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Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893.

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Versuchen wir zunächst im Anschluß an Neumann festzustellen, welchen Sprach-
gebrauch unsere Wissenschaft in den maßgebenden Kulturländern in bezug auf
volkswirtschaftliche Gesetze ziemlich übereinstimmend heute hat. Neumann
führt als anerkannte Gesetze, die aus dem wirtschaftlichen Eigennutz sich er-
geben, folgende an:
1. Die Preisgesetze, a) daß bei steigender resp. sinkender Nachfrage, bei stel-
gendem, resp. sinkendem Angebot die Preise die Tendenz haben, sich in
umgekehrter Richtung zu bewegen, b) daß die Preise nach dem Betrage der
niedrigsten Kosten billigster Produktionsart gravitieren, sofern letztere nach Be-
darf auszudehnen ist, im anderen Falle aber, nach den niedrigsten Kosten der
zur Befriedigung solchen Bedarfs noch in Anspruch zu nehmenden teuersten
Produktionsart; c) daß die Preise weniger entbehrlicher Dinge stärker zu
schwanken neigen als die der entbehrlichen.
2. Gesetze, die als weitere Folgen des Eigennutzes erscheinen: a) daß ähn-
lich wie Preise und Löhne auch die Gewerbs- und Unternehmereinkünfte nach
gewissen Minimalbeträgen gravitieren; b) daß die großen die kleinen Betriebe
zu verdrängen tendieren und c) daß im Zusammenhang damit die größern
Einkommen und Vermögen stärker wachsen als die mittleren und kleineren,
d) daß die Intensität der Bodenbewirtschaftung mit der Entfernung des zu
bewirtschaftenden Bodens vom Marktort geringer zu werden tendiere; e) daß im
Münzverkehr das schlechte Geld das gute, f) im Banknotenverkehr die kleinen
Stücke die rascher Zurückströmenden größeren zu verdrängen tendieren.
3. Auf Gerechtigkeitsgefühle führt Neumann dann eine Reihe von Erscheinun-
gen im Gebiete der Steuern und der öffentlichen Beiträge zurück, die man
als Gesetze bezeichne.
4. Auf andere Ursachen und Motive führt er endlich zurück: a) das Gesetz
des abnehmenden Bodenertrags; b) das Malthussche Bevölkerungsgesetz, endlich
c) die sog. Entwickelungsgesetze, die teilweise schon Aristoteles erkannt hat,
wie den Übergang von der geschlossenen Hauswirtschaft zur chrematistischen,
auf Vermögensgewinn bedachten Wirtschaft; ferner gehören hierher der
Übergang der Natural- zur Geld- und Kreditwirtschaft, die Ausbildung der
Arbeitsteilung-, der Unternehmungs-, der Arbeitsentlohnungsformen, auch die
von Neumann freilich nicht erwähnte Entwickelung der Dorf- und Hauswirt-
schaft zur Stadt-, Territorial- und Volkswirtschaft.
Alle kausalen wirtschaftlichen unter 1 bis 3 genannten Gesetze seien "ein Aus-
druck für je eine aus bestimmten Ursachen als solchen sich im allgemeinen
ergebende Wiederkehr besonders wichtiger wirtschaftlicher Erscheinungen."
Dieselben sind nach Neumann nirgends exakte Gesetze, d. h. in zähl- und
meßbarer Form sich durchsetzende; sie deuten alle immer nur Tendenzen an,
die sich an bestimmte psychologische Massenerscheinungen auf bestimmter
Kulturhöhe anknüpfen; sie haben also stets einen hypothetischen Charakter;
die Folgen treten ein, wenn und so fern die vorausgesetzten Motive der handeln-
den Menschen stark genug sind, nicht örtlich und zeitlich von entgegengesetzten
Motiven zurückgedrängt werden. Aber in den wirtschaftlich höher entwickelten
Kulturstaaten der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit mit ihrer dich-
ten Bevölkerung, mit ihren schweren Kämpfen um die wirtschaftliche Exi-
stenz, mit ihrer Wucht der sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge
treten -- nach Neumann -- die Unterschiede und Abweichungen der beobach-
Versuchen wir zunächst im Anschluß an Neumann festzustellen, welchen Sprach-
gebrauch unsere Wissenschaft in den maßgebenden Kulturländern in bezug auf
volkswirtschaftliche Gesetze ziemlich übereinstimmend heute hat. Neumann
führt als anerkannte Gesetze, die aus dem wirtschaftlichen Eigennutz sich er-
geben, folgende an:
1. Die Preisgesetze, a) daß bei steigender resp. sinkender Nachfrage, bei stel-
gendem, resp. sinkendem Angebot die Preise die Tendenz haben, sich in
umgekehrter Richtung zu bewegen, b) daß die Preise nach dem Betrage der
niedrigsten Kosten billigster Produktionsart gravitieren, sofern letztere nach Be-
darf auszudehnen ist, im anderen Falle aber, nach den niedrigsten Kosten der
zur Befriedigung solchen Bedarfs noch in Anspruch zu nehmenden teuersten
Produktionsart; c) daß die Preise weniger entbehrlicher Dinge stärker zu
schwanken neigen als die der entbehrlichen.
2. Gesetze, die als weitere Folgen des Eigennutzes erscheinen: a) daß ähn-
lich wie Preise und Löhne auch die Gewerbs- und Unternehmereinkünfte nach
gewissen Minimalbeträgen gravitieren; b) daß die großen die kleinen Betriebe
zu verdrängen tendieren und c) daß im Zusammenhang damit die größern
Einkommen und Vermögen stärker wachsen als die mittleren und kleineren,
d) daß die Intensität der Bodenbewirtschaftung mit der Entfernung des zu
bewirtschaftenden Bodens vom Marktort geringer zu werden tendiere; e) daß im
Münzverkehr das schlechte Geld das gute, f) im Banknotenverkehr die kleinen
Stücke die rascher Zurückströmenden größeren zu verdrängen tendieren.
3. Auf Gerechtigkeitsgefühle führt Neumann dann eine Reihe von Erscheinun-
gen im Gebiete der Steuern und der öffentlichen Beiträge zurück, die man
als Gesetze bezeichne.
4. Auf andere Ursachen und Motive führt er endlich zurück: a) das Gesetz
des abnehmenden Bodenertrags; b) das Malthussche Bevölkerungsgesetz, endlich
c) die sog. Entwickelungsgesetze, die teilweise schon Aristoteles erkannt hat,
wie den Übergang von der geschlossenen Hauswirtschaft zur chrematistischen,
auf Vermögensgewinn bedachten Wirtschaft; ferner gehören hierher der
Übergang der Natural- zur Geld- und Kreditwirtschaft, die Ausbildung der
Arbeitsteilung-, der Unternehmungs-, der Arbeitsentlohnungsformen, auch die
von Neumann freilich nicht erwähnte Entwickelung der Dorf- und Hauswirt-
schaft zur Stadt-, Territorial- und Volkswirtschaft.
Alle kausalen wirtschaftlichen unter 1 bis 3 genannten Gesetze seien „ein Aus-
druck für je eine aus bestimmten Ursachen als solchen sich im allgemeinen
ergebende Wiederkehr besonders wichtiger wirtschaftlicher Erscheinungen.“
Dieselben sind nach Neumann nirgends exakte Gesetze, d. h. in zähl- und
meßbarer Form sich durchsetzende; sie deuten alle immer nur Tendenzen an,
die sich an bestimmte psychologische Massenerscheinungen auf bestimmter
Kulturhöhe anknüpfen; sie haben also stets einen hypothetischen Charakter;
die Folgen treten ein, wenn und so fern die vorausgesetzten Motive der handeln-
den Menschen stark genug sind, nicht örtlich und zeitlich von entgegengesetzten
Motiven zurückgedrängt werden. Aber in den wirtschaftlich höher entwickelten
Kulturstaaten der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit mit ihrer dich-
ten Bevölkerung, mit ihren schweren Kämpfen um die wirtschaftliche Exi-
stenz, mit ihrer Wucht der sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge
treten — nach Neumann — die Unterschiede und Abweichungen der beobach-
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[96/0100] ¹⁴ Versuchen wir zunächst im Anschluß an Neumann festzustellen, welchen Sprach- gebrauch unsere Wissenschaft in den maßgebenden Kulturländern in bezug auf volkswirtschaftliche Gesetze ziemlich übereinstimmend heute hat. Neumann führt als anerkannte Gesetze, die aus dem wirtschaftlichen Eigennutz sich er- geben, folgende an: 1. Die Preisgesetze, a) daß bei steigender resp. sinkender Nachfrage, bei stel- gendem, resp. sinkendem Angebot die Preise die Tendenz haben, sich in umgekehrter Richtung zu bewegen, b) daß die Preise nach dem Betrage der niedrigsten Kosten billigster Produktionsart gravitieren, sofern letztere nach Be- darf auszudehnen ist, im anderen Falle aber, nach den niedrigsten Kosten der zur Befriedigung solchen Bedarfs noch in Anspruch zu nehmenden teuersten Produktionsart; c) daß die Preise weniger entbehrlicher Dinge stärker zu schwanken neigen als die der entbehrlichen. 2. Gesetze, die als weitere Folgen des Eigennutzes erscheinen: a) daß ähn- lich wie Preise und Löhne auch die Gewerbs- und Unternehmereinkünfte nach gewissen Minimalbeträgen gravitieren; b) daß die großen die kleinen Betriebe zu verdrängen tendieren und c) daß im Zusammenhang damit die größern Einkommen und Vermögen stärker wachsen als die mittleren und kleineren, d) daß die Intensität der Bodenbewirtschaftung mit der Entfernung des zu bewirtschaftenden Bodens vom Marktort geringer zu werden tendiere; e) daß im Münzverkehr das schlechte Geld das gute, f) im Banknotenverkehr die kleinen Stücke die rascher Zurückströmenden größeren zu verdrängen tendieren. 3. Auf Gerechtigkeitsgefühle führt Neumann dann eine Reihe von Erscheinun- gen im Gebiete der Steuern und der öffentlichen Beiträge zurück, die man als Gesetze bezeichne. 4. Auf andere Ursachen und Motive führt er endlich zurück: a) das Gesetz des abnehmenden Bodenertrags; b) das Malthussche Bevölkerungsgesetz, endlich c) die sog. Entwickelungsgesetze, die teilweise schon Aristoteles erkannt hat, wie den Übergang von der geschlossenen Hauswirtschaft zur chrematistischen, auf Vermögensgewinn bedachten Wirtschaft; ferner gehören hierher der Übergang der Natural- zur Geld- und Kreditwirtschaft, die Ausbildung der Arbeitsteilung-, der Unternehmungs-, der Arbeitsentlohnungsformen, auch die von Neumann freilich nicht erwähnte Entwickelung der Dorf- und Hauswirt- schaft zur Stadt-, Territorial- und Volkswirtschaft. Alle kausalen wirtschaftlichen unter 1 bis 3 genannten Gesetze seien „ein Aus- druck für je eine aus bestimmten Ursachen als solchen sich im allgemeinen ergebende Wiederkehr besonders wichtiger wirtschaftlicher Erscheinungen.“ Dieselben sind nach Neumann nirgends exakte Gesetze, d. h. in zähl- und meßbarer Form sich durchsetzende; sie deuten alle immer nur Tendenzen an, die sich an bestimmte psychologische Massenerscheinungen auf bestimmter Kulturhöhe anknüpfen; sie haben also stets einen hypothetischen Charakter; die Folgen treten ein, wenn und so fern die vorausgesetzten Motive der handeln- den Menschen stark genug sind, nicht örtlich und zeitlich von entgegengesetzten Motiven zurückgedrängt werden. Aber in den wirtschaftlich höher entwickelten Kulturstaaten der Gegenwart und der jüngsten Vergangenheit mit ihrer dich- ten Bevölkerung, mit ihren schweren Kämpfen um die wirtschaftliche Exi- stenz, mit ihrer Wucht der sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhänge treten — nach Neumann — die Unterschiede und Abweichungen der beobach-

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Die Volkswirtschaft, die Volkswirtschaftslehre und ihre Methode. Frankfurt (Main), 1893, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_volkswirtschaftslehre_1893/100>, abgerufen am 29.11.2024.