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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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richtig definiert sei. Im Mittelpunkte der Wissenschaft stehen die bei
den heutigen Kulturvölkern sich wiederholenden typischen Erschei-
nungen der Arbeitsteilung und -Organisation, des Verkehrs, der Ein-
kommensverteilung, der gesellschaftlichen Wirtschaftseinrichtungen,
welche an bestimmte Formen des privaten und öffentlichen Rechts an-
gelehnt, von gleichen oder ähnlichen psychischen Kräften beherrscht,
ähnliche oder gleiche Anordnungen und Bewegungen erzeugen, in ihrer
Gesamtbeschreibung eine Statik der gegenwärtigen wirtschaftlichen
Kulturwelt, eine Art durchschnittlicher Verfassung derselben darstel-
len. Von da aus hat die Wissenschaft dann die Abweichungen der ein-
zelnen Volkswirtschaften von einander, die verschiedenen Formen der
Organisation da und dort zu konstatieren gesucht, hat gefragt, in
welcher Verbindung und Folge die verschiedenen Formen vorkommen
und ist so zu der Vorstellung der kausalen Entwickelung der Formen
aus einander und der historischen Aufeinanderfolge wirtschaftlicher
Zustände gekommen; sie hat so zu der statischen die dynamische Be-
trachtung gefügt. Und wie sie in ihrem ersten Auftreten schon vermöge
sittlich-historischer Werturteile zur Aufstellung von Idealen kam, so
hat sie diese praktische Funktion stets bis auf einen gewissen Grad
beibehalten. Sie hat neben der Theorie stets praktische Lehren fürs
Leben aufgestellt.

Wie jeder Wissenschaft, so kann auch der Volkswirtschaftslehre nur
ihr Kern eigentümlich sein; auf ihrer Peripherie deckt sie sich mit
zahlreichen Nachbarwissenschaften, mit denen sie Stoff oder Methode
teilweise gemeinsam hat, von denen sie empfangend abhängt, die sie
gebend befruchtet. Um den Kern kann man daher vernünftigerweise
streiten, nicht um die Peripherie, die zumal in den Geisteswissen-
schaften eine sich stets verwischende und verschiebende Grenze, ein ge-
meinsames Herrschaftsgebiet verschiedener Wissenschaften darstellt.
Die Volkswirtschaftslehre steht mitten inne zwischen den angewandten
Naturwissenschaften, der Technologie, Maschinen-, Landwirtschafts-
Forstwirtschaftslehre, sowie der Anthropologie, Ethnographie, Klima-
tologie, der allgemeinen und der speziellen Pflanzen- und Tiergeogra-
phie auf der einen Seite, und zwischen den wichtigsten Geisteswissen-
schaften, der Psychologie, Ethik, Staats-, Rechts-, Gesellschaftslehre
auf der anderen. Denn die Volkswirtschaft ist stets zugleich ein Stück
Naturgestaltung durch den Menschen und ein Stück Kulturgestaltung
durch die fühlende, denkende, handelnde, organisierte Gesellschaft.

Die Stoffabgrenzung und Systematisierung jeder Wissenschaft hängt
von ihrem jeweiligen inneren Zustande und den praktischen Zwecken
ihrer Wirksamkeit und ihres Unterrichts ab. Was Ad. Smith und seine
ersten Nachfolger als einheitliche Lehre vom Volkswohlstande vor-
trugen, wurde in Deutschland zunächst für die Zwecke der süddeutschen

richtig definiert sei. Im Mittelpunkte der Wissenschaft stehen die bei
den heutigen Kulturvölkern sich wiederholenden typischen Erschei-
nungen der Arbeitsteilung und -Organisation, des Verkehrs, der Ein-
kommensverteilung, der gesellschaftlichen Wirtschaftseinrichtungen,
welche an bestimmte Formen des privaten und öffentlichen Rechts an-
gelehnt, von gleichen oder ähnlichen psychischen Kräften beherrscht,
ähnliche oder gleiche Anordnungen und Bewegungen erzeugen, in ihrer
Gesamtbeschreibung eine Statik der gegenwärtigen wirtschaftlichen
Kulturwelt, eine Art durchschnittlicher Verfassung derselben darstel-
len. Von da aus hat die Wissenschaft dann die Abweichungen der ein-
zelnen Volkswirtschaften von einander, die verschiedenen Formen der
Organisation da und dort zu konstatieren gesucht, hat gefragt, in
welcher Verbindung und Folge die verschiedenen Formen vorkommen
und ist so zu der Vorstellung der kausalen Entwickelung der Formen
aus einander und der historischen Aufeinanderfolge wirtschaftlicher
Zustände gekommen; sie hat so zu der statischen die dynamische Be-
trachtung gefügt. Und wie sie in ihrem ersten Auftreten schon vermöge
sittlich-historischer Werturteile zur Aufstellung von Idealen kam, so
hat sie diese praktische Funktion stets bis auf einen gewissen Grad
beibehalten. Sie hat neben der Theorie stets praktische Lehren fürs
Leben aufgestellt.

Wie jeder Wissenschaft, so kann auch der Volkswirtschaftslehre nur
ihr Kern eigentümlich sein; auf ihrer Peripherie deckt sie sich mit
zahlreichen Nachbarwissenschaften, mit denen sie Stoff oder Methode
teilweise gemeinsam hat, von denen sie empfangend abhängt, die sie
gebend befruchtet. Um den Kern kann man daher vernünftigerweise
streiten, nicht um die Peripherie, die zumal in den Geisteswissen-
schaften eine sich stets verwischende und verschiebende Grenze, ein ge-
meinsames Herrschaftsgebiet verschiedener Wissenschaften darstellt.
Die Volkswirtschaftslehre steht mitten inne zwischen den angewandten
Naturwissenschaften, der Technologie, Maschinen-, Landwirtschafts-
Forstwirtschaftslehre, sowie der Anthropologie, Ethnographie, Klima-
tologie, der allgemeinen und der speziellen Pflanzen- und Tiergeogra-
phie auf der einen Seite, und zwischen den wichtigsten Geisteswissen-
schaften, der Psychologie, Ethik, Staats-, Rechts-, Gesellschaftslehre
auf der anderen. Denn die Volkswirtschaft ist stets zugleich ein Stück
Naturgestaltung durch den Menschen und ein Stück Kulturgestaltung
durch die fühlende, denkende, handelnde, organisierte Gesellschaft.

Die Stoffabgrenzung und Systematisierung jeder Wissenschaft hängt
von ihrem jeweiligen inneren Zustande und den praktischen Zwecken
ihrer Wirksamkeit und ihres Unterrichts ab. Was Ad. Smith und seine
ersten Nachfolger als einheitliche Lehre vom Volkswohlstande vor-
trugen, wurde in Deutschland zunächst für die Zwecke der süddeutschen

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[15/0019] richtig definiert sei. Im Mittelpunkte der Wissenschaft stehen die bei den heutigen Kulturvölkern sich wiederholenden typischen Erschei- nungen der Arbeitsteilung und -Organisation, des Verkehrs, der Ein- kommensverteilung, der gesellschaftlichen Wirtschaftseinrichtungen, welche an bestimmte Formen des privaten und öffentlichen Rechts an- gelehnt, von gleichen oder ähnlichen psychischen Kräften beherrscht, ähnliche oder gleiche Anordnungen und Bewegungen erzeugen, in ihrer Gesamtbeschreibung eine Statik der gegenwärtigen wirtschaftlichen Kulturwelt, eine Art durchschnittlicher Verfassung derselben darstel- len. Von da aus hat die Wissenschaft dann die Abweichungen der ein- zelnen Volkswirtschaften von einander, die verschiedenen Formen der Organisation da und dort zu konstatieren gesucht, hat gefragt, in welcher Verbindung und Folge die verschiedenen Formen vorkommen und ist so zu der Vorstellung der kausalen Entwickelung der Formen aus einander und der historischen Aufeinanderfolge wirtschaftlicher Zustände gekommen; sie hat so zu der statischen die dynamische Be- trachtung gefügt. Und wie sie in ihrem ersten Auftreten schon vermöge sittlich-historischer Werturteile zur Aufstellung von Idealen kam, so hat sie diese praktische Funktion stets bis auf einen gewissen Grad beibehalten. Sie hat neben der Theorie stets praktische Lehren fürs Leben aufgestellt. Wie jeder Wissenschaft, so kann auch der Volkswirtschaftslehre nur ihr Kern eigentümlich sein; auf ihrer Peripherie deckt sie sich mit zahlreichen Nachbarwissenschaften, mit denen sie Stoff oder Methode teilweise gemeinsam hat, von denen sie empfangend abhängt, die sie gebend befruchtet. Um den Kern kann man daher vernünftigerweise streiten, nicht um die Peripherie, die zumal in den Geisteswissen- schaften eine sich stets verwischende und verschiebende Grenze, ein ge- meinsames Herrschaftsgebiet verschiedener Wissenschaften darstellt. Die Volkswirtschaftslehre steht mitten inne zwischen den angewandten Naturwissenschaften, der Technologie, Maschinen-, Landwirtschafts- Forstwirtschaftslehre, sowie der Anthropologie, Ethnographie, Klima- tologie, der allgemeinen und der speziellen Pflanzen- und Tiergeogra- phie auf der einen Seite, und zwischen den wichtigsten Geisteswissen- schaften, der Psychologie, Ethik, Staats-, Rechts-, Gesellschaftslehre auf der anderen. Denn die Volkswirtschaft ist stets zugleich ein Stück Naturgestaltung durch den Menschen und ein Stück Kulturgestaltung durch die fühlende, denkende, handelnde, organisierte Gesellschaft. Die Stoffabgrenzung und Systematisierung jeder Wissenschaft hängt von ihrem jeweiligen inneren Zustande und den praktischen Zwecken ihrer Wirksamkeit und ihres Unterrichts ab. Was Ad. Smith und seine ersten Nachfolger als einheitliche Lehre vom Volkswohlstande vor- trugen, wurde in Deutschland zunächst für die Zwecke der süddeutschen

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/19>, abgerufen am 25.11.2024.