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Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740.

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Wir musten also bey nahe anderthalb Jahr
das Brodt vor den Thüren suchen, von einem Dorf-
se und Stadt zur andern wandern, und letzlich fast
gantz ohne Kleider einher gehen, biß wir ohnweit
Naumburg auff ein Dorff kamen, allwo sich die
Priester-Frau über uns erbarmete, ihren Kindern
die alten Kleider vom Leibe zog, und uns damit be-
kleidete, ehe sie noch gefragt, woher, und weß Stan-
des wir wären. Der Priester kam darzu, lobte
seiner Frauen Mitley den und redliche Wohlthaten,
erhjelt aber auf sein Befragen von mir zulänglichen
Bericht wegen unsers Herkommens, weil ich dazu-
mahl schon 10. Jahr alt war, und die betrübte Histo-
rie
von meinen Eltern ziemlich gut zu erzehlen wuste.

Der redliche Geistliche, welcher vielleicht | nun-
mehro schon seit vielen Jahren unter den Seeligen
als des Himmels Glantz leuchtet, mochte viel-
leicht von den damahligen Läufften, und sonderlich
von meines Vaters Begebenheiten, mehrere Nach-
richt haben, als wir selbst, schlug derowegen seine
Hände und Augen gen Himmel, führete uns arme
Wäysen in sein Hauß, und hielt uns nebst seinen
3. Kindern so wohl, als ob wir ihnen gleich wären.
Wir waren 2. Jahr bey ihm gewesen, und hatten
binnen der Zeit im Christenthum, Lesen, Schrei-
ben und andern Studien, unserm Alter nach, ein
ziemliches profitiret, worüber er nebst seiner Lieb-
sten eine sonderliche Frende bezeigte, und ausdrück-
lich sagte: daß er sich unsere Aufnahme niemals ge-
reuen lassen wolte, weiln er augenscheinlich gespü-
ret, daß ihn GOTT seit der Zeit an zeitlichen Gü-

tern

Wir muſten alſo bey nahe anderthalb Jahr
das Brodt vor den Thuͤren ſuchen, von einem Dorf-
ſe und Stadt zur andern wandern, und letzlich faſt
gantz ohne Kleider einher gehen, biß wir ohnweit
Naumburg auff ein Dorff kamen, allwo ſich die
Prieſter-Frau uͤber uns erbarmete, ihren Kindern
die alten Kleider vom Leibe zog, und uns damit be-
kleidete, ehe ſie noch gefragt, woher, und weß Stan-
des wir waͤren. Der Prieſter kam darzu, lobte
ſeiner Frauen Mitley den und redliche Wohlthaten,
erhjelt aber auf ſein Befragen von mir zulaͤnglichen
Bericht wegen unſers Herkommens, weil ich dazu-
mahl ſchon 10. Jahr alt war, und die betruͤbte Hiſto-
rie
von meinen Eltern ziemlich gut zu erzehlen wuſte.

Der redliche Geiſtliche, welcher vielleicht | nun-
mehro ſchon ſeit vielen Jahren unter den Seeligen
als des Himmels Glantz leuchtet, mochte viel-
leicht von den damahligen Laͤufften, und ſonderlich
von meines Vaters Begebenheiten, mehrere Nach-
richt haben, als wir ſelbſt, ſchlug derowegen ſeine
Haͤnde und Augen gen Himmel, fuͤhrete uns arme
Waͤyſen in ſein Hauß, und hielt uns nebſt ſeinen
3. Kindern ſo wohl, als ob wir ihnen gleich waͤren.
Wir waren 2. Jahr bey ihm geweſen, und hatten
binnen der Zeit im Chriſtenthum, Leſen, Schrei-
ben und andern Studien, unſerm Alter nach, ein
ziemliches profitiret, woruͤber er nebſt ſeiner Lieb-
ſten eine ſonderliche Frende bezeigte, und ausdruͤck-
lich ſagte: daß er ſich unſere Aufnahme niemals ge-
reuen laſſen wolte, weiln er augenſcheinlich geſpuͤ-
ret, daß ihn GOTT ſeit der Zeit an zeitlichen Guͤ-

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[112/0126] Wir muſten alſo bey nahe anderthalb Jahr das Brodt vor den Thuͤren ſuchen, von einem Dorf- ſe und Stadt zur andern wandern, und letzlich faſt gantz ohne Kleider einher gehen, biß wir ohnweit Naumburg auff ein Dorff kamen, allwo ſich die Prieſter-Frau uͤber uns erbarmete, ihren Kindern die alten Kleider vom Leibe zog, und uns damit be- kleidete, ehe ſie noch gefragt, woher, und weß Stan- des wir waͤren. Der Prieſter kam darzu, lobte ſeiner Frauen Mitley den und redliche Wohlthaten, erhjelt aber auf ſein Befragen von mir zulaͤnglichen Bericht wegen unſers Herkommens, weil ich dazu- mahl ſchon 10. Jahr alt war, und die betruͤbte Hiſto- rie von meinen Eltern ziemlich gut zu erzehlen wuſte. Der redliche Geiſtliche, welcher vielleicht | nun- mehro ſchon ſeit vielen Jahren unter den Seeligen als des Himmels Glantz leuchtet, mochte viel- leicht von den damahligen Laͤufften, und ſonderlich von meines Vaters Begebenheiten, mehrere Nach- richt haben, als wir ſelbſt, ſchlug derowegen ſeine Haͤnde und Augen gen Himmel, fuͤhrete uns arme Waͤyſen in ſein Hauß, und hielt uns nebſt ſeinen 3. Kindern ſo wohl, als ob wir ihnen gleich waͤren. Wir waren 2. Jahr bey ihm geweſen, und hatten binnen der Zeit im Chriſtenthum, Leſen, Schrei- ben und andern Studien, unſerm Alter nach, ein ziemliches profitiret, woruͤber er nebſt ſeiner Lieb- ſten eine ſonderliche Frende bezeigte, und ausdruͤck- lich ſagte: daß er ſich unſere Aufnahme niemals ge- reuen laſſen wolte, weiln er augenſcheinlich geſpuͤ- ret, daß ihn GOTT ſeit der Zeit an zeitlichen Guͤ- tern

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Zitationshilfe: Gisander [i. e. Schnabel, Johann Gottfried]: Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. 3. Aufl. Bd. 1. Nordhausen, 1740, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schnabel_fata01_1740/126>, abgerufen am 26.11.2024.