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Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870.

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Die Reformen in Bezug auf das Handwerk.
man als Sozialist und Pseudoreaktionär bezeichnet, wenn
man sie verlangt. Eine geringe Zahl solcher Beamter
mit je großen Bezirken würde genügen. Ihnen wäre
auch das großentheils in die Hand zu geben, was für
das eigentliche Handwerk und die Hausindustrie von
Regierungsseite geschehen könnte.

Was kann aber geschehen? Es konzentrirt sich in
zwei Punkten: 1) Erziehung der arbeitenden Klassen,
d. h. Schulbildung und eine möglichst überall zugänglich
zu machende technische Erziehung und 2) Ueberleitung in
neue Zustände und Verhältnisse, soweit eine zurückgeblie-
bene Bildung der Handwerker das nicht selbst vermag.

Aber sollen wir dabei den segensvollen Weg der
Selbsthülfe verlassen? Was heißt Selbsthülfe? Kein
Gegensatz ist falscher und unklarer, als die hergebrachte
Gegenüberstellung von Staatshülfe und Selbsthülfe.
Ob Schulze-Delitzsch, ob ein Fabrikinspektor Genossen-
schaften organisirt, sie ordentlich Buch führen, sparen
und sammeln lehrt; in beiden Fällen wirkt die höhere
Bildung, getrieben von sittlichen Motiven, auf die
untern Klassen, erzieht sie und hebt sie. Die national-
ökonomische Schule, welche nur den platten Egoismus
anerkennt, muß jede Genossenschaft, in der immer die
Tüchtigsten und Besten für die Gesammtheit arbeiten,
verdammen. Auch Schulze's und aller seiner tüchtigen
Anhänger Einfluß ist, wie ich schon oben bemerkte, in
erster Linie ein erziehender. Es ist eine Thätigkeit, die
stets in einzelnen Fällen eben so schlimm, oder vielmehr
eben so erfolglos wirken kann, wie etwaige Staatsthätig-
keit, nämlich dann, wenn die Aufopferung, die Thätigkeit

Die Reformen in Bezug auf das Handwerk.
man als Sozialiſt und Pſeudoreaktionär bezeichnet, wenn
man ſie verlangt. Eine geringe Zahl ſolcher Beamter
mit je großen Bezirken würde genügen. Ihnen wäre
auch das großentheils in die Hand zu geben, was für
das eigentliche Handwerk und die Hausinduſtrie von
Regierungsſeite geſchehen könnte.

Was kann aber geſchehen? Es konzentrirt ſich in
zwei Punkten: 1) Erziehung der arbeitenden Klaſſen,
d. h. Schulbildung und eine möglichſt überall zugänglich
zu machende techniſche Erziehung und 2) Ueberleitung in
neue Zuſtände und Verhältniſſe, ſoweit eine zurückgeblie-
bene Bildung der Handwerker das nicht ſelbſt vermag.

Aber ſollen wir dabei den ſegensvollen Weg der
Selbſthülfe verlaſſen? Was heißt Selbſthülfe? Kein
Gegenſatz iſt falſcher und unklarer, als die hergebrachte
Gegenüberſtellung von Staatshülfe und Selbſthülfe.
Ob Schulze-Delitzſch, ob ein Fabrikinſpektor Genoſſen-
ſchaften organiſirt, ſie ordentlich Buch führen, ſparen
und ſammeln lehrt; in beiden Fällen wirkt die höhere
Bildung, getrieben von ſittlichen Motiven, auf die
untern Klaſſen, erzieht ſie und hebt ſie. Die national-
ökonomiſche Schule, welche nur den platten Egoismus
anerkennt, muß jede Genoſſenſchaft, in der immer die
Tüchtigſten und Beſten für die Geſammtheit arbeiten,
verdammen. Auch Schulze’s und aller ſeiner tüchtigen
Anhänger Einfluß iſt, wie ich ſchon oben bemerkte, in
erſter Linie ein erziehender. Es iſt eine Thätigkeit, die
ſtets in einzelnen Fällen eben ſo ſchlimm, oder vielmehr
eben ſo erfolglos wirken kann, wie etwaige Staatsthätig-
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[695/0717] Die Reformen in Bezug auf das Handwerk. man als Sozialiſt und Pſeudoreaktionär bezeichnet, wenn man ſie verlangt. Eine geringe Zahl ſolcher Beamter mit je großen Bezirken würde genügen. Ihnen wäre auch das großentheils in die Hand zu geben, was für das eigentliche Handwerk und die Hausinduſtrie von Regierungsſeite geſchehen könnte. Was kann aber geſchehen? Es konzentrirt ſich in zwei Punkten: 1) Erziehung der arbeitenden Klaſſen, d. h. Schulbildung und eine möglichſt überall zugänglich zu machende techniſche Erziehung und 2) Ueberleitung in neue Zuſtände und Verhältniſſe, ſoweit eine zurückgeblie- bene Bildung der Handwerker das nicht ſelbſt vermag. Aber ſollen wir dabei den ſegensvollen Weg der Selbſthülfe verlaſſen? Was heißt Selbſthülfe? Kein Gegenſatz iſt falſcher und unklarer, als die hergebrachte Gegenüberſtellung von Staatshülfe und Selbſthülfe. Ob Schulze-Delitzſch, ob ein Fabrikinſpektor Genoſſen- ſchaften organiſirt, ſie ordentlich Buch führen, ſparen und ſammeln lehrt; in beiden Fällen wirkt die höhere Bildung, getrieben von ſittlichen Motiven, auf die untern Klaſſen, erzieht ſie und hebt ſie. Die national- ökonomiſche Schule, welche nur den platten Egoismus anerkennt, muß jede Genoſſenſchaft, in der immer die Tüchtigſten und Beſten für die Geſammtheit arbeiten, verdammen. Auch Schulze’s und aller ſeiner tüchtigen Anhänger Einfluß iſt, wie ich ſchon oben bemerkte, in erſter Linie ein erziehender. Es iſt eine Thätigkeit, die ſtets in einzelnen Fällen eben ſo ſchlimm, oder vielmehr eben ſo erfolglos wirken kann, wie etwaige Staatsthätig- keit, nämlich dann, wenn die Aufopferung, die Thätigkeit

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Zitationshilfe: Schmoller, Gustav: Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe im 19. Jahrhundert. Halle (Saale), 1870, S. 695. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/schmoller_kleingewerbe_1870/717>, abgerufen am 24.11.2024.