hieruͤ- ber entſtund unter 6. anweſenden Manns-Perſo- nen ein Streit, welcher mir zu entſcheiden, anheim
geſtel-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0322"n="308"/>
ben, indem meine Schweſter <hirendition="#aq">Philippine</hi> vor eine der<lb/>ſchoͤnſten Jungfrauen in Middelburg gehalten wur-<lb/>
de, von meiner Geſichts-Bildung aber gieng die Re-<lb/>
de, als ob ich, ohne Ruhm zu melden, nicht allein mei-<lb/>
ne Schweſter, ſondern auch alles andere Frauen-<lb/>
zimmer im Lande an Schoͤnheit uͤbertreffen ſolte.<lb/>
Doch ſchrieb man mir als einen beſonders groſſen<lb/>
Fehler zu, daß ich eines allzu ſtillen, eigenſinnigen,<lb/><hirendition="#aq">melancholi</hi>ſchen, dahero verdrießlichen <hirendition="#aq">Tempera-<lb/>
ments</hi> waͤre, dahingegen meine Schweſter eine auf-<lb/>
geraͤumte und muntere Lebens-Art blicken lieſſe.</p><lb/><p>Wiewohl ich mich nun um dergleichen Vor-<lb/>
wuͤrffe wenig bekuͤmmerte, ſo war dennoch geſinnet,<lb/>
dergleichen Auffuͤhrung bey ein oder anderer Gele-<lb/>
genheit moͤglichſtens zu verbergen, zumahl wenn<lb/>
mein aͤlteſter Bruder <hirendition="#aq">William</hi> dann und wann<lb/>
frembde <hirendition="#aq">Cavaliers</hi> in unſer Hauß brachte. Sol-<lb/>
ches war wenige mahl geſchehen, als ich ſchon an ei-<lb/>
nem, <hirendition="#aq">Jan van Landre</hi> genannt, einen eiffrigen<lb/>
Liebhaber wahrnahm, deſſen gantz beſonderer Her-<lb/>
tzens-Freund, <hirendition="#aq">Joſeph van Zutphen,</hi> meine Schwe-<lb/>ſter <hirendition="#aq">Philippinam</hi> ebenfalls aufs aͤuſerſte zu bedienen<lb/>ſuchte. Eines Abends, da wir ſolcher geſtalt in zu-<lb/>
laͤßigen Vergnuͤgen beyſammen ſaſſen, und aus<lb/>
einem Gluͤcks-Topffe, den <hirendition="#aq">Joſeph van Zutphen</hi><lb/>
mitgebracht hatte, allerhand laͤcherliche Looſe zohen,<lb/>
bekam ich unter andern eines, worauf geſchrieben<lb/>ſtund: Jch muͤſte mich von demjenigen, der mich<lb/>
am meiſten liebte, 10. mahl kuͤſſen laſſen. Hieruͤ-<lb/>
ber entſtund unter 6. anweſenden Manns-Perſo-<lb/>
nen ein Streit, welcher mir zu entſcheiden, anheim<lb/><fwplace="bottom"type="catch">geſtel-</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[308/0322]
ben, indem meine Schweſter Philippine vor eine der
ſchoͤnſten Jungfrauen in Middelburg gehalten wur-
de, von meiner Geſichts-Bildung aber gieng die Re-
de, als ob ich, ohne Ruhm zu melden, nicht allein mei-
ne Schweſter, ſondern auch alles andere Frauen-
zimmer im Lande an Schoͤnheit uͤbertreffen ſolte.
Doch ſchrieb man mir als einen beſonders groſſen
Fehler zu, daß ich eines allzu ſtillen, eigenſinnigen,
melancholiſchen, dahero verdrießlichen Tempera-
ments waͤre, dahingegen meine Schweſter eine auf-
geraͤumte und muntere Lebens-Art blicken lieſſe.
Wiewohl ich mich nun um dergleichen Vor-
wuͤrffe wenig bekuͤmmerte, ſo war dennoch geſinnet,
dergleichen Auffuͤhrung bey ein oder anderer Gele-
genheit moͤglichſtens zu verbergen, zumahl wenn
mein aͤlteſter Bruder William dann und wann
frembde Cavaliers in unſer Hauß brachte. Sol-
ches war wenige mahl geſchehen, als ich ſchon an ei-
nem, Jan van Landre genannt, einen eiffrigen
Liebhaber wahrnahm, deſſen gantz beſonderer Her-
tzens-Freund, Joſeph van Zutphen, meine Schwe-
ſter Philippinam ebenfalls aufs aͤuſerſte zu bedienen
ſuchte. Eines Abends, da wir ſolcher geſtalt in zu-
laͤßigen Vergnuͤgen beyſammen ſaſſen, und aus
einem Gluͤcks-Topffe, den Joſeph van Zutphen
mitgebracht hatte, allerhand laͤcherliche Looſe zohen,
bekam ich unter andern eines, worauf geſchrieben
ſtund: Jch muͤſte mich von demjenigen, der mich
am meiſten liebte, 10. mahl kuͤſſen laſſen. Hieruͤ-
ber entſtund unter 6. anweſenden Manns-Perſo-
nen ein Streit, welcher mir zu entſcheiden, anheim
geſtel-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage folgte schon 1732. Zum Zeitpunkt der Digitalisierung stand nur die dritte Auflage von 1740 zur Verfügung. (Link zur Erstausgabe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-459276)
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/322>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.