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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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von M. Weber über die wirtschaftliche Bedeutung des Calvinismus ist
in ihrer historisch-psychologischen Begründung ein Bild großer geistig-
individueller Prozesse, in dem kausale Glieder nicht fehlen, wobei aber das
nachempfindende Verständnis historischer Größe und ihrer Wirkung gewiß
bedeutungsvoller ist als die Zurückführung der Erscheinungen auf kausale Ge-
setze. So, scheint mir, ist die Kontroverse zwischen gesetzlicher Kausalerklä-
rung und idiographischem Erfassen der großen und der komplizierten volks-
wirtschaftlichen Erscheinungen wohl zu lösen. Wo der Weg der Kausalerklärung
wegen der Größe und Kompliziertheit des Problems versagt, gehen wir den
anderen. Wo wir individuelle Erscheinungen, einzelne große Geschäfte, die
Wirtschaft einer Stadt, eine Volkswirtschaft zu bestimmter Zeit schildern,
reihen wir sie in bekannte Begriffe ein und erklären wir das Einzelne so-
weit möglich kausal, aber wir fassen zugleich das Ganze einheitlich in sei-
ner Eigentümlichkeit zusammen, vergleichen es mit anderen ähnlichen eigen-
tümlichen Erscheinungen und bereiten so wieder Generalisierungen vor. So
können beide Wege zugleich gegangen werden; unter Umständen versa-
gen beide. Die Verachtung des einen Standpunktes für den andern ist wohl
aus der methodologischen Geschichte unserer Wissenschaft und der Tatsache
erklärbar, daß die wissenschaftlichen Richtungen stets zunächst ihre neuen
Gedanken übertreiben und sich im Kampfe auseinandersetzen, aber nicht in
der Sache auf die Dauer begründet.
Und nun zurück zu den volkswirtschaftlichen Entwicklungsgesetzen und
dann zu den historischen Gesetzen überhaupt.
Bei dem, was man neuerdings volkswirtschaftliche Entwicklungsgesetze
genannt hat, handelt es sich um die im Laufe der Jahrhunderte sich ent-
wickelnden Formen und Gestaltungen, die Institutionen des wirtschaftlichen
Lebens. Man kann sie in Spezialgruppen gesondert oder in ihrer Verbindung
als lebendige Bestandteile einer bestimmten Volkswirtschaft zu fassen suchen.
Im ersteren Falle fragen wir nach der Entwickelung der Marktorganisation,
des Münz- und Geldwesens, nach der des gesamten Zahlungs- und Abrechnungs-
wesens, nach den Formen, die die Arbeitsteilung und soziale Klassenbildung
zeitlich und örtlich gehabt hat oder heute hat, nach den Organisationen,
die wir als Unternehmungsformen zusammenfassen, nach den verschiedenen
Finanzeinrichtungen; jede Gruppe solcher Erscheinungen suchen wir in ihren
einzelnen wichtigeren, tatsächlich vorkommenden Exemplaren zu erfassen, zu
beschreiben, die Ursachen ihrer Verschiedenheit festzustellen und damit suchen
wir vorzudringen zu der Erkenntnis, wie sie in Raum und Zeit sich ver-
schieden gestalten und auseinander hervorgehen. Untersuchungen dieser Art
bildeten im letzten Menschenalter einen wichtigen Teil der Arbeit in unserer
Wissenschaft. Von einer Vollendung derselben sind wir noch sehr weit ent-
fernt. Viel schwieriger noch ist die andere Aufgabe, nicht bloß die Entwicke-
lung der einzelnen volkswirtschaftlichen Institutionen, sondern die der gan-
zen Volkswirtschaften in ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung und Auf-
einanderfolge und in ihrer Verursachung zu erfassen. Auch damit hat sich
unsere Wissenschaft seit 50--60 Jahren befaßt: Hildebrand's Theorie von der
sich folgenden Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft, meine und Büchers Theo-
rie von der sich folgenden Haus-(resp. Dorf-), Stadt-, Territorial-, Volks-
und Weltwirtschaft sind die bekanntesten Versuche dieser Art.
von M. Weber über die wirtschaftliche Bedeutung des Calvinismus ist
in ihrer historisch-psychologischen Begründung ein Bild großer geistig-
individueller Prozesse, in dem kausale Glieder nicht fehlen, wobei aber das
nachempfindende Verständnis historischer Größe und ihrer Wirkung gewiß
bedeutungsvoller ist als die Zurückführung der Erscheinungen auf kausale Ge-
setze. So, scheint mir, ist die Kontroverse zwischen gesetzlicher Kausalerklä-
rung und idiographischem Erfassen der großen und der komplizierten volks-
wirtschaftlichen Erscheinungen wohl zu lösen. Wo der Weg der Kausalerklärung
wegen der Größe und Kompliziertheit des Problems versagt, gehen wir den
anderen. Wo wir individuelle Erscheinungen, einzelne große Geschäfte, die
Wirtschaft einer Stadt, eine Volkswirtschaft zu bestimmter Zeit schildern,
reihen wir sie in bekannte Begriffe ein und erklären wir das Einzelne so-
weit möglich kausal, aber wir fassen zugleich das Ganze einheitlich in sei-
ner Eigentümlichkeit zusammen, vergleichen es mit anderen ähnlichen eigen-
tümlichen Erscheinungen und bereiten so wieder Generalisierungen vor. So
können beide Wege zugleich gegangen werden; unter Umständen versa-
gen beide. Die Verachtung des einen Standpunktes für den andern ist wohl
aus der methodologischen Geschichte unserer Wissenschaft und der Tatsache
erklärbar, daß die wissenschaftlichen Richtungen stets zunächst ihre neuen
Gedanken übertreiben und sich im Kampfe auseinandersetzen, aber nicht in
der Sache auf die Dauer begründet.
Und nun zurück zu den volkswirtschaftlichen Entwicklungsgesetzen und
dann zu den historischen Gesetzen überhaupt.
Bei dem, was man neuerdings volkswirtschaftliche Entwicklungsgesetze
genannt hat, handelt es sich um die im Laufe der Jahrhunderte sich ent-
wickelnden Formen und Gestaltungen, die Institutionen des wirtschaftlichen
Lebens. Man kann sie in Spezialgruppen gesondert oder in ihrer Verbindung
als lebendige Bestandteile einer bestimmten Volkswirtschaft zu fassen suchen.
Im ersteren Falle fragen wir nach der Entwickelung der Marktorganisation,
des Münz- und Geldwesens, nach der des gesamten Zahlungs- und Abrechnungs-
wesens, nach den Formen, die die Arbeitsteilung und soziale Klassenbildung
zeitlich und örtlich gehabt hat oder heute hat, nach den Organisationen,
die wir als Unternehmungsformen zusammenfassen, nach den verschiedenen
Finanzeinrichtungen; jede Gruppe solcher Erscheinungen suchen wir in ihren
einzelnen wichtigeren, tatsächlich vorkommenden Exemplaren zu erfassen, zu
beschreiben, die Ursachen ihrer Verschiedenheit festzustellen und damit suchen
wir vorzudringen zu der Erkenntnis, wie sie in Raum und Zeit sich ver-
schieden gestalten und auseinander hervorgehen. Untersuchungen dieser Art
bildeten im letzten Menschenalter einen wichtigen Teil der Arbeit in unserer
Wissenschaft. Von einer Vollendung derselben sind wir noch sehr weit ent-
fernt. Viel schwieriger noch ist die andere Aufgabe, nicht bloß die Entwicke-
lung der einzelnen volkswirtschaftlichen Institutionen, sondern die der gan-
zen Volkswirtschaften in ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung und Auf-
einanderfolge und in ihrer Verursachung zu erfassen. Auch damit hat sich
unsere Wissenschaft seit 50—60 Jahren befaßt: Hildebrand’s Theorie von der
sich folgenden Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft, meine und Büchers Theo-
rie von der sich folgenden Haus-(resp. Dorf-), Stadt-, Territorial-, Volks-
und Weltwirtschaft sind die bekanntesten Versuche dieser Art.
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[101/0105] ¹⁴ von M. Weber über die wirtschaftliche Bedeutung des Calvinismus ist in ihrer historisch-psychologischen Begründung ein Bild großer geistig- individueller Prozesse, in dem kausale Glieder nicht fehlen, wobei aber das nachempfindende Verständnis historischer Größe und ihrer Wirkung gewiß bedeutungsvoller ist als die Zurückführung der Erscheinungen auf kausale Ge- setze. So, scheint mir, ist die Kontroverse zwischen gesetzlicher Kausalerklä- rung und idiographischem Erfassen der großen und der komplizierten volks- wirtschaftlichen Erscheinungen wohl zu lösen. Wo der Weg der Kausalerklärung wegen der Größe und Kompliziertheit des Problems versagt, gehen wir den anderen. Wo wir individuelle Erscheinungen, einzelne große Geschäfte, die Wirtschaft einer Stadt, eine Volkswirtschaft zu bestimmter Zeit schildern, reihen wir sie in bekannte Begriffe ein und erklären wir das Einzelne so- weit möglich kausal, aber wir fassen zugleich das Ganze einheitlich in sei- ner Eigentümlichkeit zusammen, vergleichen es mit anderen ähnlichen eigen- tümlichen Erscheinungen und bereiten so wieder Generalisierungen vor. So können beide Wege zugleich gegangen werden; unter Umständen versa- gen beide. Die Verachtung des einen Standpunktes für den andern ist wohl aus der methodologischen Geschichte unserer Wissenschaft und der Tatsache erklärbar, daß die wissenschaftlichen Richtungen stets zunächst ihre neuen Gedanken übertreiben und sich im Kampfe auseinandersetzen, aber nicht in der Sache auf die Dauer begründet. Und nun zurück zu den volkswirtschaftlichen Entwicklungsgesetzen und dann zu den historischen Gesetzen überhaupt. Bei dem, was man neuerdings volkswirtschaftliche Entwicklungsgesetze genannt hat, handelt es sich um die im Laufe der Jahrhunderte sich ent- wickelnden Formen und Gestaltungen, die Institutionen des wirtschaftlichen Lebens. Man kann sie in Spezialgruppen gesondert oder in ihrer Verbindung als lebendige Bestandteile einer bestimmten Volkswirtschaft zu fassen suchen. Im ersteren Falle fragen wir nach der Entwickelung der Marktorganisation, des Münz- und Geldwesens, nach der des gesamten Zahlungs- und Abrechnungs- wesens, nach den Formen, die die Arbeitsteilung und soziale Klassenbildung zeitlich und örtlich gehabt hat oder heute hat, nach den Organisationen, die wir als Unternehmungsformen zusammenfassen, nach den verschiedenen Finanzeinrichtungen; jede Gruppe solcher Erscheinungen suchen wir in ihren einzelnen wichtigeren, tatsächlich vorkommenden Exemplaren zu erfassen, zu beschreiben, die Ursachen ihrer Verschiedenheit festzustellen und damit suchen wir vorzudringen zu der Erkenntnis, wie sie in Raum und Zeit sich ver- schieden gestalten und auseinander hervorgehen. Untersuchungen dieser Art bildeten im letzten Menschenalter einen wichtigen Teil der Arbeit in unserer Wissenschaft. Von einer Vollendung derselben sind wir noch sehr weit ent- fernt. Viel schwieriger noch ist die andere Aufgabe, nicht bloß die Entwicke- lung der einzelnen volkswirtschaftlichen Institutionen, sondern die der gan- zen Volkswirtschaften in ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung und Auf- einanderfolge und in ihrer Verursachung zu erfassen. Auch damit hat sich unsere Wissenschaft seit 50—60 Jahren befaßt: Hildebrand’s Theorie von der sich folgenden Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft, meine und Büchers Theo- rie von der sich folgenden Haus-(resp. Dorf-), Stadt-, Territorial-, Volks- und Weltwirtschaft sind die bekanntesten Versuche dieser Art.

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/105>, abgerufen am 22.11.2024.