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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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ruhig liegen konte. Er fuhr sehr öffters mit ängst-
lichen Geschrey aus dem Schlafe auf, und wenn ich
ihn deswegen befragte, klagte er über sonst nichts
als schwere Träume, wiewohl man ihn nach und
nach sehr abgemattet, und fast an allen Gliedern ein
starckes Zittern verspürete, jedoch binnen 2. oder 3.
Wochen erholete er sich ziemlich, so, daß er nebst
mir, unserer künfftigen Nahrung wegen, sehr fleißig
arbeiten konte.

Bey dem allen aber, lebten wir 3. von gantz unter-
schiedenen Gemüths-Regungen eingenommene
Persohnen, in einer vollkommenen Verwirrung, da
es zumahl das gäntzliche Ansehen hatte, als ob alle
unsere vorige Gedult, ja unser völliges Vergnügen
mit dem van Leuven begraben wäre. Wir sassen
öffters etliche Stunden beysammen, ohne ein Wort
mit einander zu sprechen, doch schien es als ob im-
mer eines des andern Gedancken aus den Augen le-
sen wolte, und dennoch hatte niemand das Hertze,
der andern und dritten Person Hertzens-Meynung
auszufragen. Endlich aber da nach des van Leu-
vens
Beerdigung etwa 4. Wochen verlauffen wa-
ren, hatte sich Lemelie bey ersehener Gelegenheit
die Freyheit genommen, der Concordia in geheim
folgende Erklärung zu thun: Madame! sagte er ohn-
gesähr: Jhr und ich haben bißher das unglückliche
Verhängniß eures seel. Ehe-Mannes zur Gnüge be-
trauret. Was ist nunmehro zu thun? Wir sehen
kein ander Mittel, als vielleicht noch lange Zeit un-
serm Schicksal auf dieser Jnsul Gehorsam zu lei-
sten. Jhr seyd eine Wittbe und darzu hoch schwan-
ger, zu euren Eltern zurück zu kehren, ist so unmög-

lich

ruhig liegen konte. Er fuhr ſehr oͤffters mit aͤngſt-
lichen Geſchrey aus dem Schlafe auf, und wenn ich
ihn deswegen befragte, klagte er uͤber ſonſt nichts
als ſchwere Traͤume, wiewohl man ihn nach und
nach ſehr abgemattet, und faſt an allen Gliedern ein
ſtarckes Zittern verſpuͤrete, jedoch binnen 2. oder 3.
Wochen erholete er ſich ziemlich, ſo, daß er nebſt
mir, unſerer kuͤnfftigen Nahrung wegen, ſehr fleißig
arbeiten konte.

Bey dem allen aber, lebten wir 3. von gantz unter-
ſchiedenen Gemuͤths-Regungen eingenommene
Perſohnen, in einer vollkommenen Verwirrung, da
es zumahl das gaͤntzliche Anſehen hatte, als ob alle
unſere vorige Gedult, ja unſer voͤlliges Vergnuͤgen
mit dem van Leuven begraben waͤre. Wir ſaſſen
oͤffters etliche Stunden beyſammen, ohne ein Wort
mit einander zu ſprechen, doch ſchien es als ob im-
mer eines des andern Gedancken aus den Augen le-
ſen wolte, und dennoch hatte niemand das Hertze,
der andern und dritten Perſon Hertzens-Meynung
auszufragen. Endlich aber da nach des van Leu-
vens
Beerdigung etwa 4. Wochen verlauffen wa-
ren, hatte ſich Lemelie bey erſehener Gelegenheit
die Freyheit genommen, der Concordia in geheim
folgende Erklaͤrung zu thun: Madame! ſagte er ohn-
geſaͤhr: Jhr und ich haben bißher das ungluͤckliche
Verhaͤngniß eures ſeel. Ehe-Mannes zur Gnuͤge be-
trauret. Was iſt nunmehro zu thun? Wir ſehen
kein ander Mittel, als vielleicht noch lange Zeit un-
ſerm Schickſal auf dieſer Jnſul Gehorſam zu lei-
ſten. Jhr ſeyd eine Wittbe und darzu hoch ſchwan-
ger, zu euren Eltern zuruͤck zu kehren, iſt ſo unmoͤg-

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[207/0221] ruhig liegen konte. Er fuhr ſehr oͤffters mit aͤngſt- lichen Geſchrey aus dem Schlafe auf, und wenn ich ihn deswegen befragte, klagte er uͤber ſonſt nichts als ſchwere Traͤume, wiewohl man ihn nach und nach ſehr abgemattet, und faſt an allen Gliedern ein ſtarckes Zittern verſpuͤrete, jedoch binnen 2. oder 3. Wochen erholete er ſich ziemlich, ſo, daß er nebſt mir, unſerer kuͤnfftigen Nahrung wegen, ſehr fleißig arbeiten konte. Bey dem allen aber, lebten wir 3. von gantz unter- ſchiedenen Gemuͤths-Regungen eingenommene Perſohnen, in einer vollkommenen Verwirrung, da es zumahl das gaͤntzliche Anſehen hatte, als ob alle unſere vorige Gedult, ja unſer voͤlliges Vergnuͤgen mit dem van Leuven begraben waͤre. Wir ſaſſen oͤffters etliche Stunden beyſammen, ohne ein Wort mit einander zu ſprechen, doch ſchien es als ob im- mer eines des andern Gedancken aus den Augen le- ſen wolte, und dennoch hatte niemand das Hertze, der andern und dritten Perſon Hertzens-Meynung auszufragen. Endlich aber da nach des van Leu- vens Beerdigung etwa 4. Wochen verlauffen wa- ren, hatte ſich Lemelie bey erſehener Gelegenheit die Freyheit genommen, der Concordia in geheim folgende Erklaͤrung zu thun: Madame! ſagte er ohn- geſaͤhr: Jhr und ich haben bißher das ungluͤckliche Verhaͤngniß eures ſeel. Ehe-Mannes zur Gnuͤge be- trauret. Was iſt nunmehro zu thun? Wir ſehen kein ander Mittel, als vielleicht noch lange Zeit un- ſerm Schickſal auf dieſer Jnſul Gehorſam zu lei- ſten. Jhr ſeyd eine Wittbe und darzu hoch ſchwan- ger, zu euren Eltern zuruͤck zu kehren, iſt ſo unmoͤg- lich

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/221>, abgerufen am 23.11.2024.