Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

Bild:
<< vorherige Seite
Ob man sich nun mehr auf die Entwickelung einzelner Institutionen oder
auf das Zusammenwirken derselben in den einheitlichen Volkswirtschaften
konzentriere, im einen wie im anderen Falle handelt es sich um die Unter-
suchung sehr komplizierter, durch Jahrhunderte hindurch reichender Ursachen
und Entwickelungsprozesse, handelt es sich um natürliche, biologische, tech-
nisch-wirtschaftliche, rassenmäßige und völker-psychologische, wie individual-
psychologische Ursachenreihen und deren Gesamtergebnisse: es handelt sich bald
darum, von den äußeren objektiven Resultaten des menschlichen Geisteslebens
aus die psychischen Ursachen, bald umgekehrt aus diesen wieder, so weit wir
sie zu fassen glauben, die äußeren gesellschaftlichen Gestaltungen zu ver-
stehen. Die mannigfaltigsten Verfahrungsweisen, sagt Dilthey mit Recht, wer-
den da heute angewandt: von denen an, die ohne Psychologie auszukommen
streben, bis zu denen, welche der Psychologie die Stellung in den Geistes-
wissenschaften zuerkennen, welche die Mechanik in den Naturwissenschaften
einnimmt. Von einer ausreichenden beschreibenden Psychologie haben wir,
wie oben ausgeführt, nur Anfänge. So kann es nicht wundernehmen, daß wir
auf diesem Gebiete volkswirtschaftlicher Entwickelungserkenntnis mehr nur
Anfänge, Bruchstücke, Hypothesen als fertige Resultate haben. Wir haben
meist mit Beschreibungen einzelner Gruppen von volkswirtschaftlichen Erschei-
nungen begonnen, z. B. mit den Markt- und Börseneinrichtungen und Ver-
kehrsmitteln verschiedener Orte und Zeiten, mit den Unternehmungsformen der
Vergangenheit und der Gegenwart. Aus solchen Teiluntersuchungen stellen
wir Hypothesen auf, suchen die Zusammenhänge der jüngeren mit den älteren
Erscheinungen, die Wechselwirkung anderer Einrichtungen mit den untersuch-
ten, z. B. die des Geldwesens und der Arbeitsteilung mit den Unternehmungs-
formen kennen zu lernen, und wenn es hoch kommt, suchen wir dann auch
die Einflüsse der jeweiligen Technik und den Zusammenhang der jeweiligen
geistigen, moralischen und rechtlichen Entwickelung mit den betreffenden
Institutionen zu erkennen.
Auch die Untersuchung der Entwickelung solcher Teilgebiete der Volkswirt-
schaft ist außerordentlich schwer, weil immer neben den empirisch-historischen
Detailkenntnissen auf verschiedenen Gebieten weiter Überblick über Zeiten,
geographische Gebiete, über große Strecken der Natur- und der Geisteswissen-
schaften dazu gehören. Aber die Schwierigkeiten steigern sich noch ins Un-
gemessene, wenn wir den gesamten historischen Entwicklungsgang des volks-
wirtschaftlichen Lebens überhaupt erfassen wollen. Und doch können wir auch
das nicht lassen, denn derartiges ist eben das für unser Erkenntnisstreben Wich-
tigste. Und große einheitliche Entwicklungslinien und Regelmäßigkeiten haben
sich doch dort wie hier vor uns aufgetan.
Es ist nur die Frage, ob wir sie Gesetze nennen sollen. Und es ist -- glaube
ich -- in der Tat viel angemessener, hier das Wort zu meiden, weil wir
dazu noch nicht weit genug sind. Auch den Namen empirischer Gesetze,
die wir z. B. für gewisse Ergebnisse der heutigen Statistik noch gelten las-
sen, möchten wir hier nicht anwenden, weil wir uns bewußt sind, beim
Zurückgehen auf psychologische Ursachen und wirtschaftliche Einrichtungen
vergangener Jahrhunderte viel weniger als bei der Frage nach den Ursachen
heutiger Todes-, Geburten-, Selbstmordzahlen umgrenzte Personeneinheiten mit
fest erkannten psychologischen Eigenschaften vor uns zu haben. Den Ausweg,
Ob man sich nun mehr auf die Entwickelung einzelner Institutionen oder
auf das Zusammenwirken derselben in den einheitlichen Volkswirtschaften
konzentriere, im einen wie im anderen Falle handelt es sich um die Unter-
suchung sehr komplizierter, durch Jahrhunderte hindurch reichender Ursachen
und Entwickelungsprozesse, handelt es sich um natürliche, biologische, tech-
nisch-wirtschaftliche, rassenmäßige und völker-psychologische, wie individual-
psychologische Ursachenreihen und deren Gesamtergebnisse: es handelt sich bald
darum, von den äußeren objektiven Resultaten des menschlichen Geisteslebens
aus die psychischen Ursachen, bald umgekehrt aus diesen wieder, so weit wir
sie zu fassen glauben, die äußeren gesellschaftlichen Gestaltungen zu ver-
stehen. Die mannigfaltigsten Verfahrungsweisen, sagt Dilthey mit Recht, wer-
den da heute angewandt: von denen an, die ohne Psychologie auszukommen
streben, bis zu denen, welche der Psychologie die Stellung in den Geistes-
wissenschaften zuerkennen, welche die Mechanik in den Naturwissenschaften
einnimmt. Von einer ausreichenden beschreibenden Psychologie haben wir,
wie oben ausgeführt, nur Anfänge. So kann es nicht wundernehmen, daß wir
auf diesem Gebiete volkswirtschaftlicher Entwickelungserkenntnis mehr nur
Anfänge, Bruchstücke, Hypothesen als fertige Resultate haben. Wir haben
meist mit Beschreibungen einzelner Gruppen von volkswirtschaftlichen Erschei-
nungen begonnen, z. B. mit den Markt- und Börseneinrichtungen und Ver-
kehrsmitteln verschiedener Orte und Zeiten, mit den Unternehmungsformen der
Vergangenheit und der Gegenwart. Aus solchen Teiluntersuchungen stellen
wir Hypothesen auf, suchen die Zusammenhänge der jüngeren mit den älteren
Erscheinungen, die Wechselwirkung anderer Einrichtungen mit den untersuch-
ten, z. B. die des Geldwesens und der Arbeitsteilung mit den Unternehmungs-
formen kennen zu lernen, und wenn es hoch kommt, suchen wir dann auch
die Einflüsse der jeweiligen Technik und den Zusammenhang der jeweiligen
geistigen, moralischen und rechtlichen Entwickelung mit den betreffenden
Institutionen zu erkennen.
Auch die Untersuchung der Entwickelung solcher Teilgebiete der Volkswirt-
schaft ist außerordentlich schwer, weil immer neben den empirisch-historischen
Detailkenntnissen auf verschiedenen Gebieten weiter Überblick über Zeiten,
geographische Gebiete, über große Strecken der Natur- und der Geisteswissen-
schaften dazu gehören. Aber die Schwierigkeiten steigern sich noch ins Un-
gemessene, wenn wir den gesamten historischen Entwicklungsgang des volks-
wirtschaftlichen Lebens überhaupt erfassen wollen. Und doch können wir auch
das nicht lassen, denn derartiges ist eben das für unser Erkenntnisstreben Wich-
tigste. Und große einheitliche Entwicklungslinien und Regelmäßigkeiten haben
sich doch dort wie hier vor uns aufgetan.
Es ist nur die Frage, ob wir sie Gesetze nennen sollen. Und es ist — glaube
ich — in der Tat viel angemessener, hier das Wort zu meiden, weil wir
dazu noch nicht weit genug sind. Auch den Namen empirischer Gesetze,
die wir z. B. für gewisse Ergebnisse der heutigen Statistik noch gelten las-
sen, möchten wir hier nicht anwenden, weil wir uns bewußt sind, beim
Zurückgehen auf psychologische Ursachen und wirtschaftliche Einrichtungen
vergangener Jahrhunderte viel weniger als bei der Frage nach den Ursachen
heutiger Todes-, Geburten-, Selbstmordzahlen umgrenzte Personeneinheiten mit
fest erkannten psychologischen Eigenschaften vor uns zu haben. Den Ausweg,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <note place="end" n="14"><pb facs="#f0106" n="102"/>
Ob man sich nun mehr auf die Entwickelung einzelner Institutionen oder<lb/>
auf das Zusammenwirken derselben in den einheitlichen Volkswirtschaften<lb/>
konzentriere, im einen wie im anderen Falle handelt es sich um die Unter-<lb/>
suchung sehr komplizierter, durch Jahrhunderte hindurch reichender Ursachen<lb/>
und Entwickelungsprozesse, handelt es sich um natürliche, biologische, tech-<lb/>
nisch-wirtschaftliche, rassenmäßige und völker-psychologische, wie individual-<lb/>
psychologische Ursachenreihen und deren Gesamtergebnisse: es handelt sich bald<lb/>
darum, von den äußeren objektiven Resultaten des menschlichen Geisteslebens<lb/>
aus die psychischen Ursachen, bald umgekehrt aus diesen wieder, so weit wir<lb/>
sie zu fassen glauben, die äußeren gesellschaftlichen Gestaltungen zu ver-<lb/>
stehen. Die mannigfaltigsten Verfahrungsweisen, sagt Dilthey mit Recht, wer-<lb/>
den da heute angewandt: von denen an, die ohne Psychologie auszukommen<lb/>
streben, bis zu denen, welche der Psychologie die Stellung in den Geistes-<lb/>
wissenschaften zuerkennen, welche die Mechanik in den Naturwissenschaften<lb/>
einnimmt. Von einer ausreichenden beschreibenden Psychologie haben wir,<lb/>
wie oben ausgeführt, nur Anfänge. So kann es nicht wundernehmen, daß wir<lb/>
auf diesem Gebiete volkswirtschaftlicher Entwickelungserkenntnis mehr nur<lb/>
Anfänge, Bruchstücke, Hypothesen als fertige Resultate haben. Wir haben<lb/>
meist mit Beschreibungen einzelner Gruppen von volkswirtschaftlichen Erschei-<lb/>
nungen begonnen, z. B. mit den Markt- und Börseneinrichtungen und Ver-<lb/>
kehrsmitteln verschiedener Orte und Zeiten, mit den Unternehmungsformen der<lb/>
Vergangenheit und der Gegenwart. Aus solchen Teiluntersuchungen stellen<lb/>
wir Hypothesen auf, suchen die Zusammenhänge der jüngeren mit den älteren<lb/>
Erscheinungen, die Wechselwirkung anderer Einrichtungen mit den untersuch-<lb/>
ten, z. B. die des Geldwesens und der Arbeitsteilung mit den Unternehmungs-<lb/>
formen kennen zu lernen, und wenn es hoch kommt, suchen wir dann auch<lb/>
die Einflüsse der jeweiligen Technik und den Zusammenhang der jeweiligen<lb/>
geistigen, moralischen und rechtlichen Entwickelung mit den betreffenden<lb/>
Institutionen zu erkennen.<lb/>
Auch die Untersuchung der Entwickelung solcher Teilgebiete der Volkswirt-<lb/>
schaft ist außerordentlich schwer, weil immer neben den empirisch-historischen<lb/>
Detailkenntnissen auf verschiedenen Gebieten weiter Überblick über Zeiten,<lb/>
geographische Gebiete, über große Strecken der Natur- und der Geisteswissen-<lb/>
schaften dazu gehören. Aber die Schwierigkeiten steigern sich noch ins Un-<lb/>
gemessene, wenn wir den gesamten historischen Entwicklungsgang des volks-<lb/>
wirtschaftlichen Lebens überhaupt erfassen wollen. Und doch können wir auch<lb/>
das nicht lassen, denn derartiges ist eben das für unser Erkenntnisstreben Wich-<lb/>
tigste. Und große einheitliche Entwicklungslinien und Regelmäßigkeiten haben<lb/>
sich doch dort wie hier vor uns aufgetan.<lb/>
Es ist nur die Frage, ob wir sie Gesetze nennen sollen. Und es ist &#x2014; glaube<lb/>
ich &#x2014; in der Tat viel angemessener, hier das Wort zu meiden, weil wir<lb/>
dazu noch nicht weit genug sind. Auch den Namen empirischer Gesetze,<lb/>
die wir z. B. für gewisse Ergebnisse der heutigen Statistik noch gelten las-<lb/>
sen, möchten wir hier nicht anwenden, weil wir uns bewußt sind, beim<lb/>
Zurückgehen auf psychologische Ursachen und wirtschaftliche Einrichtungen<lb/>
vergangener Jahrhunderte viel weniger als bei der Frage nach den Ursachen<lb/>
heutiger Todes-, Geburten-, Selbstmordzahlen umgrenzte Personeneinheiten mit<lb/>
fest erkannten psychologischen Eigenschaften vor uns zu haben. Den Ausweg,<lb/></note>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[102/0106] ¹⁴ Ob man sich nun mehr auf die Entwickelung einzelner Institutionen oder auf das Zusammenwirken derselben in den einheitlichen Volkswirtschaften konzentriere, im einen wie im anderen Falle handelt es sich um die Unter- suchung sehr komplizierter, durch Jahrhunderte hindurch reichender Ursachen und Entwickelungsprozesse, handelt es sich um natürliche, biologische, tech- nisch-wirtschaftliche, rassenmäßige und völker-psychologische, wie individual- psychologische Ursachenreihen und deren Gesamtergebnisse: es handelt sich bald darum, von den äußeren objektiven Resultaten des menschlichen Geisteslebens aus die psychischen Ursachen, bald umgekehrt aus diesen wieder, so weit wir sie zu fassen glauben, die äußeren gesellschaftlichen Gestaltungen zu ver- stehen. Die mannigfaltigsten Verfahrungsweisen, sagt Dilthey mit Recht, wer- den da heute angewandt: von denen an, die ohne Psychologie auszukommen streben, bis zu denen, welche der Psychologie die Stellung in den Geistes- wissenschaften zuerkennen, welche die Mechanik in den Naturwissenschaften einnimmt. Von einer ausreichenden beschreibenden Psychologie haben wir, wie oben ausgeführt, nur Anfänge. So kann es nicht wundernehmen, daß wir auf diesem Gebiete volkswirtschaftlicher Entwickelungserkenntnis mehr nur Anfänge, Bruchstücke, Hypothesen als fertige Resultate haben. Wir haben meist mit Beschreibungen einzelner Gruppen von volkswirtschaftlichen Erschei- nungen begonnen, z. B. mit den Markt- und Börseneinrichtungen und Ver- kehrsmitteln verschiedener Orte und Zeiten, mit den Unternehmungsformen der Vergangenheit und der Gegenwart. Aus solchen Teiluntersuchungen stellen wir Hypothesen auf, suchen die Zusammenhänge der jüngeren mit den älteren Erscheinungen, die Wechselwirkung anderer Einrichtungen mit den untersuch- ten, z. B. die des Geldwesens und der Arbeitsteilung mit den Unternehmungs- formen kennen zu lernen, und wenn es hoch kommt, suchen wir dann auch die Einflüsse der jeweiligen Technik und den Zusammenhang der jeweiligen geistigen, moralischen und rechtlichen Entwickelung mit den betreffenden Institutionen zu erkennen. Auch die Untersuchung der Entwickelung solcher Teilgebiete der Volkswirt- schaft ist außerordentlich schwer, weil immer neben den empirisch-historischen Detailkenntnissen auf verschiedenen Gebieten weiter Überblick über Zeiten, geographische Gebiete, über große Strecken der Natur- und der Geisteswissen- schaften dazu gehören. Aber die Schwierigkeiten steigern sich noch ins Un- gemessene, wenn wir den gesamten historischen Entwicklungsgang des volks- wirtschaftlichen Lebens überhaupt erfassen wollen. Und doch können wir auch das nicht lassen, denn derartiges ist eben das für unser Erkenntnisstreben Wich- tigste. Und große einheitliche Entwicklungslinien und Regelmäßigkeiten haben sich doch dort wie hier vor uns aufgetan. Es ist nur die Frage, ob wir sie Gesetze nennen sollen. Und es ist — glaube ich — in der Tat viel angemessener, hier das Wort zu meiden, weil wir dazu noch nicht weit genug sind. Auch den Namen empirischer Gesetze, die wir z. B. für gewisse Ergebnisse der heutigen Statistik noch gelten las- sen, möchten wir hier nicht anwenden, weil wir uns bewußt sind, beim Zurückgehen auf psychologische Ursachen und wirtschaftliche Einrichtungen vergangener Jahrhunderte viel weniger als bei der Frage nach den Ursachen heutiger Todes-, Geburten-, Selbstmordzahlen umgrenzte Personeneinheiten mit fest erkannten psychologischen Eigenschaften vor uns zu haben. Den Ausweg,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/106
Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/106>, abgerufen am 18.12.2024.