meiner abgesonderten Kammer in die so genannte Wohn-Stube kam, fand ich auf dem Tische nebst einem grünen seidenen Schlaff-Rocke, und verschie- denen andern neuen Kleidungs-Stücken, auch vie- ler weisser Wäsche, ein zusammen gelegtes Pap- pier folgendes Jnnhalts:
Liebster Hertzens Freund!
JCh habe fast alles mit angehörer, was ihr gestern auf den Nord-Felsen, in Ge- sellschafft meiner kleinen Tochter, oft wieder- holt gesungen und geredet habt. Euer Ver- langen ist dem Triebe der Natur, der Ver- nunfft, auch Göttl. und Menschl. Gesetzen gemäß; Jch hingegen bin eine Wittbe, wel- cher der Himmel ein hartes erzeiget hat. Al- lein ich weiß, daß Glück und Unglück von der Hand des HERRN kömmt, welche ich bey allen Fällen in Demuth küsse. Mei- nem seel. Mann habe ich die geschworne Treu redlich gehalten, dessen GOTT und mein Gewissen Zeugniß giebt. Jch habe seiuen jämmerlichen Tod nunmehro ein Jahr und zwey Monath aus aufrichtigen Hertzen beweint und beklagt, werde auch denselben Zeit Lebens, so offt ich dran geden- cke, schmertzlich beklagen, weil unser Ehe- Band auf SOTTES Zulassung durch ei- nen Meuchel Mörder vor der Zeit zerrissen worden. Ohngeacht ich aber solcherge- stalt wieder frey und mein eigen bin, so wür- de mich doch schwerlich zu einer anderwei-
tigen
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meiner abgeſonderten Kammer in die ſo genannte Wohn-Stube kam, fand ich auf dem Tiſche nebſt einem gruͤnen ſeidenen Schlaff-Rocke, und verſchie- denen andern neuen Kleidungs-Stuͤcken, auch vie- ler weiſſer Waͤſche, ein zuſammen gelegtes Pap- pier folgendes Jnnhalts:
Liebſter Hertzens Freund!
JCh habe faſt alles mit angehoͤrer, was ihr geſtern auf den Nord-Felſen, in Ge- ſellſchafft meiner kleinen Tochter, oft wieder- holt geſungen und geredet habt. Euer Ver- langen iſt dem Triebe der Natur, der Ver- nunfft, auch Goͤttl. und Menſchl. Geſetzen gemaͤß; Jch hingegen bin eine Wittbe, wel- cher der Himmel ein hartes erzeiget hat. Al- lein ich weiß, daß Gluͤck und Ungluͤck von der Hand des HERRN koͤmmt, welche ich bey allen Faͤllen in Demuth kuͤſſe. Mei- nem ſeel. Mann habe ich die geſchworne Treu redlich gehalten, deſſen GOTT und mein Gewiſſen Zeugniß giebt. Jch habe ſeiuen jaͤmmerlichen Tod nunmehro ein Jahr und zwey Monath aus aufrichtigen Hertzen beweint und beklagt, werde auch denſelben Zeit Lebens, ſo offt ich dran geden- cke, ſchmertzlich beklagen, weil unſer Ehe- Band auf SOTTES Zulaſſung durch ei- nen Meuchel Moͤrder vor der Zeit zerriſſen worden. Ohngeacht ich aber ſolcherge- ſtalt wieder frey und mein eigen bin, ſo wuͤr- de mich doch ſchwerlich zu einer anderwei-
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meiner abgeſonderten Kammer in die ſo genannte
Wohn-Stube kam, fand ich auf dem Tiſche nebſt
einem gruͤnen ſeidenen Schlaff-Rocke, und verſchie-
denen andern neuen Kleidungs-Stuͤcken, auch vie-
ler weiſſer Waͤſche, ein zuſammen gelegtes Pap-
pier folgendes Jnnhalts:
Liebſter Hertzens Freund!
JCh habe faſt alles mit angehoͤrer, was
ihr geſtern auf den Nord-Felſen, in Ge-
ſellſchafft meiner kleinen Tochter, oft wieder-
holt geſungen und geredet habt. Euer Ver-
langen iſt dem Triebe der Natur, der Ver-
nunfft, auch Goͤttl. und Menſchl. Geſetzen
gemaͤß; Jch hingegen bin eine Wittbe, wel-
cher der Himmel ein hartes erzeiget hat. Al-
lein ich weiß, daß Gluͤck und Ungluͤck von
der Hand des HERRN koͤmmt, welche ich
bey allen Faͤllen in Demuth kuͤſſe. Mei-
nem ſeel. Mann habe ich die geſchworne
Treu redlich gehalten, deſſen GOTT und
mein Gewiſſen Zeugniß giebt. Jch habe
ſeiuen jaͤmmerlichen Tod nunmehro ein
Jahr und zwey Monath aus aufrichtigen
Hertzen beweint und beklagt, werde auch
denſelben Zeit Lebens, ſo offt ich dran geden-
cke, ſchmertzlich beklagen, weil unſer Ehe-
Band auf SOTTES Zulaſſung durch ei-
nen Meuchel Moͤrder vor der Zeit zerriſſen
worden. Ohngeacht ich aber ſolcherge-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]
1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage folgte schon 1732. Zum Zeitpunkt der Digitalisierung stand nur die dritte Auflage von 1740 zur Verfügung. (Link zur Erstausgabe: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:3:1-459276)
Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/275>, abgerufen am 24.11.2024.
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