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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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Idealtypen genannt, nämlich sofern sie nicht sowohl ein Abbild der Wirk-
lichkeit seien, eine Summe individueller Erscheinungen zusammenfaßten, son-
dern durch Weglassung des Unwichtigen, Steigerung der prägnantesten Merk-
male, Idealbilder sein wollten, um die Wirklichkeit zu messen, einzuteilen, Zu-
sammenhänge darzulegen, Hypothesen zu prüfen: an den Wertbegriff, wie an
die abstrakte Werttheorie, die im Markt und Tauschverkehr gleiches unter
ganz freier Konkurrenz und mit streng rationalem Handeln fingiert, hätten
sich solche Idealtypen angeknüpft; auch die Stadtwirtschaft, die Epoche des
Handwerks, die der kapitalistischen Produktion, der Merkantilismus, der Libera-
lismus, der Feudalismus, der Imperialismus usw. seien solche Idealtypen, die
um so brauchbarer seien, je schärfer und eindeutiger man sie begrifflich fasse,
deren Bedeutung man aber häufig mehr empfinde als klar durchdacht habe.
Jedenfalls müsse man sich hüten zu glauben, mit solchen Begriffen die Ideen
der handelnden Menschen oder gar Ideale des Seinsollenden erfaßt zu haben.
Letzteres ist selbstverständlich ganz richtig. Aber nicht ebenso zweifellos ist
die folgende Behauptung: die wesentliche Funktion solcher idealtypischer Be-
griffe sei die Messung und systematische Charakterisierung von individuellen,
einzigartigen großen bedeutungsvollen Erscheinungen; sie entständen, wenn man
aus der Zusammenfassung gattungsmäßiger Vorgäne einen, die Kulturbedeu-
tung des Individuellen zur Anschauung bringenden Begriff zu schaffen beab-
sichtige. So viel Wahres und Geistvolles Weber dabei vorbringt, so sehr er die
historisch-staatswissenschaftliche Begriffsbildung durch seine Erörterung be-
reichert hat, so möchte ich doch behaupten, daß Weber zu verschiedene Bei-
spiele von Sammelbegriffen unter seinen einen Hut des "Idealtypus" sammelt,
und daß er Gattungsbegriff und Idealbegriff hier zu sehr zusammenwirft.
Wenn er alle seine Idealtypen für "Utopien" erklärt, so werden Bücher und
ich, die den Begriff der Stadtwirtschaft geschaffen, dagegen protestieren, unse-
ren Begriff mit sozialistischer oder manchesterlicher Utopie zusammengeworfen
zu sehen. Wir wollten das Allgemeine und Typische der stadtwirtschaftlichen
Erscheinungen des Mittelalters mit dem Begriff erfassen, das Individuelle und
das Gleichgültige der Erscheinung dabei weglassen. Wir stellten sie in eine
historische Reihe mit Territorialwirtschaft und Volkswirtschaft. Soll nun auch
die "Volkswirtschaft" ein bloß utopischer Begriff sein? Weber gibt freilich
selbst zu, daß seine Idealtypen und seine Gattungsbegriffe je nach ihrer For-
mulierung, Benutzung, Interpretierung ineinander übergehen. Daß sie Hilfs-
mittel des ordnenden Denkens seien, nicht volle Abbilder der Wirklichkeit,
darin stimme ich mit ihm ganz überein. Auch die historischen Allgemein-
begriffe sind keine vollen Abbilder, wie überhaupt die sämtlichen Begriffe es
nicht sein können.
Wir kommen damit zu einigen Schlußbemerkungen über den falschen Gebrauch
der Begriffe. Die Analyse der Begriffe ist ein wichtiges Unterrichtsmittel,
das dem Anfänger die Begriffe verdeutlichen, das ihm zeigen soll, aus welcher
Wirklichkeit die Begriffe abstrahiert sind, was hinter ihnen steht. Aber diese
Analyse darf nicht als die erste und Hauptaufgabe der Wissenschaft erschei-
nen. Menger sagt mit Recht: die Erscheinungen und nicht ihre Abbilder, die
Begriffe, sind das Objekt der Forschung. Keynes sagt: Mere definition carries
us a very little way. Hasbach meint, in Deutschland habe seit der Wolfschen
Philosophie die Universitätsverbindung von Nationalökonomie und Jurisprudenz
Idealtypen genannt, nämlich sofern sie nicht sowohl ein Abbild der Wirk-
lichkeit seien, eine Summe individueller Erscheinungen zusammenfaßten, son-
dern durch Weglassung des Unwichtigen, Steigerung der prägnantesten Merk-
male, Idealbilder sein wollten, um die Wirklichkeit zu messen, einzuteilen, Zu-
sammenhänge darzulegen, Hypothesen zu prüfen: an den Wertbegriff, wie an
die abstrakte Werttheorie, die im Markt und Tauschverkehr gleiches unter
ganz freier Konkurrenz und mit streng rationalem Handeln fingiert, hätten
sich solche Idealtypen angeknüpft; auch die Stadtwirtschaft, die Epoche des
Handwerks, die der kapitalistischen Produktion, der Merkantilismus, der Libera-
lismus, der Feudalismus, der Imperialismus usw. seien solche Idealtypen, die
um so brauchbarer seien, je schärfer und eindeutiger man sie begrifflich fasse,
deren Bedeutung man aber häufig mehr empfinde als klar durchdacht habe.
Jedenfalls müsse man sich hüten zu glauben, mit solchen Begriffen die Ideen
der handelnden Menschen oder gar Ideale des Seinsollenden erfaßt zu haben.
Letzteres ist selbstverständlich ganz richtig. Aber nicht ebenso zweifellos ist
die folgende Behauptung: die wesentliche Funktion solcher idealtypischer Be-
griffe sei die Messung und systematische Charakterisierung von individuellen,
einzigartigen großen bedeutungsvollen Erscheinungen; sie entständen, wenn man
aus der Zusammenfassung gattungsmäßiger Vorgäne einen, die Kulturbedeu-
tung des Individuellen zur Anschauung bringenden Begriff zu schaffen beab-
sichtige. So viel Wahres und Geistvolles Weber dabei vorbringt, so sehr er die
historisch-staatswissenschaftliche Begriffsbildung durch seine Erörterung be-
reichert hat, so möchte ich doch behaupten, daß Weber zu verschiedene Bei-
spiele von Sammelbegriffen unter seinen einen Hut des „Idealtypus“ sammelt,
und daß er Gattungsbegriff und Idealbegriff hier zu sehr zusammenwirft.
Wenn er alle seine Idealtypen für „Utopien“ erklärt, so werden Bücher und
ich, die den Begriff der Stadtwirtschaft geschaffen, dagegen protestieren, unse-
ren Begriff mit sozialistischer oder manchesterlicher Utopie zusammengeworfen
zu sehen. Wir wollten das Allgemeine und Typische der stadtwirtschaftlichen
Erscheinungen des Mittelalters mit dem Begriff erfassen, das Individuelle und
das Gleichgültige der Erscheinung dabei weglassen. Wir stellten sie in eine
historische Reihe mit Territorialwirtschaft und Volkswirtschaft. Soll nun auch
die „Volkswirtschaft“ ein bloß utopischer Begriff sein? Weber gibt freilich
selbst zu, daß seine Idealtypen und seine Gattungsbegriffe je nach ihrer For-
mulierung, Benutzung, Interpretierung ineinander übergehen. Daß sie Hilfs-
mittel des ordnenden Denkens seien, nicht volle Abbilder der Wirklichkeit,
darin stimme ich mit ihm ganz überein. Auch die historischen Allgemein-
begriffe sind keine vollen Abbilder, wie überhaupt die sämtlichen Begriffe es
nicht sein können.
Wir kommen damit zu einigen Schlußbemerkungen über den falschen Gebrauch
der Begriffe. Die Analyse der Begriffe ist ein wichtiges Unterrichtsmittel,
das dem Anfänger die Begriffe verdeutlichen, das ihm zeigen soll, aus welcher
Wirklichkeit die Begriffe abstrahiert sind, was hinter ihnen steht. Aber diese
Analyse darf nicht als die erste und Hauptaufgabe der Wissenschaft erschei-
nen. Menger sagt mit Recht: die Erscheinungen und nicht ihre Abbilder, die
Begriffe, sind das Objekt der Forschung. Keynes sagt: Mere definition carries
us a very little way. Hasbach meint, in Deutschland habe seit der Wolfschen
Philosophie die Universitätsverbindung von Nationalökonomie und Jurisprudenz
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[87/0091] ⁹ Idealtypen genannt, nämlich sofern sie nicht sowohl ein Abbild der Wirk- lichkeit seien, eine Summe individueller Erscheinungen zusammenfaßten, son- dern durch Weglassung des Unwichtigen, Steigerung der prägnantesten Merk- male, Idealbilder sein wollten, um die Wirklichkeit zu messen, einzuteilen, Zu- sammenhänge darzulegen, Hypothesen zu prüfen: an den Wertbegriff, wie an die abstrakte Werttheorie, die im Markt und Tauschverkehr gleiches unter ganz freier Konkurrenz und mit streng rationalem Handeln fingiert, hätten sich solche Idealtypen angeknüpft; auch die Stadtwirtschaft, die Epoche des Handwerks, die der kapitalistischen Produktion, der Merkantilismus, der Libera- lismus, der Feudalismus, der Imperialismus usw. seien solche Idealtypen, die um so brauchbarer seien, je schärfer und eindeutiger man sie begrifflich fasse, deren Bedeutung man aber häufig mehr empfinde als klar durchdacht habe. Jedenfalls müsse man sich hüten zu glauben, mit solchen Begriffen die Ideen der handelnden Menschen oder gar Ideale des Seinsollenden erfaßt zu haben. Letzteres ist selbstverständlich ganz richtig. Aber nicht ebenso zweifellos ist die folgende Behauptung: die wesentliche Funktion solcher idealtypischer Be- griffe sei die Messung und systematische Charakterisierung von individuellen, einzigartigen großen bedeutungsvollen Erscheinungen; sie entständen, wenn man aus der Zusammenfassung gattungsmäßiger Vorgäne einen, die Kulturbedeu- tung des Individuellen zur Anschauung bringenden Begriff zu schaffen beab- sichtige. So viel Wahres und Geistvolles Weber dabei vorbringt, so sehr er die historisch-staatswissenschaftliche Begriffsbildung durch seine Erörterung be- reichert hat, so möchte ich doch behaupten, daß Weber zu verschiedene Bei- spiele von Sammelbegriffen unter seinen einen Hut des „Idealtypus“ sammelt, und daß er Gattungsbegriff und Idealbegriff hier zu sehr zusammenwirft. Wenn er alle seine Idealtypen für „Utopien“ erklärt, so werden Bücher und ich, die den Begriff der Stadtwirtschaft geschaffen, dagegen protestieren, unse- ren Begriff mit sozialistischer oder manchesterlicher Utopie zusammengeworfen zu sehen. Wir wollten das Allgemeine und Typische der stadtwirtschaftlichen Erscheinungen des Mittelalters mit dem Begriff erfassen, das Individuelle und das Gleichgültige der Erscheinung dabei weglassen. Wir stellten sie in eine historische Reihe mit Territorialwirtschaft und Volkswirtschaft. Soll nun auch die „Volkswirtschaft“ ein bloß utopischer Begriff sein? Weber gibt freilich selbst zu, daß seine Idealtypen und seine Gattungsbegriffe je nach ihrer For- mulierung, Benutzung, Interpretierung ineinander übergehen. Daß sie Hilfs- mittel des ordnenden Denkens seien, nicht volle Abbilder der Wirklichkeit, darin stimme ich mit ihm ganz überein. Auch die historischen Allgemein- begriffe sind keine vollen Abbilder, wie überhaupt die sämtlichen Begriffe es nicht sein können. Wir kommen damit zu einigen Schlußbemerkungen über den falschen Gebrauch der Begriffe. Die Analyse der Begriffe ist ein wichtiges Unterrichtsmittel, das dem Anfänger die Begriffe verdeutlichen, das ihm zeigen soll, aus welcher Wirklichkeit die Begriffe abstrahiert sind, was hinter ihnen steht. Aber diese Analyse darf nicht als die erste und Hauptaufgabe der Wissenschaft erschei- nen. Menger sagt mit Recht: die Erscheinungen und nicht ihre Abbilder, die Begriffe, sind das Objekt der Forschung. Keynes sagt: Mere definition carries us a very little way. Hasbach meint, in Deutschland habe seit der Wolfschen Philosophie die Universitätsverbindung von Nationalökonomie und Jurisprudenz

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/91>, abgerufen am 28.11.2024.