Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

meiner abgesonderten Kammer in die so genannte
Wohn-Stube kam, fand ich auf dem Tische nebst
einem grünen seidenen Schlaff-Rocke, und verschie-
denen andern neuen Kleidungs-Stücken, auch vie-
ler weisser Wäsche, ein zusammen gelegtes Pap-
pier folgendes Jnnhalts:

Liebster Hertzens Freund!

JCh habe fast alles mit angehörer, was
ihr gestern auf den Nord-Felsen, in Ge-
sellschafft meiner kleinen Tochter, oft wieder-
holt gesungen und geredet habt. Euer Ver-
langen ist dem Triebe der Natur, der Ver-
nunfft, auch Göttl. und Menschl. Gesetzen
gemäß; Jch hingegen bin eine Wittbe, wel-
cher der Himmel ein hartes erzeiget hat. Al-
lein ich weiß, daß Glück und Unglück von
der Hand des HERRN kömmt, welche ich
bey allen Fällen in Demuth küsse. Mei-
nem seel. Mann habe ich die geschworne
Treu redlich gehalten, dessen GOTT und
mein Gewissen Zeugniß giebt. Jch habe
seiuen jämmerlichen Tod nunmehro ein
Jahr und zwey Monath aus aufrichtigen
Hertzen beweint und beklagt, werde auch
denselben Zeit Lebens, so offt ich dran geden-
cke, schmertzlich beklagen, weil unser Ehe-
Band auf SOTTES Zulassung durch ei-
nen Meuchel Mörder vor der Zeit zerrissen
worden. Ohngeacht ich aber solcherge-
stalt wieder frey und mein eigen bin, so wür-
de mich doch schwerlich zu einer anderwei-

tigen
R 3

meiner abgeſonderten Kammer in die ſo genannte
Wohn-Stube kam, fand ich auf dem Tiſche nebſt
einem gruͤnen ſeidenen Schlaff-Rocke, und verſchie-
denen andern neuen Kleidungs-Stuͤcken, auch vie-
ler weiſſer Waͤſche, ein zuſammen gelegtes Pap-
pier folgendes Jnnhalts:

Liebſter Hertzens Freund!

JCh habe faſt alles mit angehoͤrer, was
ihr geſtern auf den Nord-Felſen, in Ge-
ſellſchafft meiner kleinen Tochter, oft wieder-
holt geſungen und geredet habt. Euer Ver-
langen iſt dem Triebe der Natur, der Ver-
nunfft, auch Goͤttl. und Menſchl. Geſetzen
gemaͤß; Jch hingegen bin eine Wittbe, wel-
cher der Himmel ein hartes erzeiget hat. Al-
lein ich weiß, daß Gluͤck und Ungluͤck von
der Hand des HERRN koͤmmt, welche ich
bey allen Faͤllen in Demuth kuͤſſe. Mei-
nem ſeel. Mann habe ich die geſchworne
Treu redlich gehalten, deſſen GOTT und
mein Gewiſſen Zeugniß giebt. Jch habe
ſeiuen jaͤmmerlichen Tod nunmehro ein
Jahr und zwey Monath aus aufrichtigen
Hertzen beweint und beklagt, werde auch
denſelben Zeit Lebens, ſo offt ich dran geden-
cke, ſchmertzlich beklagen, weil unſer Ehe-
Band auf SOTTES Zulaſſung durch ei-
nen Meuchel Moͤrder vor der Zeit zerriſſen
worden. Ohngeacht ich aber ſolcherge-
ſtalt wieder frey und mein eigen bin, ſo wuͤr-
de mich doch ſchwerlich zu einer anderwei-

tigen
R 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0275" n="261"/>
meiner abge&#x017F;onderten Kammer in die &#x017F;o genannte<lb/>
Wohn-Stube kam, fand ich auf dem Ti&#x017F;che neb&#x017F;t<lb/>
einem gru&#x0364;nen &#x017F;eidenen Schlaff-Rocke, und ver&#x017F;chie-<lb/>
denen andern neuen Kleidungs-Stu&#x0364;cken, auch vie-<lb/>
ler wei&#x017F;&#x017F;er Wa&#x0364;&#x017F;che, ein zu&#x017F;ammen gelegtes Pap-<lb/>
pier folgendes Jnnhalts:</p><lb/>
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <opener>
                <salute> <hi rendition="#c">Lieb&#x017F;ter Hertzens Freund!</hi> </salute>
              </opener><lb/>
              <p> <hi rendition="#fr"><hi rendition="#in">J</hi>Ch habe fa&#x017F;t alles mit angeho&#x0364;rer, was<lb/>
ihr ge&#x017F;tern auf den Nord-Fel&#x017F;en, in Ge-<lb/>
&#x017F;ell&#x017F;chafft meiner kleinen Tochter, oft wieder-<lb/>
holt ge&#x017F;ungen und geredet habt. Euer Ver-<lb/>
langen i&#x017F;t dem Triebe der Natur, der Ver-<lb/>
nunfft, auch Go&#x0364;ttl. und Men&#x017F;chl. Ge&#x017F;etzen<lb/>
gema&#x0364;ß; Jch hingegen bin eine Wittbe, wel-<lb/>
cher der Himmel ein hartes erzeiget hat. Al-<lb/>
lein ich weiß, daß Glu&#x0364;ck und Unglu&#x0364;ck von<lb/>
der Hand des HERRN ko&#x0364;mmt, welche ich<lb/>
bey allen Fa&#x0364;llen in Demuth ku&#x0364;&#x017F;&#x017F;e. Mei-<lb/>
nem &#x017F;eel. Mann habe ich die ge&#x017F;chworne<lb/>
Treu redlich gehalten, de&#x017F;&#x017F;en GOTT und<lb/>
mein Gewi&#x017F;&#x017F;en Zeugniß giebt. Jch habe<lb/>
&#x017F;eiuen ja&#x0364;mmerlichen Tod nunmehro ein<lb/>
Jahr und zwey Monath aus aufrichtigen<lb/>
Hertzen beweint und beklagt, werde auch<lb/>
den&#x017F;elben Zeit Lebens, &#x017F;o offt ich dran geden-<lb/>
cke, &#x017F;chmertzlich beklagen, weil un&#x017F;er Ehe-<lb/>
Band auf SOTTES Zula&#x017F;&#x017F;ung durch ei-<lb/>
nen Meuchel Mo&#x0364;rder vor der Zeit zerri&#x017F;&#x017F;en<lb/>
worden. Ohngeacht ich aber &#x017F;olcherge-<lb/>
&#x017F;talt wieder frey und mein eigen bin, &#x017F;o wu&#x0364;r-<lb/>
de mich doch &#x017F;chwerlich zu einer anderwei-</hi><lb/>
                <fw place="bottom" type="sig">R 3</fw>
                <fw place="bottom" type="catch"> <hi rendition="#fr">tigen</hi> </fw><lb/>
              </p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261/0275] meiner abgeſonderten Kammer in die ſo genannte Wohn-Stube kam, fand ich auf dem Tiſche nebſt einem gruͤnen ſeidenen Schlaff-Rocke, und verſchie- denen andern neuen Kleidungs-Stuͤcken, auch vie- ler weiſſer Waͤſche, ein zuſammen gelegtes Pap- pier folgendes Jnnhalts: Liebſter Hertzens Freund! JCh habe faſt alles mit angehoͤrer, was ihr geſtern auf den Nord-Felſen, in Ge- ſellſchafft meiner kleinen Tochter, oft wieder- holt geſungen und geredet habt. Euer Ver- langen iſt dem Triebe der Natur, der Ver- nunfft, auch Goͤttl. und Menſchl. Geſetzen gemaͤß; Jch hingegen bin eine Wittbe, wel- cher der Himmel ein hartes erzeiget hat. Al- lein ich weiß, daß Gluͤck und Ungluͤck von der Hand des HERRN koͤmmt, welche ich bey allen Faͤllen in Demuth kuͤſſe. Mei- nem ſeel. Mann habe ich die geſchworne Treu redlich gehalten, deſſen GOTT und mein Gewiſſen Zeugniß giebt. Jch habe ſeiuen jaͤmmerlichen Tod nunmehro ein Jahr und zwey Monath aus aufrichtigen Hertzen beweint und beklagt, werde auch denſelben Zeit Lebens, ſo offt ich dran geden- cke, ſchmertzlich beklagen, weil unſer Ehe- Band auf SOTTES Zulaſſung durch ei- nen Meuchel Moͤrder vor der Zeit zerriſſen worden. Ohngeacht ich aber ſolcherge- ſtalt wieder frey und mein eigen bin, ſo wuͤr- de mich doch ſchwerlich zu einer anderwei- tigen R 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/275
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/275>, abgerufen am 24.11.2024.