Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

Bild:
<< vorherige Seite

und rauffte mir als ein unsinniger Mensch gantze
Hände voll Haare aus dem Kopffe, Concordia,
die meine Geberden nur von ferne sahe, weil sie die
hohen Felsen nicht so wie ich besteigen konte, sanck
augenblicklich in Ohnmacht hin, Lemelie lieff ge-
schwind nach frischen Wasser, ich aber blieb als ein
halb-verzweiffelter Mensch gantz sinnloß bey ihr
sitzen.

Endlich halff doch des Lemelie oft wiederholtes
Wasser giessen und sprengen so viel, daß Concor-
dia
sich wieder in etwas ermunterte. Allein meine
Freunde, (so unterbrach allhier der Alt-Vater Al-
bertus
seine Erzehlung in etwas,) ich befinde mich
biß diese Zeit noch nicht im Stande, ohne selbst eige-
ne hefftige Gemüths-Bewegungen, der Concor-
dia
schmertzliches Klagen, und mit wenig Worten
zu sagen, ihre fast gäntzliche Verzweiffelung auszu-
drücken, wiewohl solches ohnedem besser mit dem
Verstande zu fassen, als mit Worten auszusprechen
ist. Doch ich setzte bey ihrem übermäßigen Jam-
mer, mem eigenes dabey geschöpfftes Bet rübniß in
etwas bey Seite, und suchte sie nur erstlich dahin zu
bereden, daß sie sich von uns nach der Laub-Hütte
führen liesse. Wie wohl nun in dem ersten Auflauff
ihrer Gemüths-Bewegungen nichts von ihr zu er-
halten war, indem sie mit aller Gewalt ihren Carl
Frantz
sehen, oder sich selbsten den Kopff an einem
Felsen einstossen wolte; so ließ sie sich doch endlich
durch Vorstellung einiger Biblischen Sprüche und
anderer Vernunfft-Lehren dahin bewegen, daß ich
und Lemelie, welcher vor verstellter Betrübniß kein
Wort reden, doch auch kein Auge naß machen konte

oder

und rauffte mir als ein unſinniger Menſch gantze
Haͤnde voll Haare aus dem Kopffe, Concordia,
die meine Geberden nur von ferne ſahe, weil ſie die
hohen Felſen nicht ſo wie ich beſteigen konte, ſanck
augenblicklich in Ohnmacht hin, Lemelie lieff ge-
ſchwind nach friſchen Waſſer, ich aber blieb als ein
halb-verzweiffelter Menſch gantz ſinnloß bey ihr
ſitzen.

Endlich halff doch des Lemelie oft wiederholtes
Waſſer gieſſen und ſprengen ſo viel, daß Concor-
dia
ſich wieder in etwas ermunterte. Allein meine
Freunde, (ſo unterbrach allhier der Alt-Vater Al-
bertus
ſeine Erzehlung in etwas,) ich befinde mich
biß dieſe Zeit noch nicht im Stande, ohne ſelbſt eige-
ne hefftige Gemuͤths-Bewegungen, der Concor-
dia
ſchmertzliches Klagen, und mit wenig Worten
zu ſagen, ihre faſt gaͤntzliche Verzweiffelung auszu-
druͤcken, wiewohl ſolches ohnedem beſſer mit dem
Verſtande zu faſſen, als mit Worten auszuſprechen
iſt. Doch ich ſetzte bey ihrem uͤbermaͤßigen Jam-
mer, mem eigenes dabey geſchoͤpfftes Bet ruͤbniß in
etwas bey Seite, und ſuchte ſie nur erſtlich dahin zu
bereden, daß ſie ſich von uns nach der Laub-Huͤtte
fuͤhren lieſſe. Wie wohl nun in dem erſten Auflauff
ihrer Gemuͤths-Bewegungen nichts von ihr zu er-
halten war, indem ſie mit aller Gewalt ihren Carl
Frantz
ſehen, oder ſich ſelbſten den Kopff an einem
Felſen einſtoſſen wolte; ſo ließ ſie ſich doch endlich
durch Vorſtellung einiger Bibliſchen Spruͤche und
anderer Vernunfft-Lehren dahin bewegen, daß ich
und Lemelie, welcher vor verſtellter Betruͤbniß kein
Wort reden, doch auch kein Auge naß machen konte

oder
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0216" n="202"/>
und rauffte mir als ein un&#x017F;inniger Men&#x017F;ch gantze<lb/>
Ha&#x0364;nde voll Haare aus dem Kopffe, <hi rendition="#aq">Concordia,</hi><lb/>
die meine Geberden nur von ferne &#x017F;ahe, weil &#x017F;ie die<lb/>
hohen Fel&#x017F;en nicht &#x017F;o wie ich be&#x017F;teigen konte, &#x017F;anck<lb/>
augenblicklich in Ohnmacht hin, <hi rendition="#aq">Lemelie</hi> lieff ge-<lb/>
&#x017F;chwind nach fri&#x017F;chen Wa&#x017F;&#x017F;er, ich aber blieb als ein<lb/>
halb-verzweiffelter Men&#x017F;ch gantz &#x017F;innloß bey ihr<lb/>
&#x017F;itzen.</p><lb/>
        <p>Endlich halff doch des <hi rendition="#aq">Lemelie</hi> oft wiederholtes<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er gie&#x017F;&#x017F;en und &#x017F;prengen &#x017F;o viel, daß <hi rendition="#aq">Concor-<lb/>
dia</hi> &#x017F;ich wieder in etwas ermunterte. Allein meine<lb/>
Freunde, (&#x017F;o unterbrach allhier der Alt-Vater <hi rendition="#aq">Al-<lb/>
bertus</hi> &#x017F;eine Erzehlung in etwas,) ich befinde mich<lb/>
biß die&#x017F;e Zeit noch nicht im Stande, ohne &#x017F;elb&#x017F;t eige-<lb/>
ne hefftige Gemu&#x0364;ths-Bewegungen, der <hi rendition="#aq">Concor-<lb/>
dia</hi> &#x017F;chmertzliches Klagen, und mit wenig Worten<lb/>
zu &#x017F;agen, ihre fa&#x017F;t ga&#x0364;ntzliche Verzweiffelung auszu-<lb/>
dru&#x0364;cken, wiewohl &#x017F;olches ohnedem be&#x017F;&#x017F;er mit dem<lb/>
Ver&#x017F;tande zu fa&#x017F;&#x017F;en, als mit Worten auszu&#x017F;prechen<lb/>
i&#x017F;t. Doch ich &#x017F;etzte bey ihrem u&#x0364;berma&#x0364;ßigen Jam-<lb/>
mer, mem eigenes dabey ge&#x017F;cho&#x0364;pfftes Bet ru&#x0364;bniß in<lb/>
etwas bey Seite, und &#x017F;uchte &#x017F;ie nur er&#x017F;tlich dahin zu<lb/>
bereden, daß &#x017F;ie &#x017F;ich von uns nach der Laub-Hu&#x0364;tte<lb/>
fu&#x0364;hren lie&#x017F;&#x017F;e. Wie wohl nun in dem er&#x017F;ten Auflauff<lb/>
ihrer Gemu&#x0364;ths-Bewegungen nichts von ihr zu er-<lb/>
halten war, indem &#x017F;ie mit aller Gewalt ihren <hi rendition="#aq">Carl<lb/>
Frantz</hi> &#x017F;ehen, oder &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;ten den Kopff an einem<lb/>
Fel&#x017F;en ein&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en wolte; &#x017F;o ließ &#x017F;ie &#x017F;ich doch endlich<lb/>
durch Vor&#x017F;tellung einiger Bibli&#x017F;chen Spru&#x0364;che und<lb/>
anderer Vernunfft-Lehren dahin bewegen, daß ich<lb/>
und <hi rendition="#aq">Lemelie,</hi> welcher vor ver&#x017F;tellter Betru&#x0364;bniß kein<lb/>
Wort reden, doch auch kein Auge naß machen konte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">oder</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[202/0216] und rauffte mir als ein unſinniger Menſch gantze Haͤnde voll Haare aus dem Kopffe, Concordia, die meine Geberden nur von ferne ſahe, weil ſie die hohen Felſen nicht ſo wie ich beſteigen konte, ſanck augenblicklich in Ohnmacht hin, Lemelie lieff ge- ſchwind nach friſchen Waſſer, ich aber blieb als ein halb-verzweiffelter Menſch gantz ſinnloß bey ihr ſitzen. Endlich halff doch des Lemelie oft wiederholtes Waſſer gieſſen und ſprengen ſo viel, daß Concor- dia ſich wieder in etwas ermunterte. Allein meine Freunde, (ſo unterbrach allhier der Alt-Vater Al- bertus ſeine Erzehlung in etwas,) ich befinde mich biß dieſe Zeit noch nicht im Stande, ohne ſelbſt eige- ne hefftige Gemuͤths-Bewegungen, der Concor- dia ſchmertzliches Klagen, und mit wenig Worten zu ſagen, ihre faſt gaͤntzliche Verzweiffelung auszu- druͤcken, wiewohl ſolches ohnedem beſſer mit dem Verſtande zu faſſen, als mit Worten auszuſprechen iſt. Doch ich ſetzte bey ihrem uͤbermaͤßigen Jam- mer, mem eigenes dabey geſchoͤpfftes Bet ruͤbniß in etwas bey Seite, und ſuchte ſie nur erſtlich dahin zu bereden, daß ſie ſich von uns nach der Laub-Huͤtte fuͤhren lieſſe. Wie wohl nun in dem erſten Auflauff ihrer Gemuͤths-Bewegungen nichts von ihr zu er- halten war, indem ſie mit aller Gewalt ihren Carl Frantz ſehen, oder ſich ſelbſten den Kopff an einem Felſen einſtoſſen wolte; ſo ließ ſie ſich doch endlich durch Vorſtellung einiger Bibliſchen Spruͤche und anderer Vernunfft-Lehren dahin bewegen, daß ich und Lemelie, welcher vor verſtellter Betruͤbniß kein Wort reden, doch auch kein Auge naß machen konte oder

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

1731 erschien die Erstausgabe. Die zweite Auflage… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/216
Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 202. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/216>, abgerufen am 23.11.2024.